Sind die Reichen die geistig und genussfähig Armen

Schon die Vorstellung reich zu sein, führt nach einer psychologischen Studie zum Einbruch der Genussfähigkeit

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Ob viel Geld und anstrengungsloser Wohlstand glücklicher machen, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten, entlassene Banker wollen jedenfalls ebenso wenig darauf verzichten wie ihre noch tätigen Kollegen auf Boni. Es lebt sich jedenfalls wohl besser und beruhigter mit mehr Geld, und es scheint auch einen Suchtfaktor zu haben. Nach Psychologen könnte Reichtum jedoch den Genuss einschränken, weil man die Dinge nicht mehr würdigen kann.

Schon wenn Menschen nur über Reichtum nachdenken, soll ihre Fähigkeit sinken, im Augenblick zu leben und sich an den kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen, erklären Jordi Quoidbach, Elizabeth Dunn, K.V. Petrides und Moira Mikolajczak in ihrer Studie "Money Giveth, Money Taketh Away: The Dual Effect of Wealth", die in der Zeitschrift Psychological Science erscheinen wird. So schmeckt Menschen ein Stück Schokolade schon dann nicht mehr so gut, wenn sie nur an Reichtum erinnert werden.

Die belgischen, britischen und kanadischen Psychologen gingen bei ihren Versuchen von wissenschaftlichen Ergebnissen aus, die zeigen, dass Einkommen offenbar keinen großen Einfluss auf Glück oder Zufriedenheit der Menschen hat. Nach einer Hypothese könnte die Möglichkeit, das angeblich Beste und Teuerste erfahren zu können, den Sinn für die alltäglichen Freuden trüben. Bekannt ist auch bereits die Tatsache, dass schon allein der Gedanke an Reichtum die Selbstgenügsamkeit steigert, weil offenbar alles, was man begehrt, erreichbar zu sein scheint.

Die Psychologen wollten also die Hypothese testen, ob finanzieller Reichtum aufgrund des Überflusses an möglichen angenehmen Erfahrungen, die der Geldbesitz eröffnet, den Genuss schmälert. Das wiederum könnte auch der Grund sein, warum Geld nicht glücklicher macht. Für ihre Studie konnten sie 351 Angestellte der Universität von Liege gewinnen, einen Online-Test mitzumachen, mit der die Genussfähigkeit gemessen wurde, beispielsweise anhand von Situationen wie der, sich vorzustellen, eine wichtige Arbeit erfolgreich beendet zu haben. Dazu sollten sie noch ihr Wunscheinkommen und die Höhe eines Lottogewinns angeben, mit dem sie lebenslang ihre Träume verwirklichen könnten, zudem wurden sie gebeten, ihre Ersparnisse und ihr Nettoeinkommen mitzuteilen. Der Fragebogen war bei einem Teil der Versuchspersonen mit einem Foto versehen, auf dem ein großer Stapel von Geldscheinen abgebildet war, bei der Kontrollgruppe wurde das Bild so unscharf gemacht, das nichts mehr zu erkennen war.

Das Ergebnis des Tests bestätigte die Hypothese. Je reicher eine Versuchsperson war, desto geringer war seine Genussfähigkeit. Und auch die Gruppe, die durch das Foto mit den Geldscheinen beeinflusst wurde, erzielte geringere Genusswerte. Ein Einfluss auf das gewünschte Einkommen oder den Lottogewinn ließ sich nicht erkennen. Mit einem zweiten Experiment sollte dann herausgefunden werden, ob schon die Erinnerung an Reichtum wie durch das Foto mit den Geldscheinen den wirklichen Genuss beeinträchtigt. Hier mussten 40 Studenten einen kurzen Fragebogen zur Person und zur Einstellung zu Schokolade ausfüllen, danach erhielten sie ein Stück Schokolade und wurden beobachtet, wie lange und mit welchem Genuss sie es aßen. Beim Fragebogen der einen Gruppe war wieder ein Foto von einem Geldschein beigelegt, bei der Kontrollgruppe ein neutrales Foto. Wer das Foto mit dem Geldschein gesehen hatte, verzehrte die Schokolade schneller und mit weniger offensichtlichem Genuss.

Für die Wissenschaftler bestätigen die Ergebnisse "die provozierende und intuitiv Widerspruch weckende, aber bislang ungetestete Einsicht, dass der Zugang zu den besten Dingen im Leben die Möglichkeit untergraben kann, sich an den kleinen Dingen des Lebens zu freuen". Und dabei muss man nicht wirklich reicher sein, es genügt schon die Vorstellung, einen solchen Zugang haben zu können, um die Genussfähigkeit abstürzen zu lassen. Und sie sehen die Hypothese unterstützt, dass zwar Geld die Zufriedenheit oder das Glück ein wenig vergrößert, die geringere Genussfähigkeit aber die Freude am alltäglichen Leben mindert.

Werden die Armen als unglücklicher eingestuft, als sie sich wirklich fühlen?

In der Studie From Wealth to Well-Being? Money Matters, but Less than People Think, die 2009 in der Zeitschrift Journal of Positive Psychology erschien, haben Psychologen der University of British Columbia und der Harvard Business School eine interessante Schieflage herausgefunden. 420 Versuchspersonen aus unterschiedlichen Einkommensgruppen sollten ihre eigene Zufriedenheit angeben und diejenige von anderen Menschen mit 10 verschiedenen Einkommen von 5.000 bis einer Million Dollar auf einer 10stufigen Skala einschätzen. Die Ergebnisse wurden dann mit Daten von US-Amerikanern über die Verbindung zwischen Zufriedenheit und Einkommen verglichen.

Auch hier zeigte sich, dass ein höheres Haushaltseinkommen auch leicht höhere Zufriedenheit zur Folge hat, bei der Schätzung über die Zufriedenheit anderer Menschen je nach Einkommen kam es jedoch zu Fehleinschätzungen. Menschen mit einem Jahreseinkommen über 90.000 Dollar wurden zwar einigermaßen realistisch eingeschätzt, solche mit einem Jahreseinkommen unter 55.000 allerdings als weitaus unglücklicher, als sie wirklich sind. Richtig wurde zwar geschätzt, dass Menschen mit einem Einkommen von 120.000 Dollar und mehr zwar nicht zufriedener als die mit einem von 90.000 sind, anders herum scheint man aber zu glauben, dass die Menschen mit sinkenden Einkommen immer unzufriedener werden.

Wie soll man nun aber die Ergebnisse auslegen? Wenn auch die Reichen nur ein klein wenig glücklicher sind, dafür sich aber an den alltäglichen Dingen und kleinen Genüssen nicht mehr freuen können, ist es dann egal, wie eine Gesellschaft die Verteilung des Wohlstands regelt? Wenn allerdings schon allein die abstrakte Aussicht, viel Geld haben zu können, die Genussfähigkeit einschränkt und die Begierden hochsetzt, dann könnte das permanente Winken mit Reichtum und Boni möglicherweise zu einer destruktiven Dynamik von immer größeren Wünschen und sinkender Zufriedenheit führen, weil es ja – finanziell – endlos immer mehr geben kann. Verstärkt werden könnte dies durch die Ansicht, dass die Ärmeren auch entsprechend ihrer Armut unzufriedener mit ihrem Leben sein müssen. Aber möglicherweise sind sie dies ja auch, sie müssen nur mit ihrem Leben auskommen und geben sich letztlich mit dem, was sie haben, zufrieden, um nicht permanent unglücklich und neidisch sein zu müssen?