"Da gibt es großen Missbrauch"

Jahr für Jahr verlieren Anleger in Deutschland Milliarden am Grauen Kapitalmarkt, einem deutschen Spezifikum. Ein Gespräch mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Dr. Gerhard Schick

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

20 bis 30 Milliarden Euro verlieren laut einer Schätzung des Verbraucherministeriums Anleger durch schlechte Finanzberatung. Zwar wurde mit der Rentenreform 2001 die individuelle Verantwortung ein wesentlicher Bestandteil der Vorsorge fürs Alter. Der Verbraucherschutz ist dabei weitestgehend auf der Strecke geblieben. Wer für die Rente ansparen möchte, sieht sich einer Vielzahl von unseriösen Anbietern und falschen Verbraucherschutzorganisationen gegenüber.

Besonders riskant sind Anlagen am so genannten Grauen Kapitalmarkt, der keiner oder nur geringer Aufsicht und Regulierung unterliegt. Da vielen Anlegern der Unterschied zwischen dem Grauen und dem Weißen Markt nicht bekannt ist und die Übergänge zudem fließend sind, fällt es Betrügern und Scharlatanen oft leicht, Anlegergeld einzusammeln. Eine Lösung kann die Schaffung einer einheitlichen Regulierung für den gesamten Finanzmarkt sein. Mit einem entsprechenden Antrag der grünen Bundestagsfraktion beschäftigt sich derzeit der Finanzausschuss im Bundestag. Telepolis sprach mit Dr. Gerhard Schick, dem finanzpolitischen Sprecher der Grünen, über Probleme und Lösungsansätze im Grauen Kapitalmarkt.

Im Juli 2009 hat sich der Finanzausschuss des Bundestages auf Antrag der Grünen Bundestags-Fraktion mit dem Grauen Kapitalmarkt beschäftigt. Schon die Frage, was unter dem Grauen Kapitalmarkt genau zu verstehen ist, war damals nicht so leicht zu beantworten. Wie würden Sie den Begriff definieren?

Gerhard Schick: Der Begriff Grauer Kapitalmarkt hat sich herausgebildet, um denjenigen Teil der Finanzmärkte zu bezeichnen, der nicht oder nur geringfügig der staatlichen Finanzaufsicht und keiner umfänglichen Produktregulierung unterliegt. In jenen Bereichen des nicht oder nur teilweise regulierten Kapitalmarktes können wir besonders viele komplizierte Geschäftsmodelle und betrügerische Aktivitäten beobachten. Das gilt sicher nicht in jedem Fall. Allerdings haben sie einen höheren Anteil, eben weil es weniger Regeln gibt. Mangels einer präzisen Abgrenzung spricht man jedoch im Einzelfall über die Regulierung von verschiedenen Vertriebswegen oder über die Regulierung von geschlossenen Fonds. Mein politisches Ziel ist aber, unabhängig vom Anlageprodukt oder dem Vertriebsweg ein einheitliches Anlegerschutzniveau zu erreichen. Die bestehende Spaltung des Kapitalmarktes in zwei Teilbereiche finde ich nicht sinnvoll.

Der Graumarkt sei ein spezifisch deutsches Problem, so der Rechtsanwalt Mattil im Finanzausschuss. Sehen Sie das ähnlich?

Gerhard Schick: Ja. In Deutschland wurde es bei verschiedenen Regulierungsschritten - zuletzt im Rahmen der Umsetzung der MiFID durch die Große Koalition – versäumt, den grauen Kapitalmarkt dem geregelten anzugleichen. So nahm man etwa die geschlossenen Fonds nicht mit auf, was aufgrund einer Wahlmöglichkeit zwar machbar war, was ich aber schlicht für falsch halte. Man hatte sich entschlossen, die Zertifikate, also Retailderivate, im Wesentlichen auszunehmen. So kam es, dass wir unterschiedliche Regulierungsdichten haben. Das hat in Deutschland aber inzwischen schon eine gewisse Tradition.

In anderen Ländern gibt es nichts, was dem Grauen Kapitalmarkt vergleichbar wäre?

Gerhard Schick: Nein. Für die Vertriebe und auch für Fonds gelten in der Regel einheitliche Regelungen. In Deutschland haben wir ein Investmentgesetz, indem die verschiedenen Fonds abgebildet sind. So haben wir die offenen Immobilienfonds, Aktienfonds oder Hedge-Fonds als Sondervermögen mit zusätzlichen Risiken. Allerdings gibt es keine entsprechende Produktregulierung für den Bereich der geschlossenen Fonds. Auch bei den Vertriebswegen gibt es einen Unterschied. Zwar existiert die Prospektpflicht, die unter Rot- Grün eingeführt wurde. Allerdings bezieht die sich nur auf eine rein formale Prüfung, die noch nicht einmal die Kohärenz abbildet. So kann es passieren, dass ein Anleger bei einem geschlossenen Fonds von Immobilien nie erfährt, dass derjenige, der später die Immobilie betreibt, derjenige, der sie baut, und der Fondsinitiator geschäftlich miteinander verbunden sind, so dass das Projekt zwar eine Rendite zu erwirtschaften vermag, diese aber de facto beim Initiator verbleibt, indem er höhere Mieten oder höhere Rechnungen für Bauleistungen veranschlagt. Derartige Interessenkonflikte kann ein Anleger kaum überprüfen. Dagegen kann die Finanzverwaltung Offenlegungen erzwingen und gegebenenfalls die Genehmigung verweigern, wenn nicht sichergestellt ist, dass der Anleger zu seinem Recht kommt.

Wie soll das aussehen? Die Mittel, die der BaFin dafür momentan zur Verfügung stehen, reichen kaum aus.

Gerhard Schick: Das ist richtig. Deswegen geht es mir auch darum, der BaFin zunächst einmal diese Aufgabe des Anlegerschutzes auch wirklich zu übertragen. Anschließend muss dafür der entsprechende Personalbestand geschaffen werden. Darüber hinaus ist sinnvoll, auf vorhandene Sachen zurückzugreifen, wie auf Prüfungsunterlagen, die ein Fonds selber liefern muss. Immerhin ist es ja nicht so, dass die BaFin bei jedem Fonds eine Detailrecherche vorgibt, sondern sie soll den Anbieter zwingen, bestimmte Nachweise zu erbringen. Von daher denke ich, das ist – so wie anderen Ländern übrigens auch - machbar.

Eine besser ausgestattete BaFin würde natürlich mehr Kosten verursachen. Wer soll die tragen?

Natürlich werden die Kosten über die Umlage gedeckt, die verschiedene Anbieter zahlen müssen. Insofern finanzieren Banken, Wertpapieranbieter und Versicherungen die BaFin in entsprechenden Anteilen. Sicher würden sie die Kosten auf die Kunden umlegen. Wenn wir uns aber den Schaden ansehen, der heute nach Schätzungen des Verbraucherschutzministeriums bei 30 Milliarden € jährlich liegt, können wir uns schon mehr Kontrolle leisten und es wäre insgesamt volkswirtschaftlich sogar besser. Es ist eine gigantische Ressourcenverschwendung, wenn Geld in unproduktive Anlageformen gelangt oder wenn Anleger über den Tisch gezogen werden, weil sie nicht kontrollieren können, was passiert.

Wäre die BaFin dann quasi eine unabhängige Ratingagentur?

Nein. Es geht nicht um das Rating. Die Beurteilung, ob ein Investment wirtschaftlich interessant ist, muss jeder Investor selber treffen. Allerdings müssen Voraussetzungen geschaffen werden, damit ein Investor überhaupt in die Lage versetzt wird, überprüfen zu können, ob es wirtschaftlich interessant ist. Was wir bei einer Reihe von Produkten feststellen, ist, dass bereits in deren Konstrukt angelegt ist, dass das Investment für einen Anleger schief gehen wird. Die entscheidenden Informationen werden den Investoren allerdings nicht zur Verfügung gestellt. So ist das beispielsweise bei den eben angesprochenen Interessenskonflikten. Da mag das Produkt noch so wirtschaftlich interessant sein. Die Rendite wird nie zum Anleger gelangen, weil sie beim Initiator verbleibt. Das gilt auch für den Fall, dass das Geld nicht dort eingesetzt wird, wo man es erwartet. Das alles kann der Anleger jedenfalls nicht selber überprüfen. Und um dafür Voraussetzungen zu schaffen, sehe ich den Staat in der Pflicht.

Ich bringe manchmal den Vergleich mit dem Lebensmittelmarkt: Ob jemand Döner mag oder nicht, muss jeder für sich selber entscheiden. Allerdings kann man nicht kontrollieren, ob das Fleisch von guter Qualität ist. Das ist die Aufgabe einer staatlichen Lebensmittelbehörde. Würde jeder wissen, dass man sich auf die Qualität nicht verlassen kann, würde niemand Döner kaufen. Dies stellt sich auch in anderen Bereichen so dar. Nur bei Kapitalanlageprodukten sagt man, dass der Investor selber die Risiken herauszufinden hat. Es macht aber eben einen Unterschied herauszufinden, ob ein Produkt "schmeckt", oder ob bestimmte, geheim gehaltene Informationen ein zunächst appetitlich aussehendes Produkt später für mich zu einem Schaden werden lassen. Salmonellen erkenne ich nicht beim Hingucken.

Verbraucherschutz wird von staatlicher Seite nicht anständig betrieben

Um beim Bild des Döners zu bleiben: Manchmal kommen Produkte, die auf der Warnliste von Börse Online stehen, mit leckeren Zusatzstoffen wie zum Beispiel TÜV-Zertifikaten. Wäre es nicht sinnvoll, auch zu schauen, was die Zertifizierungsstellen machen?

Gerhard Schick: Die Zertifizierung über den TÜV ist eine Ausweichreaktion, bei der Glaubwürdigkeit erkauft wird, weil es keine standardisierten Regeln im Markt gibt. Es ist einfach so, dass angebotene Produkte zu komplex und diffus sind, als dass man da mit irgendeinem Siegel werben könnte.

Daneben wird teilweise auch damit geworben, dass ein Produkt von der BaFin geprüft wurde. Das ist aber keine inhaltliche Prüfung, sondern nur eine Prüfung der Plausibilität. Konkret heißt das, dass Anlegern eine Prüfung angedeutet wird, die tatsächlich nicht stattgefunden hat. Wenn eine dritte Stelle als Glaubwürdigkeitsgeber auftritt, so muss man sich also immer klar machen, was sie überhaupt überprüfen kann. Sonst haben wir den Effekt wie bei den Ratingagenturen, wo wir jetzt wissen, dass sie nur auf einer sehr oberflächlichen Ebene bei irgendwelchen Subprime basierten Wertpapieren die Ausfallraten der Vergangenheit kontrollierten, aber keinen Qualitätscheck dahingehend durchführten, ob die Kreditvergabestandards in Ordnung waren. Diese Gefahr besteht auch bei einer TÜV Zertifizierung, wenn keine klaren Standards gelten. Das schlimmste ist ein Zertifikat, das vorspielt, es sei geprüft worden, ohne dass das tatsächlich der Fall war.

Sehen Sie eine Möglichkeit, bei den Ausstellern der Zertifikate regulierend einzugreifen?

Gerhard Schick: Ich setze darauf, die Prüfung bei einer staatlichen Stelle anzusiedeln, denn sonst werden die gleichen Phänomene wie bei den Ratingagenturen auftreten. Wenn der Initiator jemanden dafür bezahlt, dass er ihm ausstellt, gut und glaubwürdig zu sein, stellt sich die Frage, ob er dem Auftrag einer umfassenden Prüfung wirklich nachkommt. Da besteht ein Interessenkonflikt, der beseitigt werden muss. Entweder man schafft also eine staatliche Überprüfung oder wir gehen über die Haftung, dass also derjenige, der ein Zertifikat ausstellt, haftet, wenn seine Prüfung mangelhaft war und etwas schief geht. Jedenfalls darf er sich nicht damit freikaufen können, dass sein Geschäftsmodell in die Krise kommt, sobald er ein schlechtes Zertifikat ausstellt. Bei den großen Ratingagenturen ist das jedenfalls bisher nicht gelungen.

Ein weiteres Problem sind anbieternahe "Verbraucherschützer".

Gerhard Schick: Da gibt es einen großen Missbrauch. Häufig ist es so, dass Menschen, die am Kapitalmarkt gescheitert sind, weil sie - sei es bei Lehman-Brothers-Zertifikaten oder bei Schrottimmobilien - über den Tisch gezogen worden, anschließend in eine zweite Falle laufen - die von Anwälten oder Verbraucherschutzorganisationen. Da gibt es leider viele unseriösen Marktteilnehmer, was einfach damit zu tun hat, dass der Verbraucherschutz von staatlicher Seite nicht anständig betrieben wird.

In Großbritannien gibt es mit der FSA eine Behörde, die in den Markt hinein geht, Testkäufe macht und versucht, schwarzen Schafen das Handwerk zu legen. Dort wird auch nicht gewartet, bis sich einzelne Anlegerinnen und Anleger nach 10 Jahren durch verschiedene Gerichtsprozesse durchgekämpft haben. Dort wird Verbraucherschutz initiativ vor dem Hintergrund betrieben, dass der Staat verantwortlich ist, dass Gesetze durchgesetzt und eingehalten werden.

Das ist in Deutschland nicht der Fall. Deshalb gibt es da eine große Lücke, die mancher Pseudo-Verbraucherschützer füllt, indem er suggeriert, dass er derjenige ist, der die Anlegerinnen und Anleger schützen will, obwohl es allein um die Akquisition von Mandaten geht. Ich erkenne häufig die Konstruktion, dass eine Verbraucherschutzgruppe im Umfeld einer Anwaltskanzlei angesiedelt ist. Dabei nutzt die Anwaltskanzlei das Gewand als reines Akquise-Instrument, indem etwa behauptet wird, man habe sich als Verbraucherschutzorganisation für Schrottimmobilienfälle zusammengetan. So werden Anlegerinnen und Anleger geködert und damit Mandanten akquiriert. Das ist übel und verdirbt den vielen seriösen Anwälten das Geschäft.

Ein weiteres Thema, das wir angehen müssen, sind die Strukturvertriebe. Es ist unsäglich, wie lange man in Deutschland zuschaut, wie auf völlig unseriöse Art mit sehr geringem Qualifikationsstandard Finanzprodukte vertrieben werden.

Was hat die Vermittlerrichtlinie da eigentlich geändert?

Gerhard Schick: Zu wenig. Sie hat an der entscheidenden Stelle eine Ausnahme gemacht. Sobald nämlich ein Unternehmen im Hintergrund steht, muss ich nicht mehr die Qualitätsanforderungen und die Haftungsbedingungen erfüllen. Das war ein gewaltiger Fehler bei der Umsetzung der Vermittlerrichtlinie. Genau dort, wo die meisten Probleme auftreten, hat der Gesetzgeber die Augen zugedrückt.

Bei der Beratung muss die Unabhängigkeit gesetzlich garantiert sein

Warum ist das möglich? Liegt das Problem nur in der Politik?

Gerhard Schick: Wir haben das im Parlament angesprochen. Die Parteien der Großen Koalition befanden es aber für richtig, es genau so zu machen. Da kann man natürlich die Frage stellen, ob Verknüpfungen mit politischen Akteuren eine Rolle spielen. Aus beiden großen Parteien finden sich Vertreter in entsprechenden Unternehmen. Ich glaube, dass das eine Rolle spielt.

Darüber hinaus ist es aber auch so, dass - wenn betroffene Anleger im Nachhinein für ihre individuellen Schicksale kämpfen – in Deutschland noch immer eine Stimmung herrscht, als wäre derjenige, der am Finanzmarkt hereingefallen ist, selber schuld. Bekommt jemand aufgrund eines schadhaften Gerichtes eine Salmonellenvergiftung, würden wir immer den Wirt verantwortlich machen. Wenn aber jemand aufgrund einer schlechten Beratung von einem unqualifizierten Menschen, der Interessenkonflikten unterliegt und Provisionen kassiert, ein schlechtes Finanzprodukt kauft und damit pleite geht, kommt die Frage auf: "Warum hat er auch nicht seine Finger davon gelassen?" Diese Stimmung müssen wir ändern. Es gibt einfach ein Recht darauf - und das ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll - dass wir einen Qualitätsstandard haben, und dass wir dafür Sorge tragen, dass der normale Anleger nicht so leicht geschröpft werden kann.

Ich glaube, dass sich daran im Zuge der Finanzkrise nunmehr etwas ändert. Denn es merken immer mehr Leute, dass es nicht nur persönliches Pech ist. Beispielsweise wird der Interessenkonflikt, der aus der provisionsorientierten Beratung kommt, jetzt thematisiert. Da gibt es mittlerweile entsprechende Gerichtsurteile. Ich glaube, dass wirklich die Chance zu einer politischen Veränderung gegeben ist. Mein Ziel ist, dass wir eine Honorarberatung haben, bei der Unabhängigkeit gesetzlich kontrolliert wird, so dass klar ist, dass es Berater gibt, die in meinem Interesse beraten. Die müssen unabhängig sein von denen, die Produkte anbieten. Provisionen, Kickbacks und ähnliches sind dann ausgeschlossen.

Schauen wir auf die Karrieren von Béla Anda, Bert Rürup und Walter Riester, aber auch auf die Verbindungen von CDU und FDP zum Beispiel zur DVAG. Wir müssen uns doch eigentlich nicht wundern, dass die Regulierungen nicht gekommen sind.

Gerhard Schick: Das ist das, was ich gerade angedeutet habe. Da gibt es Verbindungen von hochrangigen Leuten aus den Parteien, die dahin gewechselt sind. Ich finde es peinlich für jemanden wie Herrn Rürup, dass er seinen Namen für ein Unternehmen hergibt, das immer wieder in der Kritik ist. Und so könnte ich das auch für andere Leute sagen. Trotzdem sind die Bundestagsabgeordneten und die Regierung jetzt in der Verantwortung zu korrigieren. Deswegen habe ich auch die Initiative im Bereich Grauer Kapitalmarkt gestartet, weil wir schauen müssen, dass wir eine gute Regulierung voran kriegen. Nun sind die jetzigen Abgeordneten, die Verbraucherministerin und der Finanzminister in der Pflicht, und da wird man sehen, auf welcher Seite wer steht: auf der Seite von unseriösen Anbietern im Markt, oder auf der Seite der Kundinnen und Kunden.

Wie kann ich als Anleger einen seriösen Berater erkennen?

Gerhard Schick: Natürlich hat man schon heute das Recht nachzufragen, ob bei bestimmten Produkten Provisionen fließen. Es ist aber so, dass das häufig nicht standardisiert ist. Das heißt, ich muss bei jedem Vertriebsweg und bei jedem Produkt wissen, welche konkreten Rechte bestehen. Der Anleger muss immer wissen, was ihm sofort ohne Nachfrage gesagt werden muss, was er auf Nachfrage an Informationen zu erhalten hat und was er auch auf Nachfrage nicht erwarten kann zu erfahren. Diese Unterschiede überfordern den Anleger natürlich. Wenn der Anleger aber genau weiß, welche Aufklärungspflichten den Berater in einer konkreten Beratungssituation treffen, kann er erkennen, ob der Berater dem nachkommt oder nicht, und die Beratungsqualität einschätzen. Das ist genau der Punkt, warum mir ein einheitliches Anlegerschutzniveau so wichtig ist.

Volkswirtschaftlich haben wir ein Interesse daran, dass Geld in sinnvolle, rentable Produkte geht

Häufig ist das aber auch so, dass der Verbraucher auf Informationen verzichtet, weil der Berater ein guter Bekannter ist, der bei einem Strukturvertrieb "etwas über Finanzen gelernt" hat.

Gerhard Schick: Ja, genau. Da muss über gute Qualifikation erst einmal die Grundlage für gute Beratung gelegt werden. Gerade im Hinblick auf die geförderte Altersvorsorge, ist es doch falsch, einen Vertriebsweg zu tolerieren, der systematisch dazu führt, dass die Leute schlechte Produkte kaufen und im Alter doch wieder auf staatliche Transfers angewiesen sind. Volkswirtschaftlich haben wir ein Interesse daran, dass Geld in sinnvolle, rentable Produkte geht, und nicht dorthin gelangt, wo Leute am besten parlieren können und andere über den Tisch ziehen. Deshalb gibt es ein Interesse daran, für Standards im Markt zu sorgen.

Kann man den Anwerbungsversuchen der Strukturvertriebe einen Riegel vorschieben?

Gerhard Schick: Natürlich. Wenn klar ist, dass Finanzprodukte nur mit einem gewissen Qualitätsstandard vertrieben werden dürfen, dann kann niemand über einen Wochenendkurs mal eben zum Finanzexperten werden. Definiert man darüber hinaus gesetzlich, dass ein Finanzberater unabhängig sein muss und nicht daran profitieren darf, welche Produkte er verkauft, dann besteht natürlich die Chance, die typischen Entlohnungsstrukturen in diesem Sektor zu kappen. Das würde die Art und Weise, wie Finanzprodukte in Deutschland vertrieben werden, massiv ändern.

Wäre es dann nicht auch notwendig, den Vertrieben die Hoheit über die Ausbildung zu entziehen?

Gerhard Schick: Genau. Das wäre die logische Folge. Sobald von staatlicher Seite ein Qualifizierungsniveau festlegt wird, muss eine unabhängige Instanz – sei es die IHK oder eine andere Stelle - überprüfen, ob die Leute das Wissen haben.

Schon heute sagen Strukturvertriebe, ihre Mitarbeiter hätten eine IHK-Ausbildung. Was ist der Unterschied zwischen dieser Ausbildung und der Ausbildung, die sie vorschlagen?

Gerhard Schick: Die wesentliche Frage besteht doch darin, welche Tiefe die Ausbildung hat. Geht es im Wesentlichen um Vertriebskenntnisse und Marketingkenntnisse, oder geht es um wirkliche um finanzmarktrelevante Fähigkeiten? Die Frage richtet sich darauf, ob jene Leute tatsächlich Finanzprodukte einschätzen und auch vergleichen können?

Sinnvolle Beratung zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass die finanzielle Lebenssituation des Kunden erfasst wird. Zum anderen müssen verschiedenen Produkte aufgrund ihrer Qualität eingeschätzt und verglichen und dem Kunden sodann ein sinnvolles Produkt empfohlen werden. Das kann niemand nach zwei Wochenendkursen. Das erfordert vertiefte Kenntnisse von Finanzprodukten. Dazu gehören beispielsweise auch mathematische Fähigkeiten. Insgesamt ist das Qualifikationsniveau bisher jedenfalls nicht ausreichend.

Sehen Sie bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag dafür ernsthafte Chancen?

Nein. Ich habe in der letzten Legislaturperiode wahrgenommen, dass die Grünen die Partei waren, die am konsequentesten das Thema Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten bearbeiteten, dafür allerdings aus keiner anderen Partei wirklich große Unterstützung bekommen haben. Das änderte sich im Zuge der Finanzkrise ein wenig. So versuchte gerade Frau Aigner, sich dieses Themas anzunehmen. Solange aber das Finanzministerium den Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten nicht als relevant für die Ordnung des Finanzsektors begreift und solange nicht verstanden wird, dass es um die Qualität des Vertriebs und der Produkterstellung in dieser Branche geht, wird das Thema ein Randthema bleiben. Ich meine, dass die Neuordnung des Finanzsektors nach dieser Krise konsequent vom Standpunkt des Kunden gedacht werden muss. Märkte sind nur dann gut, wenn sie gut für den Kunden sind. Das ist eine klare ordnungspolitische Position: Der Markt muss für den Kunden gut sein, und das ist der Finanzmarkt derzeit nicht.

Das Rechtssystem ist bislang nicht anlegerfreundlich

Besteht für die geprellten Anleger derzeit die Möglichkeit, effizient gerichtlich gegen ihre Anbieter vorzugehen?

Gerhard Schick: Da gibt es verschiedene Hürden. Insgesamt kann man sagen, dass das Rechtssystem nicht anlegerfreundlich ist. Die erste Hürde, weshalb viele Betroffene nicht klagen, liegt darin, dass in den Rechtsschutzversicherungen genau dieser Bereich ausgenommen ist. Damit besteht ein enormes Risiko, die Kosten eines Rechtsstreits selber tragen zu müssen. Und jemand, der gerade 30.000 Euro verloren hat, ist in der Regel nicht bereit, ein juristisches Risiko einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage einzugehen.

Die zweite Hürde besteht darin, dass wir in der Justiz über zu wenig Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Strafkammern im Bereich der Wirtschaftskriminalität verfügen. Ich will nicht sagen, dass unsere Justiz schlecht ist. Allerdings sind im Bereich des Finanzmarktes stets neue komplexe und schwierige Finanzkonstrukte zu verstehen, wofür es Zeit und Spezialisten braucht. Und da sehe ich nicht, dass unsere Justiz gut genug aufgestellt ist. Darüber hinaus sind auch immer wieder fehlerhafte Judikate zu beobachten gewesen. Eines der dramatischsten war sicher das Fehlurteil hinsichtlich der Göttinger Gruppe, womit Verbraucherschützern praktisch verboten wurde, vor einem Schneeballsystem zu warnen. Insgesamt muss man sich nur anschauen, wie wenig Verurteilungen es im Zuge der Finanzmarktkrise von Bankern und Managern hinsichtlich Betrug, Insiderhandel und Untreue gegeben hat. Zusätzlich ist diese Problematik auch bei der Finanzaufsicht angesiedelt. So werden der BaFin zwar sehr viele Fälle von Insiderhandel gemeldet. Allerdings gibt es nur wenige Verfahren und Verurteilungen. Das ist erstaunlich und offenbart meines Erachtens ein Defizit.

Ein Vorschlag im aktuellen Antrag der Grünen zum Grauen Kapitalmarkt ist die verpflichtende Einführung eines Beratungsprotokolls. Kritiker sagen, das nützt nur cleveren Vertretern, die ihren Kunden für sie nachteilige Beratungsprotokolle unterjubeln können.

Gerhard Schick: Das ist im Kontext mit der Unabhängigkeit der Berater zu sehen, die wir uns vorstellen. Dadurch, dass wir gerade diese provisionsorientierte Beratung kappen, ergibt ein Beratungsprotokoll einen Sinn. Ich teile aber die Ansicht, dass heute die Gefahr besteht, dass der Kunde in Anbetracht der Flut an Informationen ein Beratungsprotokoll unterschreibt, dass er nicht versteht.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich mittelfristig etwas an dieser Situation verbessert, vielleicht auch durch einen Impuls aus Brüssel?

Gerhard Schick: Ja. Neue Richtlinien und Vorhaben auf der europäischen Ebene werden das Thema Zertifikatemarkt wohl etwas besser angehen als bisher. Ich glaube, wir haben es geschafft, das Thema Grauer Kapitalmarkt auf die Tagesordnung zu setzen. So war es eben auch durch die Vorschläge der BaFin und aus der Branche gelungen, über die Anhörung hinaus ein Bewusstsein zu schaffen, dass etwas passieren muss. So meinte selbst der Verband der Geschlossenen Fonds, dass bestimmte Regulierungsbedürfnisse bestehen. Da sind wir uns teilweise einig. Deswegen glaube ich, dass es eine Chance gibt, jetzt etwas zu tun. Der Koalitionsvertrag ist da nicht eindeutig. Immerhin ist aber die Linie erkennbar, dass ein einheitliches Anlegerschutzniveau vorangetrieben werden soll. Allerdings bin ich mir nicht sicher, an welchen Stellen konkret etwas passieren wird. Aber ich glaube, dass es zumindest Detailverbesserungen am Grauen Kapitalmarkt geben wird.

Fassen wir doch einmal die aktuelle Situation zusammen. Es gibt Verbraucherschutzvereinigungen, die keine sind. Es gibt Strukturvertriebe, die die durch die Finanzkrise verursachte steigende Arbeitslosigkeit und Verunsicherung der Menschen ein unglaubliches Reservoir an potentiellen neuen Vertriebsmitarbeitern haben. Welche Sofortmaßnahmen sollten jetzt ergriffen werden, um noch die Kohlen aus dem Feuer zu holen?

Gerhard Schick: Den Schalter kann man nicht in einer Woche umlegen. Dazu ist das zu tief verankert. Ich habe einmal den Vergleich gezogen und gesagt, dass es in etwa so ist, als wenn man von Opel verlangte, dass sie jetzt Fahrräder produzieren. Wir haben bisher einen Finanzsektor in Deutschland, der in vielen Stellen an den Bedürfnissen der Menschen vorbei produziert. Die Finanzbranche wollen wir dazu zwingen, dass sie sich an den Belangen der Kunden ausrichtet. Das wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Auf der Produktseite glaube ich aber, dass man mit unseren Regulierungsvorschlägen die Schutzlücke Grauer Kapitalmarkt und die Schutzlücke bei Zertifikaten schließen kann. Bei der Beratung ist die entscheidende Frage, ob wir es schaffen, die Beweislast umzukehren. Damit könnte man relativ schnell etwas verändern.

Ich würde noch hinzunehmen, dass künftig die Entlohnung für die Beratung und die Entlohnung für das Produkt getrennt werden muss. So wird das etwa in Großbritannien gemacht. Das ist etwas, was man relativ schnell einführen kann und das sehr unangenehm ist, weil die Kosten der Beratung dann offen gelegt werden müssen. Man sieht, welch hohen Anteil die Beratungskosten am Produkt eigentlich haben. Das würde Anlegerinnen und Anlegern schnell vor Augen führen, dass sie heute implizit enorm viel für eine Beratung zahlen, die häufig ihr Geld nicht wert ist.