Das kubanische Hungerstreik-Problem

Nach dem Hungertod von Orlando Zapata versucht die Opposition in Kuba die Lage zuzuspitzen

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Nach dem Tod des bisher weitgehend unbekannten Orlando Zapata Tamayo in Kuba wird die Karibikinsel ins Rampenlicht gezerrt. Seinen Hungerstreik für bessere Haftbedingungen hatte der Maurer isoliert durchgezogen und erst nach seinem Tod haben nun fünf Regimegegner ihrerseits mit einem Hungerstreik begonnen. Zapata wird nun zum Helden und Märtyrer stilisiert. Man fragt sich aber, warum er von den Dissidenten nicht in der Liste der 75 geführt wurde, die zum gleichen Zeitpunkt im März 2003 verhaftet wurden.

Nach dem Hungertod des kubanischen Dissidenten Orlando Zapata Tamayo in der vergangenen Woche verweigern nun weitere fünf Oppositionelle auf der Karibikinsel die Nahrungsaufnahme. Es sind die Gefangenen Eduardo Díaz Fleitas, Diosdado Gonzalez, Nelson Molinet und Fidel Suárez Cruz, die in zwei verschiedenen Gefängnissen von Pinar del Río sitzen. Sie wurden im März 2003 verhaftet und wegen "Konspiration" mit den USA gegen Kuba zu Haftstrafen von 21 und 20 Jahren verurteilt. Dazu hat sich auch der nicht inhaftierte Psychologe Guillermo Fariñas dem Hungerstreik angeschlossen. Die "Kubanische Kommission für Menschenrechte und Nationale Versöhnung" (CCDHRN) teilte mit: "Das Ziel des Protests ist, gegen den Tod von Zapata zu protestieren und die Freilassung aller politischen Gefangenen zu fordern." Der Vorsitzende der Kommission, Elizardo Sánchez, warf der kubanischen Regierung "vorsätzlichen Mord" an Zapata vor, weil ihm zu lange ärztliche Hilfe vorenthalten worden sei.

Offensichtlich ist, dass der Tod des 42-Jährigen nun genutzt werden soll, um national und international den Druck auf Kuba zu erhöhen. So behauptet der hungernde Psychologe Fariñas: "Es war kein Fehler, sie haben ihn bewusst sterben lassen." Das darf bezweifelt werden, weil nicht die Regierung etwas von seinem Tod hat, sondern eher die Opposition davon profitiert. Und deren Kalkül scheint aufzugehen. Die Freilassung der politischen Häftlinge in Kuba sei eine "grundlegende Forderung der internationalen Gemeinschaft", erklärte nun auch der amtierende EU-Ratspräsident. Damit unterstützt auch Spaniens Regierungschef José Luis Rodriguez Zapatero, der sich bisher für einen "kritischen Dialog" mit Kuba einsetzte, die Forderungen der Dissidenten im Hungerstreik und forderte von der kubanischen Führung die strikte Einhaltung der Menschenrechte.

Mit den klaren Worten in Richtung Havanna korrigierte sich Zapatero. Er war wegen zaghafter Äußerungen zuvor heftigem Druck ausgesetzt. Kurz nach dem Tod Zapatas hatte er noch diplomatisch erklärt, alle Staaten müssten bis zum letzten Augenblick das Leben der Bürger achten, ohne Kuba direkt anzusprechen. Mit der neuen Sprachwahl schwenkte Zapatero auf US-Kurs ein. Denn zuvor hatte sich US-Außenministerin Hillary Clinton "zutiefst bestürzt" über den tödlichen Ausgang des Hungerstreiks gezeigt. "Wir sind alarmiert über die Situation von politischen Häftlingen in Kuba", sagte sie in Washington. Ihr Ministerium verlangte die unverzügliche Freilassung der inhaftierten Oppositionellen.

Zapata war ein Außenseiter der Oppositionellen, die ihn nun zum Märtyrer machen wollen

Doch die, die aus Zapata nun einen Märtyrer machen wollen, hatten zu Lebzeiten meist Abstand zu diesem Gefangenen gehalten. Auch deshalb blieb sein Hungerstreik isoliert. Anders ist auch kaum zu verstehen, dass Zapata erst jetzt so richtig als Dissident und politischer Gefangener reklamiert wird. Anders als die vier Gefangenen, die nun in den Hungerstreik getreten sind, gehörte er nicht zu den "75", die im "Schwarzen Frühjahr" verhaftet wurden. So nennt die Opposition die Verhaftungen im März 2003. Dabei wurde auch Zapata zum gleichen Zeitpunkt wie die 75 verhaftet. Auf den Listen, auf der die Opposition politische Gefangene in Kuba ausweist, fand man seinen Namen nicht. Weder auf der Liste mit den 61 Namen derer, die noch im Gefängnis sitzen, noch auf der Zusatzliste mit 14 Namen, die aus gesundheitlichen Gründen längst Haftverschonung erhielten. Diese Listen stammen vom Februar 2005. Also zwei Jahre nach seiner Verhaftung war Zapata für die Dissidenten offenbar noch keiner der ihren.

Auch auf der Gesamtliste der politischen Gefangenen, die insgesamt sogar 347 Namen führt, sucht man noch im Juni 2006 den Namen des 42-Jährigen vergeblich. Deshalb greift die Analyse der spanischen Zeitung El País viel zu kurz, die behauptet, die Regierung habe ihn willkürlich von den 75 abgegrenzt. So wird nämlich nicht beantwortet, warum er sogar noch drei Jahre nach der Verhaftung nicht auf den langen Listen auftaucht, die von den Oppositionellen erstellt wurden.

Anders als die 75, die als "Söldner" der USA bezeichnet werden und Haftstrafen bis zu 28 Jahren erhielten, wurde Zapata von der kubanischen Justiz eine ganz andere Behandlung zuteil. Wegen "Widerstand" und "Ungehorsams" erhielt er in einem gesonderten Verfahren eine Haftstrafe von drei Jahren. Erst danach erhöhte sich die Strafe im Knast auf 36 Jahre. Wie es dazu kam, darüber gehen die Angaben auseinander. El País schreibt mit Bezug auf Dissidentenkreise, er habe sich nicht "gebeugt" und "Ungerechtigkeiten" nicht hingenommen, weshalb es die Wärter auf ihn abgesehen gehabt hätten.

Ganz anders stellt das die kubanische Zeitung Granma dar. Sie weist auf das lange Strafregister und das "aggressive Verhalten" des Gefangenen hin, dessen Straffälligkeit schon 1998 begonnen habe. Damals sei es erstmals zu einem Verfahren wegen "Hausfriedensbruch" gekommen. Danach folgten "leichte Körperverletzung", "Betrug", "Körperverletzung und Besitz einer Stichwaffe", bei der er mit einer Machete einem Menschen einen Schädelbruch zugefügt haben soll, und andere Vergehen, die so gar nichts mit Politik zu tun hatten.

Allerdings greift auch die Granma zu kurz, wenn sie beschreibt, es habe sich um einen "gewöhnlichen Strafgefangenen" gehandelt. Sein "Profil" als politischer Aktivist habe er erst 2003 nach einer kriminellen Biographie angenommen, um nach der erneuten Inhaftierung an materielle Vergünstigungen zu kommen und den Schutz ausländischer Botschaften zu bekommen. Er habe absurde und "unerfüllbare Forderungen" aufgestellt, wie ein eigenes Telefon und einen Fernseher in der Zelle. Die "Köpfe", die ihn zum Hungerstreik aufgestachelt hätten, würden derlei nicht fordern. Sie beendeten ihre Hungerstreiks auch stets, bevor körperliche Schäden zu befürchten seien. Genau hier ist das Problem in der Argumentation der Granma: Wenn es Zapata nur um Vergünstigungen gegangen wäre, hätte er kaum über 85 Tage einen Hungerstreik bis zum Tod durchziehen können. Dazu braucht es etwas mehr. Schließlich, und das ist nichts Ungewöhnliches, kann man sich auch im Knast politisieren.

Schwierige Lage für Kuba, Doppelmoral der Kritik

Tatsächlich hat der sehr starke Wille von Zapata nun Kuba in eine schwierige Lage gebracht. Schließlich führte Amnesty International ihn als einen der 55 politischen Gefangenen und fordert eine Untersuchung. Kuba konnte keinerlei Interesse an einem Tod von Zapata haben, wie behauptet wird. Denn der Tod, das war klar, würde die zaghafte Annäherung an Europa und die USA torpedieren und kann die Proteste radikalisieren. Doch Zapata schuf mit seiner Haltung eine Zwickmühle. Hätte die kubanische Regierung die Zwangsernährung angeordnet, um ihn gegen seinen Willen am Leben zu erhalten, hätte Kuba sich zu Recht Vorwürfe gefallen lassen müssen zu versuchen, mit diesem grausamen Mittel seinen Hungerstreik zu brechen. Man entschloss sich stattdessen zur parenteralen Ernährung, also dem Versuch der intravenösen Zuführung von Nährlösungen, und scheiterte.

Doch die brutale Zwangsernährung wurde und wird immer wieder von Staaten eingesetzt, die nun Kuba hart kritisieren. Auch dabei gibt es immer wieder Tote. Zu nennen wäre in Deutschland Holger Meins (1974) oder Sigurd Debus (1981), die in Hungerstreiks ihr Leben verloren. 1990 starb zum Beispiel in Spanien der Gefangene José Manuel Sevillano nach 177 Tagen im Hungerstreik und unter Zwangsernährung. 432 Tage zog sich die Tortur für einige Gefangene der GRAPO hin, bis sie ihren Hungerstreik letztlich abbrachen. Weit über 100 Gefangene hungerten sich noch bis vor wenigen Jahren mit einem Todesfasten in der Türkei zu Tode, um gegen die Einführung von menschenunwürdigen Isolationsgefängnissen zu protestieren. Um diesen Streik zu brechen, wurden sogar Knäste gestürmt und dabei wurden 28 Gefangene umgebracht (Der Kampf gegen den stillen Tod).

In keinem Fall ist aber ein ähnlicher Protest bekannt, wie er sich jetzt im Fall von Zapata gegen Kuba wendet. Wie Kuba gesteht weder die Türkei noch Spanien die Existenz von politischen Gefangenen ein. Dabei werden sowohl in der Türkei (Frieden in weite Ferne gerückt) als auch in Spanien Parteien verboten und Politiker und Journalisten inhaftiert. Spanien ist sogar Mitglied der EU und kann folgenlos jährlich die massive Kritik von Menschenrechtsorganisationen an sich abgleiten lassen, dass in dem Land noch immer gefoltert wird und auch Zeitungen geschlossen werden. Das geschieht auch illegal, wie schon in einem Fall gerichtsfest ist.

So darf es eigentlich nicht wirklich verwundern, wenn sich Kuba von dieser Seite aus genauso wenig Lektionen in Menschenrechtsfragen erteilen lassen will, wie von den USA. Zu Recht verweist die kubanische Regierung auch auf das Lager, das die USA in Guantanamo auf der Insel Kuba unterhält. Denn dort wird bzw. wurde systematisch gefoltert und es kommt immer wieder zu merkwürdigen Todesfällen, die als Selbstmorde getarnt werden. Dort sind auch unter Obama noch immer Menschen gegen alle Rechtsgrundsätze der USA und ohne Urteile inhaftiert.