Grund zur Freude für die Musikindustrie?

Was bringt das Vorratsdatenspeicherungs-Urteil (Teil 3)

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Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 2.3.2010 zur umstrittenen Vorratsdatenspeicherung ist insbesondere die Rolle der IP-Adressen Anlass zur Besorgnis. Und für die Musikindustrie sicherlich Grund für neues vehementes Lobbying.

Kaum war das Urteil des obersten Gerichtes zum Thema VDS gesprochen, zeigte sich die Musikindustrie bereits zufrieden und wähnte sich in ihren Auffassungen bestätigt. Anlass zur Freude bot nach ihrer Ansicht der folgende Teil des Urteils:

Freilich besteht umgekehrt auch ein gesteigertes Interesse an der Möglichkeit, Kommunikationsverbindungen im Internet zum Rechtsgüterschutz oder zur Wahrung der Rechtsordnung den jeweiligen Akteuren zuordnen zu können. [...] In einem Rechtsstaat darf auch das Internet keinen rechtsfreien Raum bilden. Die Möglichkeit einer individuellen Zuordnung von Internetkontakten bei Rechtsverletzungen von einigem Gewicht bildet deshalb ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers. Soweit für entsprechende Auskünfte seitens der Diensteanbieter unter den derzeitigen technischen Bedingungen, nach denen IP-Adressen überwiegend nur für die jeweilige Sitzung ("dynamisch") vergeben werden, Telekommunikationsverkehrsdaten ausgewertet werden müssen, wirft dieses folglich keine prinzipiellen Bedenken auf."

Was die Musikindustrie hier aber elegant unter den Tisch fallen ließ, waren die Einschränkungen, die die Karlsruher Richter hier explizit festgelegt haben. Denn durch den obigen Absatz ist das Thema der Rechtsgüterverletzung für das Bundesverfassungsgericht ja keineswegs als "erledigt" abgehakt gewesen, vielmehr wurde noch einmal dem Denken, dass die Daten für jedwede Rechtsgutverletzung, Ordnungswidrigkeit usw. zur Verfügung stehen sollten, eine Absage erteilt.

Das erhebliche Gewicht des Eingriffs solcher Auskünfte erlaubt es indessen nicht, diese allgemein und uneingeschränkt auch zur Verfolgung oder Verhinderung jedweder Ordnungswidrigkeiten zuzulassen. Die Aufhebung der Anonymität im Internet bedarf zumindest einer Rechtsgutbeeinträchtigung, der von der Rechtsordnung auch sonst ein hervorgehobenes Gewicht beigemessen wird. Dies schließt entsprechende Auskünfte zur Verfolgung oder Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten nicht vollständig aus. Es muss sich insoweit aber um - auch im Einzelfall - besonders gewichtige Ordnungswidrigkeiten handeln, die der Gesetzgeber ausdrücklich benennen muss.

Das bedeutet zwar, dass für die reine Abfrage der Nutzerdaten, die zu einer IP-Adresse gehören, weniger strenge Auflagen geknüpft sind als an die Abfrage von den sonstigen, durch die VDS gespeicherten Daten (wenn diese wieder gespeichert werden sollten, was momentan ja durch das Urteil beendet wurde), es bedeutet jedoch nicht, dass eine solche Abfrage zwangsläufig legitim ist. Es obliegt dem Gesetzgeber, hier im Sinne der Normenklarheit dafür zu sorgen, die Fälle, in denen eine Abfrage legal ist, eindeutig zu benennen. Diese Fälle müssen, wie Karlsruhe klargestellt hat, jedoch Fälle sein, denen ein "hervorgehobenes Gewicht" beigemessen wird. Ob eine Urheberrechtsverletzung bzw. eine ohne Einverständnis der Verwertungsrechteinhaber ausgeübte Verwertung eines urheberrechtlich geschützten Werkes ein solcher Fall sein wird, ist derzeit noch offen.

Die Provider werden bei der Abfragewut der Musikindustrie auch durch die neuen Benachrichtigungspflichten einige neue Funktionen implementieren müssen. Denn das oberste Gericht stellte klar, dass auch bei der Nutzerabfrage nicht von einer Benachrichtigung des Betroffenen abgesehen werden darf.

Auch gibt es keinen Grund, für die Identifizierung von IP-Adressen den Grundsatz der Transparenz (siehe oben C V 3) zurückzunehmen. Der Betroffene, der in der Regel davon ausgehen kann, das Internet anonym zu nutzen, hat prinzipiell das Recht zu erfahren, dass und warum diese Anonymität aufgehoben wurde. Dementsprechend hat der Gesetzgeber jedenfalls Benachrichtigungspflichten vorzusehen, soweit und sobald hierdurch der Zweck der Auskunft nicht vereitelt wird oder sonst überwiegende Interessen Dritter oder des Betroffenen selbst nicht entgegenstehen.

Hier ist anzunehmen, dass die Musikindustrie argumentieren wird, dass eine Benachrichtigung der Beschuldigten zur Beweismittelvernichtung führen könnte, was jedoch angesichts der Tatsache, dass eine Abmahnung zum gleichen Ergebnis führen kann, nicht nachvollziehbar ist. Für die Musikindustrie steht somit eine Menge Lobbyarbeit an, um zu bewirken, dass die Rechtsgutverletzungen, für die sie einen Auskunftsanspruch verlangen, auch vom Gesetzgeber entsprechend in Gesetzestexte zementiert werden.

Hoffen auf Three Strikes?

Die Hoffnung der Musikindustrie auf möglichst direkte Auskunftsansprüche und den umstrittenen "Three-Strikes"-Vorschlag (Kappung des Netzzuganges nach dreimaliger Verletzung von Verwertungsrechten bei urheberrechtlich geschützten Werken) ist letztendlich nichts anderes als ein Klammern an alte Gepflogenheiten. Schon jetzt ist bei einem Blick in gängige Tauschbörsen zu bemerken, dass die vermeintlichen Abschreckungsmaßnahmen wenig fruchten, dazu kommen verschlüsselte und dezentrale Datenaustauschmöglichkeiten sowie schnelle Internetverbindungen sowie diverse Gründe für den Tausch von urheberrechtlich geschütztem Material, die von Wut auf die Verwertungsindustrie über Geldknappheit bis zu der Überzeugung, dass das Verwertungsrecht in seiner jetzigen Form überholt ist, reichen.

Es ist weniger Fatalismus denn Realismus, wenn man konstatiert, dass das, was die Musikindustrie als "Raubkopierertum über Tauschbörsen" nennt, nicht zu stoppen sein wird - auch nicht über Netzzugangskappungen. Bedenkt man, dass das Bundesverfassungsgericht beim Urteil zur Onlinedurchsuchung die grundlegende Bedeutung des Netzes für die heutige Zeit erkannt hat, ist fraglich, ob die Musikindustrie mit ihren Wünschen auf Wohlwollen stößt. Auch die möglichst hoch angesetzten Abmahngebühren und dergleichen mehr werden nicht wirklich dazu beitragen, dass das bisherige Geschäftsmodell weiter funktioniert. Denn, einfach ausgedrückt: Bei einer Vielzahl von Menschen ist mittlerweile "nichts mehr zu holen", d. h., die Androhung von hohen Geldstrafen wird lediglich zu einem Heben der Hand im Sinne der eidesstattlichen Versicherung führen. Die Musikindustrie wäre somit gut damit beraten, sich der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zuzuwenden, anstatt darauf zu hoffen, dass durch Abschreckungsmaßnahmen ihr altes wieder wie in den Neunziger Jahren läuft.