"Club Med"-Staaten in der Zwickmühle

Setzen die Griechen oder Spanier die Sparpläne tatsächlich so um wie geplant, ist eine ökonomische Katastrophe unausweichlich

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Die südlichen Euroländer haben sich allesamt recht hehre Ziele gesetzt, wie sie ihre makroökonomischen Verhältnisse ins Maastricht-konforme Lot bringen wollen. Die Griechen wollen beispielsweise ihr Budgetdefizit bis 2012 von derzeit 12,7 auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts senken, während sich Spanien dafür immerhin bis 2013 Zeit gibt.

Ein kleiner Ausflug in die Makroökonomie legt in beiden Fällen allerdings nahe, dass es schlichtweg unmöglich sein dürfte, diese Ergebnisse auch nur annähernd zu erreichen. So setzt die Volkswirtschaftslehre, wenn es um Aggregate aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wie dem Budgetdefizit, den privaten Ersparnissen oder der Leistungsbilanz eines Staates geht, so genannte "Identitäten" voraus. Dabei handelt es sich übrigens nicht um irgendwelche ökonomischen Theorien, die stimmen können oder auch nicht, sondern um eine Art von buchhalterischem Rechnungswesen, das den Zusammenhang dieser Wirtschaftsdaten ausdrückt.

Demnach müssen in jeder Volkswirtschaft definitionsgemäß in jeder Periode beispielsweise die Gesamteinnahmen den Gesamtausgaben entsprechen, da jede Ausgabe jemandes Einkommen darstellt. Gleichzeitig müssen die gesamten Ersparnisse den gesamten Investitionen in produktives Kapital entsprechen, wobei jeweils über den Auslandssektor ein Ausgleich erfolgt. Teilt man eine Ökonomie also in mehrere Sektoren, etwa in den Privatsektor (Haushalte und Unternehmen), die Regierung und das Ausland, dann lässt sich für jeden Sektor eine Bilanz ziehen. Beim Auslands-Sektor ist dies beispielsweise die Leistungsbilanz, die passiv ist, wenn ein Staat mehr Güter und Dienstleistungen aus dem Ausland bezieht, als er liefert. Regierungen haben in der Regel ein Budgetdefizit und beim Privatsektor spricht man von der üblicherweise positiven Sparquote.

Jeder Sektor für sich kann nun positiv oder negativ bilanzieren, in Summe müssen alle drei definitionsgemäß aber genau ausgeglichen sein. Folglich kann ein Sektor nur dann Überschüsse generieren, wenn ein anderer Sektor Schulden macht. Dementsprechend kann nur ein Land mit einem Leistungsbilanzüberschuss gleichzeitig eine positive Sparquote und einen Budgetüberschuss erzielen.

So lässt sich anhand der letzten verfügbaren Daten der Spanischen Zentralbank für Spanien aus dem Budgetdefizit von zuletzt 12,7 Prozent und einer privaten Sparquote von 18,7 Prozent ganz einfach auf ein Leistungsbilanzdefizit von sechs Prozent schließen, wobei diesem Defizit aufgrund einer weiteren Buchhaltungsidentität definitionsgemäß (wenn man die Marktpreisänderungen der bestehenden Schulden und Vermögenspositionen ignoriert) ein gleich hoher Anstieg der Auslandsverschuldung resultiert.

Abgesehen von Italien, dessen Budgetabgang laut offiziellen Angaben bei "nur" 5,3 Prozent liegt und dessen Leistungsbilanzdefizit sich im 3. Quartal 2009 auf bescheidene 2,8 Prozent belief, haben die anderen südlichen Euroländer allesamt zweistellige Budgetabgänge und Leistungsbilanzdefizite von jeweils mehr als fünf Prozent, so dass sich makroökonomisch überall recht ähnliche Probleme wie in Spanien ergeben.

Das spanische Dilemma

Will Spanien nun das Budgetdefizit auf drei Prozent reduzieren, müssten das Leistungsbilanzdefizit und die Ersparnisse zusammen also um insgesamt 9,7 Prozent des BIP, zurückgehen. Das könnte bei der Sparquote vielleicht sogar teilweise gelingen, denn immerhin ist die spanische Sparquote von rund 12 Prozent Anfang der neunziger Jahre bis 2007 auf schlappe 3,3 Prozent des verfügbaren Einkommens zurückgegangen, so dass die Haushalte inzwischen mit 130 Prozent des verfügbaren Einkommens nun recht hoch verschuldet sind. In der Krise ist die Sparquote dann aber förmlich explodiert, so dass im 3. Quartal 2009 der genannte Rekordstand erreicht wurde – und das ist kein Niveau, von dem anzunehmen ist, dass es lange Zeit gehalten werden wird.

Jedoch nimmt in Spanien auch niemand ernsthaft an, dass die Sparquote wieder auf die Niveaus der Boomzeiten zurückgehen werde. Das allein schon deshalb, weil die Sparquote netto aus der Differenz von neuen Ersparnissen und neuen Schulden berechnet wird, und die neuen Kredite, die von den Ersparnissen abgezogen werden müssen, derzeit einfach viel schwerer zu bekommen sind. So resultiert die hohe Quote offenbar allein daraus, dass die reicheren Bevölkerungsschichten noch weniger von ihrem Einkommen ausgeben und angesichts der tristen Wirtschaftslage auf den demonstrativen Konsum verzichten. Die unteren Einkommensschichten und die fast 20 Prozent Arbeitslosen dürften hingegen derzeit großteils gezwungen sein, sich zu verschulden, allein um ihr Leben zu fristen, erhalten dafür aber kaum Finanzierungen.

So wie in fast allen Industriestaaten hat sich in der Krise aber auch in Spanien das außenwirtschaftliche Defizit deutlich reduziert. Denn durch den abrupten Konsumrückgang gingen die Importe viel stärker zurück als die Exporte, so dass das Leistungsbilanzdefizit von zuvor horrenden zehn Prozent auf die besagten sechs Prozent zurückging. Könnte das Leistungsbilanzdefizit um weitere drei Prozent gesenkt werden, dann würde es also reichen, wenn die Sparquote auf die früher üblichen zwölf Prozent zurückginge. Das scheint aber kaum möglich, insbesondere da mit einem Rückgang der Sparquote der Konsum zunehmen würde und dadurch auch die Importe.

Bliebe als Ausgleich der Verkauf von spanischen Vermögenswerten an Ausländer, was auch nicht ganz ausgeschlossen ist. Denn immerhin waren spanische Immobilien bei Nordeuropäern ausgesprochen begehrt, als die Preise noch nicht durch die Decke gegangen waren. Allerdings fallen die bislang so kaufwütigen Briten makroökonomisch vorerst wohl aus, da Großbritannien derzeit wohl noch größere außenwirtschaftliche Probleme hat als der gesammte Club-Med und daher kaum an einer Währungsabwertung vorbeikommen wird.

Nun da sich die spanischen Immobilienpreise im freien Fall befinden, könnte – ein Ausbleiben weiterer weltweiter Finanzkrisen vorausgesetzt – aber durchaus wieder eine Kaufwelle einsetzen, wofür aber wohl nur deutsche Käufer in Frage kommen, sollten nicht die Erdölexporteure und die asiatischen Überschussländer ihre Liebe zu spanischen Immobilien entdecken. Sollte das jedoch geschehen, hätte das immerhin den zusätzlichen Vorteil, dass dadurch auch die Dienstleistungsumsätze im Tourismus wieder ansteigen könnten. Denn bei einem Anteil von gerade einmal 30 Prozent von Landwirtschaft und Industrie am BIP bleiben die Möglichkeiten für Warenexporte von vornherein eher beschränkt.

Sollten sich Ausländer hingegen nicht in ausreichendem Masse für spanische Immobilien interessieren und die Leistungsbilanz vielleicht sogar wieder weit ins Minus rutschen, dann müsste der Privatsektor das Sparen indes weitgehend aufgeben, was angesichts der tristen Aussichten am Arbeitsmarkt und den bereits jetzt zu hohen Schulden wohl nur mit Zwang oder sehr verwegenen Stimulierungsmaßnahmen erreichbar wäre. Darüber hinaus dürfte die sinkende Sparquote vor allem durch steigende Schulden bei den bereits jetzt hoch verschuldeten Haushalten und Unternehmen resultieren, und weniger daraus, dass die Reichen ihr Geld plötzlich mit vollen Händen zum Fenster hinaus werfen. Die folglich weiter steigenden privaten Schulden würden dann aber sicherlich zu beträchtlicher wirtschaftlicher Instabilität und vermutlich auch zu weiteren schweren Finanzkrisen führen.

Um diese üblen Folgen zu vermeiden müsste die Regierung jedenfalls alles unternehmen, um die Leistungsbilanzdefizite abzubauen. Das würde bedeuten, inländische Produktionsfaktoren - also vor allem Arbeit - zu verbilligen, um die internationale Konkurrenzfähigkeit zu steigern. Denn einfach die Importe durch höhere Zölle oder eine Währungsabwertung zu verteuern, ist aufgrund des gemeinsamen EU-Marktes schlichtweg unmöglich. Bliebe also die Entlastung der Arbeitseinkommen, die dann aber mit einer drastischen Erhöhung der Verbrauchssteuern und der Vermögenssteuern kompensiert werden müsste.

Wie die Konkurrenzfähigkeit der Industrie aber in nur drei Jahren in der erforderlichen Weise gesteigert werden soll, dürfte wohl weder von der EU-Kommission noch von der spanischen Regierung erklärt werden können, insbesondere da Spanien seine Währung ja nicht gegenüber dem Eurozonen-Ausland abwerten kann, mit dem es den Großteil seines Defizits einfährt. Darüber hinaus trifft diese Problematik ja nicht nur Spanien, sondern alle südlichen EU-Länder, die sowohl im Tourismus wie bei den Agrarexporten um die Gelder der nördlichen Euroländer konkurrieren.

Abwertung des Euro

Bliebe als "Königsweg" eine dauerhafte und kräftige Abwertung des Euro, was den Südeuropäern innerhalb Europas zwar keine speziellen Vorteile bringt, aber die Wettbewerbsposition der gesamten Eurozone verbessern würde. Immerhin meint Robert Mundell, der für seine Forschungen zu Währungsräumen den Nobelpreis erhalten hat und als ideeller Vater der Eurozone gilt, dass ein Austauschverhältnis zum US-Dollar von über 1,40 für die Eurozone unerträglich sei und um jeden Preis vermieden werden sollte. Zwar ging das Leistungsbilanzdefizit der Eurozone 2009 von zuvor 140,6 Milliarden Euro im Vorjahr auf 59 Milliarden Euro zurück. Ins Plus drehte sie sich jedoch erst im Dezember, als sich der Euro gegenüber dem Dollar auf Talfahrt begeben hatte und ein Überschuss von 1,9 Milliarden Euro erzielt wurde.

Mundell hält indes einen Wechselkurs von 1,10 bis 1,20 Dollar je Euro für angemessen, doch erscheint dieses Niveau ohne massive Interventionen der EZB allen Angriffen internationaler Spekulanten zum Trotz allenfalls kurzzeitig erreichbar. Denn zum einen sind die Staatsfinanzen der USA wohl ebenso zerrüttet wie jene der Eurozone, während das britische Pfund jederzeit in den freien Fall eintreten könnte. Darüber hinaus könnte China, das inzwischen bereits mehr Waren nach Europa als in die USA liefert, die aktuelle Dollarstärke nicht nur dazu nutzen, um seine üppigen Devisenreserven von Dollar in Euro umzuschichten. China könnte auch auf die Idee kommen, dann anstatt des Dollars den Euro zu stärken, wozu dann wohl auch Japan übergehen würde.

Sollte die EZB also tatsächlich am Devisenmarkt intervenieren, dürfte sie sich auf ein hartes Match mit den starken asiatischen Notenbanken einlassen müssen und würde riskieren, in dieselbe Lage zu geraten wie die chinesische und die japanische Zentralbank. Denn diese sitzen inzwischen auf einem riesigen Berg von US-amerikanischen Schuldtiteln und müssten im Falle einer Dollarabwertung enorme Buchverluste verkraften. Anders als in China würde sich in Europa dann die Frage stellen, wer denn für diese Verluste geradestehen müsste, was im aktuellen EZB-Regelwerk offenbar nicht hinlänglich präzise geregelt wird.

Folgen der Sparmaßnahmen werden noch nicht diskutiert

Klar ist jedenfalls, dass ein radikales Sparprogramm der Club-Med-Regierungen jedenfalls begleitende Maßnahmen verlangen würde, um das absehbare Unheil zu vermeiden. Denn wenn der geplante massive Rückgang der staatlichen Nachfrage nicht durch hohe Unternehmensinvestitionen und höheren Konsum sowie eine Verbesserung der Außenbilanz kompensiert würde, hätten die Club-Med-Staaten zwangsläufig mit ebenso massiv einbrechenden Wachstumsraten zu rechen.

Dann würde sich das Investitionsklima weiter verschlechtern und auch das Angstsparen sicherlich zunehmen. Die Folgen wären dann wohl eine schwere Pleitewelle bei privaten Schuldnern sowie eine weiterhin stark steigende Arbeitslosigkeit, was auf höheren Sozialausgaben und sinkende Steuereinnahmen hinauslaufen und wohl dafür sorgen würde, dass die hochgesteckten Budgetziele keinesfalls erreicht werden könnten.

Jedenfalls drängt die Zeit und insofern ist es durchaus besorgniserregend, auf welchem sachlichen Niveau die Lage derzeit innerhalb der EU diskutiert wird. Denn obwohl jedem Ökonomen klar sein müsste, welch gravierende Folgen der von den nördlichen Staaten unisono verlangte budgetäre Kahlschlag im Süden haben würde, wird noch nicht einmal andiskutiert, wie die daraus resultierenden makroökonomischen Verwerfungen abgefedert werden könnten. Denn absehbar ist jedenfalls auch, dass sich in Europa wohl niemand einer prolongierten Krise in den Club Med-Staaten entziehen könnte.