Networking an der Schneeschaufel

Die Pläne der FDP zur Zukunft des Sozialstaates nehmen langsam konkrete Züge an

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Guido Westerwelles Sorge, das Nachdenken über erhöhte Leistungen für Hartz IV-Empfänger könne zu einer ähnlich dekadenten Situation wie der im späten Römischen Reich führen, hat die Diskussion über den Sozialstaat heftig angefacht. Bisher hat die FDP mit der von ihr selbst angeheizten Debatte nicht punkten können. Erst jüngst bezeichnete Enthüllungsjournalist Günter Wallraff den FDP-Vorsitzenden Westerwelle als "Dummbeutel", da er nicht wisse, wer da im Römischen Reich geprasst und geschlemmt habe. Zudem wurde der FDP vorgeworfen, bisher kein eigenes Konzept für eine Neustrukturierung der Sozialsysteme vorgestellt zu haben.

Diesem Vorwurf tritt die FDP nun mit einem eigenen Thesenpapier entgegen, welches sie im Rahmen eines Symposiums mit dem sperrigen Titel "Aufstiegschancen schaffen – soziale Effizienz steigern: Deutschland vor der Neuausrichtung der Sozialpolitik" vorstellte. Das Ziel eines "fairen Sozialstaates" wollen die Liberalen, die ihre Thesen als Diskussionsgrundlage verstanden wissen möchten, über einen zweiten Anlauf nach der Agenda 2010 erreichen. Die Agenda 2010 der Regierung Schröder sieht die FDP zwar als Schritt in die richtige Richtung, jedoch fehle es ihr an Konsequenz und Vollständigkeit.

Ein zentraler Aspekt im FDP-Papier ist die Erhöhung der Zuverdienstgrenzen von Arbeitslosengeld II-Empfängern. Auf diese Weise sollen Anreize geschaffen werden, auch gering bezahlte Arbeitsangebote anzunehmen. Dahinter steht laut dem Thesenpapier die Idee, dass Vollzeitbeschäftigung eine derart hohe Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung habe, dass diese auch dann erstrebenswert sei, wenn der Lohn trotz einer 40 Stunden-Woche noch zusätzlich mit Sozialtransfers aufgestockt werden müsse.

Vollzeitbeschäftigung für alle

Die Vorstellung, Vollzeitbeschäftigung für alle zu erreichen, ist ein Grundgedanke, den auch Hans-Werner Sinn, der neben Wolfgang Clement und Heinz Buschkowsky, dem Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, einer der zahlreichen Redner auf dem Symposium war, nachhängt. Sozialleistungen solle es nur noch für jene geben, die bereit sind, auch eine Gegenleistung zu erbringen. Geht es nach dem Präsidenten des ifo-Institutes, so müssen flächendeckend kommunale Arbeitsmöglichkeiten für Sozialleistungsempfänger geschaffen werden.

Die Kommunen müssen verpflichtet werden, gegen Strafe, wenn sie es nicht tun, für jeden, aber auch jeden arbeitslosen Hartz IV-Empfänger einen Job zur Verfügung zu stellen. Und auf diesen Job wird ein Lohn bezahlt, der heute das Hartz IV-Einkommen ist.

Hans-Werner Sinn auf dem Symposium der FDP

Das Hartz IV-Einkommen solle zu einem Lohn für kommunale Arbeit weiterentwickelt werden. Dass die Hartz IV-Empfänger dafür Vollzeit arbeiten sollen, ist für Sinn selbstverständlich. Gleichzeitig legt er jedoch Wert darauf, dies nicht als Arbeitspflicht zu verstehen. Jedoch müssten konsequent die schon jetzt bestehenden Sanktionierungsmöglichkeiten genutzt werden, sollte eine Arbeit abgelehnt werden – bis zu 100 Prozent solle im Wiederholungsfall gekürzt werden können. Für den Fall, dass die Kommune den neu entstandenen Arbeitskräftepool nicht selbst ausnutzen kann, hat Sinn ebenfalls einen Vorschlag: Überschüssige Hartz IV-Empfänger könnten gegen ein Honorar an Zeitarbeitsfirmen weitergegeben werden.

Die Vorschläge von Hans-Werner Sinn laufen auf einen massiven Ausbau des Niedriglohnsektors hinaus. Das deckt sich durchaus mit dem Thesenpapier der FDP, welches ebenfalls Vollbeschäftigung um jeden Preis als Ziel vorgibt. Darüber hinaus sieht Sinn in der zwangsweisen Vollbeschäftigung aller Hartz IV-Empfänger einen Weg, Schwarzarbeit zu bekämpfen. Jenen, die bisher ihre Hartz-Sätze mit unerlaubtem Nebenerwerb aufbessern, bliebe dafür künftig keine Zeit mehr.

Auch die FDP möchte gegen Schwarzarbeit vorgehen, sieht jedoch vor allem die Erhöhung der Zuverdienstgrenzen als passende Maßnahme an. Doch dies muss ja nicht die einzige Maßnahme bleiben, zumal die Liberalen die Vollbeschäftigung aller Erwerbslosen ebenfalls als ihr Ziel ansehen. Es wird sich zeigen, in welche Richtung sich das Thesenpapier der FDP bis zum Parteitag Ende April entwickeln wird.

Lerne und arbeite

Für Pascal Kober, der die FDP im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales vertritt, ist wichtig, dass der Betroffene aus der ihm zugewiesenen Tätigkeit selbst einen Nutzen zieht. Selbst bei einer Arbeit wie Schneeschippen könne dies der Fall sein, so Kober. Immerhin stelle es Anforderungen an die Pünktlichkeit, das Durchhaltevermögen, es schaffe soziale Kontakte sowie ein Erfolgserlebnis. Daraus leitet Kober ab, dass Schneeschaufeln für "einen bestimmten Personenkreis eine Qualifizierung sein kann" - die Rahmenbedingungen für einen solchen Arbeitseinsatz stimmen also.

Weiterhin setzt die FDP auf bessere Bildungschancen für Kinder. Diese sollen durch eine Kombination aus Geld- und Sachleistungen wie beispielsweise Gutscheine für kulturelle Angebote oder kostenlose Schulverpflegung profitieren.

Um die Bürokratie im Sozialsystem abzubauen, denken die Liberalen zudem über einen regional differenzierten Pauschalbetrag für die Kosten der Unterkunft, sowie die Zusammenlegung von Behörden nach. Nach der Vorstellung der FDP könnte künftig beispielsweise nach niederländischem Vorbild das Finanzamt auch Auszahlungen, die bisher von verschiedenen Stellen geleistet werden, vornehmen. Dadurch würden auch die Zahlungen an die Empfänger besser koordiniert.

Mogelpackung Bürgergeld?

Langfristiges Ziel jedoch ist die Einführung eines liberalen Bürgergeldes. In diesem wären die verschiedenen bisherigen Leistungen zu einem Pauschalbetrag zusammengefasst. Die FDP sieht dessen Vorteil unter anderem darin, dass die Empfänger des Bürgergeldes nicht mehr gegenüber den Ämtern über ihre derzeitige Situation Rechenschaft ablegen müssten sowie in dem damit einhergehenden Bürokratieabbau.

Doch auch das Bürgergeld scheint lediglich ein Mittel zu sein, um eine für den Arbeitnehmer möglichst schmerzfreie Absenkung des Lohnniveaus zu ermöglichen. So sagte Prof. Dr. Joachim Mitschke, der geistige Vater des liberalen Bürgergeldes, auf dem Symposium, dass das Bürgergeld zum Ziel hat, der Entstehung von Arbeitslosigkeit vorzubeugen. Arbeitnehmer sollen sich dadurch "im Vorfeld von Verhandlungen mit dem Arbeitgeber auf Lohnreduzierung einlassen können", wohl wissend, dass es durch das Bürgergeld einen sozialen Ausgleich gibt.

Auf dieser Linie argumentierte auch Hans-Werner Sinn, der erklärte, dass Lohnzuschüsse zu sinkenden Kosten für einfache Arbeit führen würden, wodurch mehr Jobs entstünden. Die fallenden Löhne jedoch führten dank des Zuschusses nicht zu sinkenden Einkommen. "Die Trennung der Lohnkosten von den Einkommen ist die einzige Strategie, um in der globalisierten Wirtschaft mit der wachsenden Niedriglohnkonkurrenz weltweit zurechtzukommen", so Sinn weiter. Dieses Modell ist für den FDP-Bundestagsabgeordneten Dr. Heinrich Leonhard Kolb sogar ein Nachweis für die Leistungsfähigkeit des Sozialstaates.

Fraglich ist allerdings, wem diese Leistungsfähigkeit dann wirklich nützt, denn immer wieder werden Fälle bekannt, in denen Arbeitgeber die Zuzahlungen vom Staat bewusst als Lohnersatz missbrauchen – und das ganz offiziell vor den Augen der Argen, die die Kosten tragen müssen. Das Thesenpapier der FDP hat auch darauf eine Antwort. Mit "ehrlichen Kaufmannstugenden", laut den Liberalen die Grundlage unserer Wirtschaftsordnung, sei es nicht vereinbar, den Sozialleistungsbezug von Vollzeitkräften mit einzukalkulieren. Deshalb solle man doch die Unternehmen nicht unter Generalverdacht stellen. In den verbleibenden Einzelfällen allerdings werde man "diesen Missbrauchsversuchen wirksamen Einhalt verbieten." Über das Wie schweigt das Papier allerdings.