Zum Risiko gezwungen

Die SPD beschnitt 2001 die gesetzliche Rente zugunsten der privaten Altersvorsorge – und zwang die Rentner von morgen damit in riskante Anlagen, wie eine Studie zeigt

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Private Vorsorge ist effizient und bringt Vorteile auch für die Versicherten – dieses Dogma widerlegte kürzlich eine vom Bundeswirtschaftsministerium beim IGES-Institut in Auftrag gegebene Studie über den Wettbewerb in der Privaten Krankenversicherung. Die Macher der Studie haben "begründete Zweifel", ob die privaten Krankenversicherer einen besseren Schutz gegen Beitragserhöhungen bieten würden als die gesetzlichen. Eine von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und dem Institut für Vermögensaufbau (IVA) erstellte Studie stellt nun auch den maßgeblich von der Regierung Schröder vorangetriebenen Ausbau der privaten Altersvorsorge in Frage.

Die Rentenreform der rot-grünen Regierung Schröder war ein Systembruch. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde die erste Säule der Altersvorsorge, die gesetzliche Rente, zugunsten der dritten Säule, der privaten Vorsorge, abgebaut. Das Signal war klar – die Bürger sollten mehr Eigenverantwortung für ihre Altersvorsorge übernehmen. Auf eine gesetzliche Rente, die den Lebensstandard sichert, sollte sich niemand mehr verlassen, da der demographische Wandel die Finanzierung einer solch umfassenden Vorsorge unmöglich gemacht habe, war damals eine wichtige Begründung zur Neugestaltung des Systems der Altersvorsorge.

Eindeutige Gewinner der schröderschen Rentenreform waren Produktanbieter wie Banken und Versicherungen, aber auch Finanzvertriebe, die mit der Reform einen neuen Absatzmarkt erschließen konnten. Laut dem Jahrbuch 2008 des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) konnten die Anbieter von Kapital-, Renten-, Pensions-, Berufsunfähigkeits-, und Pflegerentenversicherungen beispielsweise im Jahr 2004 mit über 8,4 Millionen Verträgen fast zweieinhalb mal mehr Verträge abschließen als noch im Jahr 1995, wo lediglich 3,4 Millionen Versicherungsverträge einen Käufer fanden. Auch 2008 liegen die Abschlusszahlen mit gut vier Millionen noch über dem Wert vor der Reform.

Dabei achten immer mehr Anleger darauf, ihr Geld in möglichst risikolose Anlageformen zu geben – ein Trend, der sich besonders durch den Eindruck, den die Finanzkrise in den Köpfen vieler Menschen hinterlassen hat, verstärkt. Eine Studie, die DSW und IVA zusammen durchgeführt haben, kommt nun jedoch zu dem Ergebnis, dass bei einer auf Sicherheit bedachten Altersvorsorgestrategie vor allem eines sicher ist: der schleichende Abbau des eigenen Vermögens.

In einer Präsentation zur Studie rechnet das Institut für Vermögensaufbau vor, dass beispielsweise aus einem risikofreien Zins von 1,5 Prozent nach Abzug von Steuern und Inflation ein Negativzins von -0,875 Prozent entsteht. So verzinst wäre ein Vermögen von 1.000 Euro nach 30 Jahren auf 768 Euro geschrumpft, wobei in dieser Rechnung bereits eine Inflation von zwei Prozent eingepreist ist. Für eine reale Rendite nach Inflation und Steuern in Höhe von 2,25 Prozent müsse das Geld zu sieben Prozent angelegt werden. Mit auf Sicherheit ausgelegten Anlagen ist dies jedoch nicht erreichbar.

Wer vorsorgen will, kommt um ein gewisses Risiko also nicht herum

Ulrich Hocker, der Hauptgeschäftsführer der DSW und Verwaltungsratsmitglied beim Fondsverwalter Gartmore sowie stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender beim Vermögensberater Feri Finance ist, schlussfolgerte daraus bei der Präsentation der Studie, dass "eine private Altersvorsorge mit Produkten ohne Risiko" nicht erfolgreich sei. Vielmehr seien "risikobehaftete Finanzprodukte wie Aktien, oder Fonds ein essenzieller Bestandteil der langfristig ertragreichen Vermögensplanung".

Um das Verlustrisiko richtig einschätzen zu können, muss der Anleger der Studie zufolge auch vermehrt den geplanten Zeitraum seiner Anlage berücksichtigen. Während risikoarme Festgelder durch Inflation und Steuern auf lange Sicht Vermögen vernichteten, könne beispielsweise ein risikoreicherer Aktienfonds mit entsprechend höheren Renditechancen auf lange Sicht den Kapitalerhalt besser sicherstellen und darüber hinaus für den Anleger Gewinne erwirtschaften.

Um das zeitliche Risiko darzustellen, setzen IVA und DWS auf eine so genannte "dynamische Risikoampel", in der die Wahrscheinlichkeit, nach Abzug von Steuern und Inflation Verluste zu erzielen, dargestellt wird.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich neben Kapitallebensversicherungen, die jedoch im Falle einer vorzeitigen Kündigung in jedem Fall hohe Verluste einbringen würde, vor allem weltweit gestreute Aktienfonds sowie Mischfonds zur Altersvorsorge geeignet seien. Wer vorsorgen will, kommt um ein gewisses Risiko also nicht herum.

Doch von den Machern ganz unbeabsichtigt wirft die Studie auch eine weitere Frage auf, die insbesondere durch die Finanzkrise an Aktualität gewonnen hat: Die Frage nach dem Sinn einer entsolidarisierten Rentenversicherung, in der nicht mehr der Erhalt des Lebensstandards im Alter und damit eine Würdigung der Lebensleistung der Menschen im Vordergrund steht, sondern nur mehr eine Sicherung des Existenzminimums angestrebt wird. Schließlich ist auch die dynamische Risikoampel keine Gewähr dafür, dass mit dem Rentenbeginn auch ein ausreichendes Vermögen durch die Privatvorsorge angespart ist. Vielmehr kann sie nur ein Richtwert sein. Gerade bei Vorsorge mit Finanzprodukten, die keinen Kapitalerhalt garantieren können, müsste der Anleger wie ein Vermögensverwalter seine Investition regelmäßig vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation neu bewerten und gegebenenfalls seine Anlage umschichten – immer mit dem Risiko, Warnsignale nicht rechtzeitig zu sehen und so seine Rente aufs Spiel zu setzen.