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Wir müssen nur wollen: Carl-A. Fechners "Die 4. Revolution - Energy Autonomy" hat eine Lösung für alle Energieprobleme der Erde

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Wir stehen vor dem größten Strukturwandel der Wirtschaft seit dem Beginn des Industriezeitalters. Es kommt zur Implosion der Energieversorgung von heute. Mit großen Worten und Thesen spart Carl-A. Fechners in der Form unsympathischer Dokumentarfilm "Die 4. Revolution - Energy Autonomy" nicht. Dies ist ein sendungsbewusster Werbefilm für erneuerbare Energien und entsprechende Technik. Schlicht in der Machart, macht er auf wichtige Themen und Fragen aufmerksam, ohne allerdings immer die Antworten zu liefern.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer ist persönlich das beste Beispiel für jene erneuerbaren Energien, von denen er unaufhörlich redet: "Kostenlos von der Natur geliefert" (Scheer) erklärt er uns allen immer wieder, warum nichts so bleibt, wie es war, wir uns alle endlich ändern müssen und doch alles besser wird - wir müssen nur wollen.

Hermann Scheer ist ein sympathischer Mann. Man muss nicht in allem seiner Ansicht sein, um das zu finden. Man muss dazu auch nicht bedauern, dass er dann doch nicht Minister in der Rot-Roten Hessen-Koalition von Frau Ypsilanti geworden ist. Obwohl… Man würde jedenfalls dann gern mal hören, ob er immer noch in demselben hohen Ton sprechen würde, der mehr ist als nur jener sprichwörtliche "Brustton der Überzeugung", mit dem er hier in diesem Film zu sehen und vor allem zu hören ist - und zwar gefühlt die Hälfte des Films. Wie gesagt: Hermann Scheer ist ein sympathischer Mann. Trotzdem ertappt man sich während des Films bei dem Gedanken, einfach mal ein Hermann-Scheer-Verbot für politische Dokumentationen zu fordern, jedenfalls für die aus Deutschland. Denn in den - wieder gefühlt - letzten 20 Dokumentationen mit - im weitesten Sinne – Anti-Neoliberalismus-Message bekam man früher oder später Hermann Scheer zu sehen.

Wahrscheinlich liegt es gar nicht an Hermann Scheer. Wahrscheinlich ist es einfach die verdammte Phantasielosigkeit deutscher Dokumentarfilmer, unter der auch der hier zu rezensierende leidet, dass ihnen immer wieder nichts anderes einfällt als eben Hermann Scheer aus seinem Bundestagsbüro heraus und vor die Filmkamera zu zerren, damit er dann etwas Hermann-Scheer-haftes, also garantiert wahnsinnig Globalisierungskritisches und unbedingt Antikapitalistisches zum Besten gibt.

"Der Fisch stinkt vom Kopf"

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es dann doch nicht ganz so ist, wie auch dieser Film und natürlich Hermann Scheer selbst behaupten, dass nämlich an jeder Ecke ein Experte zu finden ist, der der gleichen Meinung ist wie der Filmemacher und wie Hermann Scheer, dass überhaupt nämlich eigentlich jeder Mensch, der einigermaßen bei Verstand ist und informiert und nicht sowieso korrupt oder gekauft ist, oder ganz einfach debil, dass also jeder halbwegs aufgeklärte, vernünftig denkende oder auch nur pragmatisch auf seine Interessen, besonders seine ökonomischen, achtende Mensch der gleichen Meinung sein muss wie Hermann Scheer.

Sondern im Gegenteil nur sehr wenige dieser Meinung sind, dass man also am Ende dann doch wieder notgedrungen quasi naturgemäß bei Hermann Scheer landet, der dann irgendwann im Verlauf des Films plötzlich wieder mit naturgesetzlicher Sicherheit vor der Kamera des Filmemachers auftaucht und seine immer sympathischen, immer eloquenten, allerdings manchmal auch ein wenig eitlen und nicht selten vorhersagbaren Hermann-Scheer-Sätze sagt - ein bisschen wie das Krokodil im Kasperltheater, das ja auch immer das gleiche tut, und das ja auch kaum weniger sympathisch ist als Hermann Scheer, und auf das ja übrigens auch immer alle Kinder warten, um dann erschreckt zu sein, aber gerade dieses ihr Erschrecken gleichzeitig dann doch auch zu genießen.

So wie die Kinozuschauer es ja naturgemäß auch eigentlich genießen, wenn dann Hermann Scheer auftaucht und sie ein bisschen erschreckt, wenn er Sätze sagt, wie "Der Fisch stinkt vom Kopf" oder "die Abhängigkeiten werden größer und sie sind existentieller Art", die ja gerade in ihrer Mischung aus unverbindlicher Allgemeinheit und ihrem Hermann-Scheer-haften Krokodilston jedem ein paar wohlige Schauer über den Rücken jagen. Das alles nur mal vorweg.

"Verfilzt … verschachtelt, bequem und zu feige"

In seinem Film "Die 4. Revolution - Energy Autonomy" lässt Regisseur Carl-A. Fechner den Zuschauer nun nicht lange zappeln. Ganz im Gegenteil: Hermann Scheer taucht einfach mal gleich in der ersten Szene auf. Wahrscheinlich mag er sein Bundestagsbüro überhaupt nicht besonders gern, so oft, wie er allein in diesem Film um die Welt jettet. In der ersten Szene sieht man ihn tun, was er besonders gern tut, nämlich schimpfen und zwar ausnahmsweise mal nicht über Politiker oder Wirtschaftsbosse, sondern über die Architekten, die natürlich irgendwie auch nur die Büttel der Politiker und Wirtschaftsbosse sind, und insofern bleibt alles beim alten.

"Alles Glasfassaden" schimpft Hermann Scheer, während er durch LA fährt, "nichts weiter als Gedankenlosigkeit von Architekten … genausowenig, wie man es heute erlaubt, in Kulturstädten, dass einfach der Müll auf die Straße geschmissen wird, genausowenig darf man heute noch erlauben, dass man einfach Energieemissionen hinterlässt und damit die gesamte Gesellschaft dem aussetzt, mit all den damit verbundenen Folgen, statt dass man diese Energieemissionen vermeidet."

Da möchte man doch mit der Faust auf den Tisch hauen und laut "Stimmt!" rufen, bevor man sich zu fragen beginnt, warum es wieder gleich ums Verbieten gehen muss, schon in der ersten Filmminute, und ob das wohl taktisch klug war, den Film so beginnen zu lassen mit einem schimpfenden und Verbote fordernden Hermann-Scheer-Krokodil. Aber wenn man die Welt retten will, was sind dann schon ein paar Glasfassaden und die Schönheit der Architektur?

Vor allem aber fährt Hermann Scheer in der Szene gerade mit dem Taxi vom Flughafen. Hallo! Mit dem Taxi!! Vom Flughafen!!! Nein es geht jetzt nicht um Steuergelder und Flugmeilen, sondern eher darum, ob man, wenn schon denn schon mit dem Tugendterror nicht bei sich selber anfangen sollte… Andererseits muss man ja auch irgendwie nach Los Angeles kommen.

Nun ist Hermann Scheer allerdings ja überhaupt auch alles andere, als ein Vollidiot, im Gegenteil: Auch wenn man ihm wirklich keinen Heiligenschein aufsetzen muss, und er einem mit seinem Sendungsbewusstsein und seiner fast schon betriebsblinden Rechthaberei noch viel mehr auf die Nerven gehen kann, als Oskar Lafontaine bei einem Maybritt-Illner-Auftritt, sagt er doch viele kluge Sachen, und vor allem sagt er sie meistens auf Deutsch - was man zu schätzen lernt bei einem Film, bei dem man die Hälfte der Zeit mit Untertitellesen zubringt.

Außerdem könnte es doch sein, dass der Mann eben trotz aller Rechthaberei eben manchmal einfach recht hat: Zum Beispiel, wenn er von der Unterwerfung der Politik unter die Interessen der Wirtschaft spricht, wenn er die Eliten des Westens anprangert, die "verfilzt … verschachtelt und zu bequem geworden sind, die zu feige sind, sich den Auseinandersetzungen zu stellen." Der Fisch stinkt eben vom Kopf.

Immer näher an der Natur und also der Wahrheit leben

"Die 4. Revolution - Energy Autonomy" streift kurz die Geschichte des Solarbooms seit den Ölkrisen der 70er Jahre, und entwirft dann das Szenario einer Welt, in der die Energievorsorgung mehr und mehr aus erneuerbaren Quellen gespeist wird. Folgt man den Experten, die der Film präsentiert, sind Technologien und Potenziale dafür weltweit vorhanden. Man muss nur handeln.

"Die 4. Revolution - Energy Autonomy" hat einen Vorteil, der auch ein Nachteil ist: Es ist ein parteiischer Film. Man könnte auch sagen: Ein Propagandafilm. Es geht nicht um Kritik, Debatte, Für und Wieder, nicht um Aufklärung, zu der ja die Mündigkeit des Publikums gehörte, und das Vertrauen darauf, dass die Fakten als solche schon überzeugend genug sind.

Es geht stattdessen um Überredung und um Stimmungsmache, um das gute Gefühl des Publikums. Formal bedeutet das Koyanisquatsi-hafte Musik und ein stylisher Filmschnitt, überhaupt viele hübsche Panoramen von erdölbetriebenen Hubschraubern, Hochglanzästhetik und Postkartenkitsch mit sattgrünem Dschungel, Sonnenuntergängen und so…

Immer wieder sieht man einen Herrn namens Fatih Birol, Chef-Ökonom von der - "bösen" - Internationalen Energieagentur (IEA) an seinem Schreibtisch sitzend irgendwelche gar nicht mal besonders dummen Dinge sagen, im Gegenteil. Dann tauchen "gute" Experten wie Scheer, oder der nette Däne Preben Maegaard vom "Folke Center" auf und erklären, warum das Unsinn ist, und welche Antwort sie darauf haben. Wonach dann schöne Bilder mit Musik unterlegt Glücksgefühle verbreiten und Afrikaner - die ja in solchen Dokumentarfilmen immer näher an der Natur und also der Wahrheit leben, irgendeine praktische und natürlich afrikanisch putzige sinnliche Erfahrung mit erneuerbarer Energie sammeln. Man sieht afrikanische Dörfer, arbeitende Eingeborene, dazu Kitschmusik.

Wer verlangt Fairness von einem Werbefilm?

Begrenzt immerhin geht es auch um Information. Diese krankt vor allem daran, dass mögliche Einwände nicht ernsthaft diskutiert werden, und man sich deswegen darauf verlassen muss, dass man vom Film fair und ausgewogen informiert wird. Schon wahr: Wer verlangt Fairness von einem Werbefilm? Oder auch nur Information. Aber wer derart gegen die - zweifellos vorhandene - Manipulation durch die atomar-fossile Energieindustrie ins Feld zieht, sollte bestrebt sein, sich umgekehrt nicht der Spur eines entsprechenden Verdachts auszusetzen. Da waren Carl-A. Fechner und sein Team etwas gedankenlos.

Was eigentlich am bemerkenswertesten und auch irritierendsten ist, ist das Sendungsbewusstsein der Solaristen, die Tatsache, dass es ihnen von Anfang an, schon in den 70ern, aber bis heute nie nur um Energieversorgung der vorhandenen Gesellschaft, sondern immer auch um deren - vorzugsweise "radikalen" - Umbau geht. Glauben die wirklich, dass alles kinderleicht und für jeden erreichbar, bezahlbar und sauber ist, dass "Wir" "es" "nur" "endlich" "tun" "müssen"?

Es wäre ja schön, keine Frage. Scheer vertritt das Ziel der "Energieautonomie": Teure Energie wie Erdgas, Erdöl, Kohle, Uran soll in "kostenlose Primärenergie wie Sonnenstrahlen, Sonnenwärme, Wind, Laufwasserkräfte, Wellen, geothermische Energie" umgewandelt werden. Möglichst bald sollten wir alle mit Elektroautos fahren, mit dem Elektroflugzeug durch die Gegend fliegen, in Energiesparhäusern wohnen, und das alles "kostenlos von der Natur geliefert" (Scheer).

"Viele Menschen haben tolle Ideen"

"Viele Menschen haben tolle Ideen" sagt der Herr von der IEA, "aber die Vorstellung, dass in ein paar Jahrzehnten unsere Energie komplett erneuerbar wird, ist nicht besonders realistisch." Er verweist darauf, dass der weltweite Energiebedarf der Erde bis 2030 um 45 Prozent ansteigen wird, und dass ein Großteil dieses Wachstums durch fossile Rohstoffe gedeckt werden wird. Schon allein, weil es unmöglich sei, in den nächsten zwei oder drei Jahrzehnten die Infrastruktur unseres gesamten Energie- und Treibstoffsystems von fossilen auf erneuerbare Energien umzustellen. Nicht nur aus finanziellen Gründen. Sondern auch aufgrund der Technik und der Produktionskapazitäten. Er verweist auch darauf, dass China allein zwischen 2008 und 2020 so viele Kohlekraftwerke bauen wird, wie alle europäischen Länder in den letzten seit dem Zweiten Weltkrieg überhaupt an Kraftwerken gebaut haben - etwa 1000 neue Kohlekraftwerke. Eines pro Woche.

"Wir haben höchstens noch 30 Jahre", knurrt da Hermann Scheer. Und auch er hat gute Argumente: Zum Beispiel die weltweite Entkoppelung der Räume des Energieverbrauchs von denen der Energiegewinnung. Energie wird überall verbraucht, gewonnen wird sie in ganz wenigen Ländern der Welt. Fossile Energie wird knapper, die Abhängigkeiten größer. Deshalb sei es "die größte und schlimmste aller Umweltverschmutzungen, dass immer wieder versucht wird, von zahllosen Energieexperten, der Gesellschaft auszureden, dass es diese Perspektive überhaupt in überschaubarer Zeit geben könnte. Weil man damit die Gesellschaft deaktiviert und entmotiviert."

"Eine koordinierte Machenschaft der Energiekonzerne mit ihren politischen Helfershelfern"

Das wollen wir hier an dieser Stelle natürlich keineswegs. Wir wollen gerne aktivieren und motivieren, allerdings auch dazu, jeden Film kritisch anzugucken, und Experten gerade dann nicht zu trauen, wenn man die Dinge selber nur begrenzt überschauen kann, und wenn sie das erzählen, was einem sowieso in den Kram passt. "Kostenlos von der Natur geliefert", klingt da schon arg idyllisch.

Nun ist IEA-Mann Fatih Birol ein früherer Mitarbeiter bei der OPEC. Das ist zwar 15 Jahre her, aber damit ist für den Film klar, dass er ein Lobbyist ist. Das soll nicht bezweifelt werden. Die anderen Experten hier sind allerdings sämtlich auch Lobbyisten. Sie wollen Marktanteile für ihre Produkte und bekämpfen nicht nur den politischen, sondern auch den ökonomischen Gegner.

Warum ist es bisher noch nicht zu der Umstellung auf erneuerbare Energien gekommen? Weil die heutige Primärenergie-Wirtschaft ihr drohendes Verschwinden nicht kampflos hinnimmt. Preben Maegaard verweist auf politische Widerstände und darauf, es sollten zentralistische Lösungen durch dezentrale individualisierte ersetzt werden. Scheer verweist auf "eine koordinierte Machenschaft der amerikanischen Energiekonzerne mit ihren politischen Helfershelfern."

Scheer setzt neuerdings darauf, den Gegner zu spalten. Die Automobilindustrie könnte ihre Chance erkennen, die darin liegt, sich von der Mineralölwirtschaft zu emanzipieren. "Dann verändert sich das Bild vollständig." Man fragt sich auch, warum sie Elektroautos nicht endlich sexy machen? Warum es keine Formel 1 mit Elektro-Sportwagen gibt?

Allerdings hat auch Birol recht, wenn er sagt, dass "die Leute" ihre Verhaltensweisen nicht einfach durch Fernsehprogramme ändern oder nette Anzeigen in den Zeitungen oder mit Vorträgen in den Schulen. Menschen ändern ihr Verhalten erst, wenn man diese Vorschläge mit einem finanziellen Anreiz verbindet. Moralische Apelle reichen nicht aus."

Warum übrigens der Film "Die 4. Revolution" heißt, wird nicht erklärt. Auch nicht, welches die anderen drei sind.