"Das ist keine James-Bond-Welt"

Der israelische Geheimdienstexperte Ronen Bergman über aktuelle Entwicklungen, Hintergründe und Effektivität des legendären Mossad und seine letzte Aktion in Dubai

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Der israelische Mossad ist einer der legendärsten Geheimdienste der Welt, um den es in den letzten Jahren etwas stiller geworden war. Die Ermordung des Hamas-Funktionärs Mahmoud al Mabhouh in Dubai (Auftragsmord in Dubai), brachte den Mossad wieder in die internationalen Schlagzeilen, wenn auch mit negativem Unterton. Für den Mord benutzten die Täter echte europäische Pässe. In Israel löste das Attentat dagegen eine Mossad-Mania aus. Der 1949 von Ben Gurion, dem ersten israelischen Premierminister, gegründete Geheimdienst ist momentan so populär wie selten zuvor.

Mit Dr. Ronen Bergman sprach Telepolis über aktuelle Entwicklungen, Hintergründe und Effektivität des israelischen Geheimdienstes. Er ist einer der führenden Sicherheits- und Geheimdienstspezialisten Israels, der für die größte israelischen Tageszeitung Yedioth Aharonoth schreibt. Der Journalist hat auch mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht, zuletzt der Geheime Krieg mit dem Iran.

Ronen Bergman

Beim Tod von Mahmoud al Mabhouh in Dubai gibt es viele Ungereimtheiten. Dazu gehört auch der vor kurzem publizierte Obduktionsbericht, nachdem der Hamas-Funktionär zuerst betäubt und dann erwürgt wurde.

Ronen Bergman: Ja, das finde ich sehr seltsam. Wenn man einen Mord ohne Spuren will, dann erwürgt man den Mann nicht. Und wenn man ihn einfach töten möchte, warum dann den Umstand, ihn erst zu betäuben. Man erschießt ihn, ersticht ihn oder was auch immer. Warum unnötig Zeit verschwenden?

Für Außenstehende klingt auch die hohe Zahl der beteiligten Täter seltsam. Man sollte meinen, zwei, drei Killer genügen, aber laut den Behörden in Dubai sind es mindestens 27 Personen.

Dies höre ich oft. Die meisten Leute verstehen nicht, dass man für eine derartige Operation tatsächlich viele Agenten braucht. Das ist keine James-Bond-Welt. Überlegen Sie doch nur einmal, wie viele Personen man braucht, wenn man jemand in einem feindlichen Land nur beschatten, nicht einmal töten will. Man muss das Zielobjekt im Auge behalten, gleichzeitig sicher sein, dass ihm keine Leibwächter folgen und man obendrein nicht vom lokalen Geheimdienst sowie normalen Strafverfolgungsbehörden entdeckt wird. Das zeigt doch deutlich, dass ein großes Einsatzteam nötig ist, um keinerlei Verdacht zu schöpfen. Ich bin überzeugt, kein professioneller Geheimdienst überwacht und tötet dann jemand, nur mit wenig Personal im Einsatz. Wobei natürlich auch klar ist, dass das Risiko desto größer ist, je mehr Leute beteiligt sind. Denken Sie nur an die Möglichkeit eines Autounfalls, in den ein Agent verwickelt werden könnte. Hinzufügen sollte man jedoch noch, alle von der Polizei in Dubai verdächtigten Personen zählen wohl nicht zum Täterkreis. Die Zahl 27 ist das Ergebnis von Pässen, die man bei Grenzkontrolle herausgepickt hat.

In Dubai wurde ein Überwachungssystem von Siemens benutzt.

Ronen Bergman: Darüber hätte ich gerne mehr Informationen, ob das denn wirklich so gut ist, wie es den Anschein hat. Denn es gibt einen großen Unterschied zwischen normalen Überwachungskameras in Hotels und Einkaufszentren und einem Online-Kommandoraum, in dem alle Bildquellen in einem System zusammenlaufen.

Das Ende einer Ära

Warum haben die Täter so wenig auf die visuelle Überwachung Acht gegeben?

Ronen Bergman: Wenn man das Video aus Dubai ansieht, waren den vermeintlichen Mitgliedern des Mordkomplotts die Kameras sehr wohl bewusst. Einige versuchen ihr Gesicht zu verstecken, sich zu verkleiden oder einfach dem Kameraauge auszuweichen. Nicht alle und manche auch nicht sehr professionell, aber sie tun es. Sie sind also nicht blauäugig gewesen.

Aber durch das Siemens-Überwachungssystem ist die ganze Sache aufgeflogen. Worin bestand dann der Fehler?

Ronen Bergman: Man hat einfach die technischen Möglichkeiten unterschätzt. Denn aus sechs verschiedenen Bildquellen ein zusammenhängendes Video zu machen, das das Attentat von Anfang bis zum Schluss zeitlich rekonstruiert, das ist absolut professionell. Ich weiß nicht wer den Mord begangen hat, aber die Täter hatten dies bestimmt nicht erwartet. Für mich ist dies das Ende einer Ära. Die Operation in Dubai war die letzte, die versuchte, einen Mord ohne Spuren in einer modernen Stadt oder Umgebung durchzuführen. Das 27-Minuten-Video der Polizei von Dubai wird wohl in Zukunft in allen Geheimdienstschulen und Ausbildungszentren als mahnendes Beispiel gezeigt. Das Emirat sollte sich dafür Tantiemen ausbezahlen lassen. Denn damit könnte es einen Teil seiner Finanzkrise lösen.

Spionage im Iran

Sie haben das Buch "Geheimer Krieg mit dem Iran" geschrieben. Wie arbeiten der Mossad in der islamischen Republik, ein weit gefährlicheres Terrain als Dubai?

Ronen Bergman: Sie erwarten doch wirklich nicht, dass ich diese Frage beantworte?

Natürlich keine Details, aber zumindest Grundsätze der israelischen Geheimdienstarbeit. In den letzten Jahren gab es eine ganze Reihe von unerklärlichen Unfällen und Explosionen im Iran.

Ronen Bergman: In meinem Buch vertrete ich die These, dass es einen Insider im iranischen Atomprogramm gibt. Die Iraner selbst gaben zu, dass jemand das Programm infiltrierte und versuchte, es zu sabotieren. Zwei Labore gingen im Feuer auf und zwei Flugzeuge der Revolutionären Garden, die zum Atomprogramm gehörten, fielen vom Himmel. Zwei Ingenieure verschwanden und ein dritter wurde im Zentrum von Teheran getötet.

Derartige Anschläge brauchen Jahre der Vorbereitung. In welchen zeitlichen Dimensionen arbeitet der Mossad?

Ronen Bergman: Ich weiß natürlich nicht, wer die Anschläge begangen hat, aber Mossad-Chef Meir Dagan machte bei seinem Amtsantritt 2002 den Iran und sein Atomprogramm zu einer von zwei Prioritäten. Die andere sind terroristische Organisationen wie Hisbollah oder Islamischer Dschihad. Dagan fokussierte seine riesige Organisation darauf, einen Iran mit Nuklearwaffen zu verhindern. Ich denke, viele der Vorfälle innerhalb des iranischen Atomprogramms der letzten zwei, drei Jahren sind ein Resultat dieses Strategiewechsels des Mossads. Außerdem ein Ergebnis der Kooperation mit anderen Geheimdiensten aus dem Mittleren Osten, also nicht nur mit dem CIA.

Welche Geheimdienste meinen Sie damit?

Ronen Bergman: Sehen Sie, heute gibt es gemeinsame Interessen im Nahen Osten. Die meisten Länder wollen nicht, dass die radikale Hamas Palästina übernimmt, genauso wenig wie man Hisbollah als dominierende Führungskraft im Libanon möchte. Schrecklich ist zudem für viele Staatsoberhäupter die Vorstellung, der Iran könnte Atomwaffen besitzen.

Sie meinen also, der Mossad arbeitet auf Geheimdienstbasis nicht nur mit Jordanien oder Ägypten, mit denen Friedensverträge bestehen, sondern auch mit anderen, eigentlich feindlich gesinnten Nationen zusammen.

Ronen Bergman: Sagen wir so: Eine Kooperation mit allen, die die gleichen Interessen teilen.

Konkret: Von welchen arabischen Ländern sprechen Sie?

Ronen Bergman: Tut mir Leid, ich kann und werde keine Namen nennen.

Was macht der Iran eigentlich in Sachen Spionage?

Ronen Bergman: Die Iraner unternehmen große Anstrengungen, innerhalb Israels zu spionieren. Sie kartographieren Israel unter dem Gesichtspunkt möglicher Ziele, die sie im Fall eines israelischen Angriffs auf ihr Atomprogramm als Vergeltung bombardieren könnten. Sie suchen allerdings auch Ziele außerhalb Israels.

Und was ist mit Hisbollah? Im Libanon-Krieg von 2006 fanden israelische Soldaten in den Bunkern der libanesischen Miliz Aufklärungsfotos der eigenen Luftwaffe (Hisbollah konnte die Funkkommunikation des israelischen Militärs mithören).

Ronen Bergman: Ja, sie sammeln sehr viele Informationen.

Aber wie machen sie das?

Ronen Bergman: Viele Informationen bekommt man aus öffentlichen Quellen im Internet, aus sozialen Netwerken wie Facebook oder Twitter oder auch aus israelischen Medienberichten. An der Nordgrenze arbeiten Beduinen für die israelische Armee, werden aber gleichzeitig von Hisbollah bezahlt Außerdem weiß die schiitische Miliz sehr gut auch Drogendealer zu benutzen. Sie lassen sie in ihrem Gebiet weiter operieren, müssen aber im Gegenzug Informationen und Beziehungen in Israel beschaffen.

Mossad hat enorme Fähigkeiten entwickelt, Terrornetwerke in Palästina, im Libanon oder auch in Syrien zu infiltrieren

Und der Mossad im Libanon? Kann es sein, dass er seine Aktivitäten nach der militärischen Pleite im Libanon-Krieg von 2006 erhöht hat?

Ronen Bergman: Der israelische Geheimdienst hat generell in den letzten Jahren einen signifikanten Aufschwung erlebt. Er hat enorme Fähigkeiten entwickelt, Terrornetwerke in Palästina, im Libanon oder auch in Syrien zu infiltrieren.

Aber im Libanon wurden im letzten Jahr gleich mehrere israelische Spionagenetzwerke geknackt und zahlreiche Agenten sind verhaftet worden. Erst letzten Februar wurden erneut fünf Verdächtige verhaftet.

Ronen Bergman: Wenn sie tatsächlich zu Israel gehörten, dann ist das ein empfindlicher Verlust und natürlich ein Zeichen von Versagen. Aber wer nichts tut, kann auch keine Fehler machen. Vielleicht sollte man es so sagen, wo viel unternommen wird, gibt es auch mehr Fehler. Das ist ganz normal. Man sollte aber nicht vergessen, dass Hisbollah seinen wichtigsten Militärkommandeur verloren hat, nämlich Imad Mugnyieh (Tod eines Superterroristen). Daneben gab es einige mysteriöse Explosionen in Hisbollah-Depots und Anschläge auf Hamas-Leute in Beirut.

Anschläge gegen Terrorführer sind "effektiv"

Sie haben Imad Mugnyieh angesprochen. Können Sie mir vielleicht an seinem Beispiel erklären, welchen Sinn es macht oder wie effektiv politisch motivierter Mord ist? Ist es letztendlich nur eine Demonstration von Macht oder einfach nur eine Racheaktion?

Ronen Bergman: Ich kann Ihnen einige Beispiele dafür geben, wie effektiv derartige Anschläge sind. Nehmen wir als erstes Fathi Shikaki, den Führer des palästinensischen Islamischen Dschihad, der 1995 von einem Mossad-Kommando in Malta getötet wurde. Er war nicht nur Gründer und Vordenker der Organisation, sondern hatte in seinem Kopf auch alle Kommandostrukturen sowie alle Nummern von Bankkonten, von denen der Islamische Dschihad finanziell abhängig war. Sein Tod beförderte die Organisation für fünf, sechs Jahre in ein Koma.

Und was ist mit Imad Mughnyieh, dem Hisbollah-Kommandeur, der im Februar 2008 in Damaskus durch eine Autobombe ums Leben kam?

Ronen Bergman: Mughnyieh war ein teuflisches Genie. Zu Lebzeiten der fähigste, talentierteste und brillanteste Terrorist, dem Osama bin Laden und Carlos zusammen nicht das Wasser reichen konnten. Mughnyiehs Tod bedeutet für Hisbollah nicht nur ein kurzfristiges, taktisches Problem, sondern hat langfristige, strategische Konsequenzen.

Sie meinen, weil er für die gesamte Verteidigungsstrategie der Hisbollah verantwortlich war, die der israelischen Armee immer wieder in ernsthafte Schwierigkeiten brachte?

Ronen Bergman: Mughnyieh war ein Führungsgenie, der vier verschiedene Abteilungen gleichzeitig leitete. Hisbollah musste seinen Posten mit vier Leuten besetzen, von denen ihn jedoch keiner, auch nur halbwegs, ersetzen konnte. Sein Tod hat also nichts mit einer Rache- oder Vergeltungsaktion gemein.

Sie meinen, seine Ermordung ist wie eine militärische Niederlage für die libanesische Miliz?

Ronen Bergman: Ja, es ist eine Niederlage, deren psychologischen Aspekt man zudem nicht vergessen sollte. Imad Mughnyieh galt als eine Legende, der weder der israelische, noch ein anderer Geheimdienst etwas anhaben konnte. Der Tod dieser Legende hat natürlich einen psychologischen Effekt, der nicht zu unterschätzen ist. Das gilt auch für das letzte Attentat in Dubai. Der Tod von Mahmoud Mabhouh, der für den Waffenschmuggel von Hamas aus dem Iran in den Gaza-Streifen verantwortlich war, ist eine Botschaft an alle anderen: Ihr seid nirgends sicher.

Da Sie gerade von der Hamas sprechen, in Palästina, sowohl in der Westbank wie in Gaza, muss der israelische Geheimdienst hervorragende Kontakte verfügen. Denn sonst lässt sich die Vielzahl der gezielten Morde in den letzten Jahren nicht erklären. Ohne die Kollaboration von Palästinensern, die Informationen über Bewegungen, Gewohnheiten und Aufenthaltsorte der Zielpersonen liefern, wäre das nicht möglich.

Ronen Bergman: Darüber werde ich wirklich nichts sagen. Das ist ein sehr sensibles Thema und steht unter höchster Geheimhaltungsstufe. Aber eines ist klar, wenn man so umfassend über die andere Seite Bescheid weiß, muss man sehr, sehr gute Quellen haben.

Der Mossad ist ein besonders sensibles Thema

Wenn vom israelischen Geheimdienst die Rede ist, meinen die meisten Leute "den Mossad". Aber die Geheimdienstgemeinde Israels ist viel mehr als nur Mossad.

Ronen Bergman: Ja, allerdings. Neben dem Mossad, der für Informationsbeschaffung und Operationen außerhalb Israels zuständig ist, gibt es einmal den Shin Bet. Er ist das Äquivalent zum britischen MI5 und arbeitet innerhalb Israels. Dann gibt es noch den Militärischen Geheimdienst Aman, der die größte Behörde von allen ist und eine spezielle Einheit unterhält. Das ist die Unit 504, die zum einen Agenten einsetzt und zudem geheime Einrichtungen zur Vernehmung besitzt. Teil des Militärischen Geheimdiensts ist eine Forschungs- und Analyseabteilung, in der die Informationen aller Geheimdienste zusammenlaufen und ausgewertet werden. Dort legt man Ziele und Prioritäten fest, die für alle geheimen Agenturen binden sind.

Der Mossad ist der einzige der drei israelischen Geheimdienste, für den es keine verbindlichen rechtlichen Grundlagen gibt. Er ist direkt dem Premierminister unterstellt, der für Operationen grünes Licht geben muss. Warum ist das so?

Ronen Bergman: Der Mossad ist eben ein besonders sensibles Thema. Zum anderen ist es kaum möglich, ein Gesetz zu machen, im dem das Recht formuliert wird, jemanden zu töten.

Da wären wir abschließend bei der Moral und Ethik von gezielten politischen Morden.

Ronen Bergman: Das ist eine schwierige Frage, mit der wir mitten in ein Dilemma geraten. Für einen Deutschen oder einen anderen Europäer ist wohl das Furchtbarste, was man tun kann, einfach jemand zu töten, die Todesstrafe ohne Gerichtsverhandlung anzuwenden. Es ist eine Art von Kriegsverbrechen. Nur in Israel, wenn es um Fragen der Sicherheit geht, spielen Demokratie oder auch eben andere Maßstäbe eine untergeordnete Rolle. Es gäbe viele Dinge, die per Gesetz geklärt werden könnten, aber bisher ist das nicht erfolgt.