Koalition uneinig über Netzsperren

FDP und CDU/CSU diskutieren öffentlich über Netzsperren - und liegen dabei weit auseinander

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Laut dem Fremdwörterbuch des Dudenverlages ist eine Koalition eine Vereinigung mehrerer Parteien zur Durchsetzung ihrer Ziele. Die liegen bei der derzeitigen Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP jedoch augenscheinlich äußerst weit auseinander. Dies zeigt die gestrige Debatte über die Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet. Sowohl CDU/CSU als auch die FDP hatten zu einer offenen Anhörung mit Experten geladen – in getrennten Räumen. Ein Versehen, wie aus Koalitionskreisen zu hören war. Man habe die Termine untereinander schlecht abgestimmt.

Alle Bilder: Silvio Duwe

Sechs Experten hatte die Union geladen, um herauszufinden, wie die Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet in Zukunft möglichst effektiv gestaltet werden kann. Das Ergebnis der Veranstaltung, die von Julia Freifrau von und zu Weiler, Geschäftsführerin des in die Kritik geratenen Kinderschutz-Vereins Innocence in Danger (Präsidentin: Stephanie Freifrau von und zu Guttenberg) mit drastischen Fallbeispielen eingeleitet wurde, so scheint es, stand schon vorher fest.

Allein ein einzelner Film, der den schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes zeige, sei in einem Monat 48.000 Mal heruntergeladen worden, so von Weiler. Für die Opfer ist das Wissen, dass ihr Missbrauch dokumentiert und für jeden im Netz abrufbar sei, wie ein immer wieder erneut begangener Missbrauch, so die Psychologin weiter. Für Dr. Hans-Peter Uhl, der die Sitzung leitete, stand nach diesem Eingangsstatement fest: Jeder, der sagt, er könne da nichts machen, "versündigt sich an Kindern."

Julia von Weiler

Die Frage, welche Maßnahmen ergriffen werden könnten, beantwortete der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke. Das Hauptanliegen des BKA sei es, Täter und Opfer auf den Aufnahmen zu identifizieren, um einen eventuell noch immer andauernden Missbrauch zu stoppen. Darüber hinaus möchte das Bundeskriminalamt auch den Zugriff auf entsprechende Angebote im Netz verhindern oder zumindest erschweren.

Seit dem Jahr 2000 sei eine Kommerzialisierung der Angebote im World Wide Web zu erkennen. Zwar sei die Mehrzahl der Angebote derzeit nicht kostenpflichtig, jedoch gebe es Anbieter, die monatlich zwischen 80 bis 150 US-Dollar für den Zugang zu Kinderpornographie verlangen würden, so der BKA-Präsident. Einzelne Seiten erzielten so Einnahmen von 1,3 Millionen US-Dollar pro Woche. Da zudem die Nachfrage nach Kinderpornographie den sexuellen Missbrauch fördere, steht für Ziercke fest, dass gegen die entsprechenden Angebote im Netz vorgegangen werden muss.

BKA Evaluationsergebnisse

Jedoch, so gibt der BKA-Präsident zu bedenken, funktioniere die Verpflichtung zum Löschen lediglich bei deutschen Providern gut, im Ausland gebe es dagegen Probleme. Seit Januar evaluiert das Bundeskriminalamt, wie auf Anfragen im Ausland, kinderpornographische Inhalte aus dem Netz zu nehmen, reagiert wird. Erste Zahlen präsentierte Ziercke auf der Sitzung der CDU/CSU. So seien im Januar 104 und im Februar nochmals 180 Anfragen vom BKA an das Ausland weitergegeben worden. Nach einer Woche waren jedoch nach Aussage von Ziercke im Januar noch 14 Prozent der beanstandeten Inhalte im Netz, im Februar seien es gar 50 Prozent gewesen. In beiden Monaten gingen dabei die meisten Anfragen in die USA, gefolgt von den Niederlanden und Russland, die jedoch die Plätze im Februar tauschten.

Ganz andere Zahlen nannte in diesem Zusammenhang Alexandra Koch, die den Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) vertrat und die Internet-Beschwerdestelle Inhope vorstellte. Ihren Angaben zufolge gelingt die Löschung von Kinderpornographie im Netz in nahezu 100 Prozent aller Fälle, und das nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland.

Da jedoch das Vorgehen in den einzelnen Staaten unterschiedlich sei, gebe es Unterschiede in der Bearbeitungsdauer, so Koch. Während in Russland im Schnitt nach drei Tagen die Inhalte entfernt würden, dauere es in den USA länger, da dort die Hinweise zunächst an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben würden und nach einer Woche dann eine Prüfung erfolge, ob die Inhalte aus dem Netz genommen wurden oder nicht. Erst danach gehe man dann direkt an den Provider heran. Da der größte Teil der Länder, in denen Server mit Kinderpornographie stehen, Mitglied bei Inhope sei, sieht man beim eco keinen Bedarf für Netzsperren.

Ähnlich sieht es auch Constanze Kurz vom Chaos Computer Club. Sie hält die Beschwerdestelle für eine unterstützenswerte Einrichtung. Jedoch müsse es das Ziel sein, die Löschzeit auf unter 24 Stunden zu senken. Zudem forderte sie, Inhope in der Öffentlichkeit bekannter zu machen, da viele Nutzer nicht wüssten, wo sie entsprechende Inhalte melden können. Weiterhin sei es notwendig, auch die Möglichkeit einer anonymen Meldung zu schaffen, um die Hemmschwelle zur Nutzung des Dienstes weiter abzusenken. Auch eine Ausweitung von verdachtsunabhängigen Kontrollen im Netz, beispielsweise in Tauschbörsen, sei notwendig.

Ingo Wellenreuther

Die Abgeordneten der CDU/CSU nutzten die auf die Expertenanhörung folgende Diskussion, um ihrem Unmut über die Zugeständnisse an die FDP beim Sperrgesetz Luft zu machen. So erklärte der ehemalige Richter Ingo Wellenreuther: "Wenn man da die Grundsätze der Logik anwendet, muss man sagen, es hilft vielleicht nicht viel und auch nicht entscheidend, aber es hilft, wenn man eben im Internet solche Sperrmöglichkeiten einrichtet. Deswegen sage ich auch ganz offen, ich habe überhaupt kein Verständnis für das, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist."

Aus seiner Sicht gebe es keinen Grund, das Löschen der Inhalte weiter zu evaluieren, da er mit dem Ergebnis nicht zufrieden sei. Die von Constanze Kurz und Alexandra Koch angesprochene Gefahr des Overblockings lässt er als Argument nicht gelten. "Deswegen schaffen wir das Strafgesetzbuch ja auch nicht ab, weil wir nicht alle Fehler erfassen können oder weil es manchmal Exzesse gibt." Dass das Sperrgesetz außer Kraft gesetzt wurde, sei für ihn ein "untragbarer Zustand", so Wellenreuther weiter.

Alexandra Koch

Für einige Fraktionsmitglieder der Christdemokraten offenbar überraschend meldete der Liberale Jimmy Schulz an dieser Position Kritik an und mahnte den Koalitionspartner, sich an den ausgehandelten Koalitionsvertrag zu halten. "Was wir damit schaffen, sind die Gelben Seiten der Kinderpornographie im Internet. Und damit helfen wir solchen Leuten an diese Sachen heranzukommen viel mehr, als wenn wir einfach nur ein Deckmäntelchen davorziehen. Wir wollen aber hingucken und löschen, weil wir wissen dass das geht.", so Schulz.

Dieser Auftritt irritierte einige Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion derart, dass sich Hans-Peter Uhl genötigt sah, seine Parteikollegen daran zu erinnern, dass es sich um eine fraktionsoffene Sitzung handele, bei der auch ein FDP-Mitglied das Recht hat, das Wort zu ergreifen.

Jimmy Schulz

Die Frage von Dr. Günter Krings (CDU), ob das BKA bereits versucht hätte, direkt an ausländische Provider heranzutreten, um eine Löschung zu bewirken, verneinte BKA-Präsident Ziercke mit dem Hinweis, dass auch Inhope damit keinen sonderlichen Erfolg habe. "Auch Inhope hat es trotz des weltweiten Netzes nicht geschafft, weltweit das ganze Thema vor diesem Hintergrund so einzuschränken, dass man das nachhaltig spürt.", so Ziercke.

Außerdem handele es sich beim BKA um eine Behörde, die sich an Regeln halten müsse, weswegen es ihm unmöglich sei, direkt an ausländische Privatanbieter heranzutreten. "Also ich glaube, wir würden es uns auch verbitten, wenn der CIA oder das FBI oder der chinesische Nachrichtendienst oder wer auch immer hier in Deutschland dafür sorgen will, dass bestimmte Dinge gesperrt oder gelöscht werden sollen. Nur noch einmal vom Grundprinzip her: Dass eine Behörde einen Privaten im Ausland auffordert, etwas zu tun, das kann ich schlicht nicht", so Ziercke. Es sei lediglich möglich, über Verbindungsbeamte in den entsprechenden Ländern auf eine Löschung hinzuwirken.

BKA-Präsident Ziercke

Während die CDU/CSU auf ihrer fraktionsoffenen Sitzung größtenteils unter sich über Kinderpornographie im Internet debattierte, hielt ein paar Räume weiter auf einer öffentlichen Veranstaltung der FDP zum Thema Kinderpornographie im Internet Frank Ackermann als Vizepräsident von Inhope einen Vortrag über die Arbeit der Internet-Beschwerdestelle.

Der Vorgang steht geradezu symbolisch für eine Regierung, die offensichtlich nicht in der Lage ist, sich auf eine politische Richtschnur für die nächsten vier Jahre zu einigen. Denn nicht nur räumlich, auch inhaltlich lagen die gestrigen Veranstaltungen ein gutes Stück voneinander entfernt, wie Jimmy Schulz im Gespräch mit Telepolis deutlich machte. Er zeigte sich erstaunt über die öffentliche Infragestellung des Koalitionsvertrages durch die CDU/CSU. Ein neuer Anlauf für Netzsperren sei mit der FDP nicht zu machen.

Vergessen scheinen die Zeiten, da der Koalitionsvertrag unterschrieben wurde, in dem steht, dass statt einer Sperrung kinderpornographischer Inhalte deren Löschung betrieben werden soll. Die Union scheint wieder im Wahlkampf angekommen zu sein, in dem sie mit dem Prinzip der einfachen Antworten punkten wollte. Bedenkt man, dass selbst die Regierung von einer einheitlichen Linie in der Netzpolitik meilenweit entfernt ist, so lässt dies für die kommende Enquete-Kommission, die sich fraktionsübergreifend mit dem Thema "Internet und digitale Gesellschaft" befassen soll, nichts Gutes erahnen.

Dabei wäre ein erster Schritt, miteinander zu reden. Kurz dem Ende der Sitzung kritisierte Innocence in Danger-Geschäftsführerin von Weiler die Schnelligkeit, mit der das Internet-Sperrgesetz noch vor den Neuwahlen durchgebracht wurde. "Und ich hätte mir damals auch gewünscht, dass der Chaos Computer Club oder der Arbeitskreis Zensur, dass die Fronten nicht so verhärtet gewesen wären. Das hat mich immer zutiefst betrübt, dass das so war", so von Weiler weiter und bot Constanze Kurz an, miteinander ins Gespräch zu kommen. Beide unterhielten sich noch, als die restlichen Sitzungsteilnehmer schon längst den Raum verlassen hatten. Die schwarz-gelbe Koalition könnte sich daran ein Beispiel nehmen.