Die Saga vom Sieg über den Krebs

Krebs: Harte "Chemo" bis zum Ende oder sanftere palliativ-medizinische Betreuung? - Medien könnten bei der schwierigen Entscheidung besser helfen, wenn sie ihre Berichterstattung ändern würden

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Mord, Terror, Suizid - wenn irgendwo ein Mensch stirbt, berichten Zeitungen und Fernsehen normalerweise gern darüber. Und werden darob auch oft genug kritisiert: Allein täglich die Nachrichten zu verfolgen, setzt den Zuschauer mehr Toten aus als das härteste Actionspiel. Regelmäßig werden dabei auch, und nicht nur von den Boulevard-Medien, Grenzen überschritten.

Doch wenn es um Medizin-Berichterstattung geht, steht plötzlich der mögliche Tod nicht mehr im Mittelpunkt. Vielmehr geht es um das Aufzählen des medizinisch Machbaren, soweit der Pressekodex es zulässt. Schlagzeilen wie „Neue Hoffnung auf Krebsheilung“ dominieren - auch wenn die Realität anders aussieht. In den Archives of Internal Medicine betrachten drei US-Forscher das Thema nun genauer. Jessica Fishman, Thomas Ten Have und David Casarett, drei Epidemiologen, haben aus über 2000 in den Jahren 2005 bis 2007 in überregionalen US-Medien erschienenen Artikeln mit Bezug auf die Krebserkrankung per Zufallsmechanismus 436 ausgewählt und genauer analysiert.

Die meisten dieser Beiträge konzentrierten sich dabei auf Brustkrebs (35 Prozent), gefolgt von Prostatakrebs (15 Prozent) - jeder fünfte Artikel diskutierte das Thema Krebs allgemein. Verlässt man sich auf die Aussage der Texte, müsste man meinen, Überleben sei bei Krebs die Regel - immerhin 140 Artikel beschrieben, wie ein oder mehrere Patienten die Krankheit besiegten. Nur bei 33 Beiträgen starb einer der Protagonisten, gar insgesamt nur zehn Texte zeigten beide Folgen. Die Realität sieht anders aus: Bei jedem zweiten Mann und bei jeder dritten Frau wird irgendwann im Leben einmal eine Krebsart diagnostiziert, und die Hälfte der Patienten stirbt daran (natürlich je nach Krebsart mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit).

Es überraschte die Forscher nicht nur, dass so wenige Reporter auf den leidvollen Aspekt des Sterbens eingingen - auch wenn von Behandlungsmöglichkeiten berichtet wurde, kamen meist nur die positiven Aspekte zur Sprache. Nur insgesamt 57 Artikel erzählten, dass manche Therapien die Überlebensrate gar nicht verlängern. Nur ein Drittel der Texte berichtete von den starken Nebenwirkungen, die vielen Chemotherapien eigen sind - Schmerzen, Haarausfall, Erbrechen, völlige Erschöpfung und damit einhergehende Neigungen zu Depression und absoluter Mutlosigkeit - kamen in zwei Drittel der Artikel nicht vor.

Medien: Einfluss auf Entscheidung zwischen aggressiver Behandlung und palliativer Versorgung

Ein letzter Aspekt, den die Statistiker untersuchten: Wie gehen Medien damit um, dass eine Krebstherapie mit unterschiedlichen Szenarien enden kann? Die palliativmedizinische Betreuung im Krankenhaus oder Hospiz machten in dem betrachteten Zeitraum nur zwei Beiträge zum exklusiven Thema, elf weitere befassten sich mit Therapie und Sterbebegleitung. Alle anderen Artikel beschränkten sich auf neue Behandlungsmöglichkeiten. Dabei gab es auch keine Unterschiede zwischen Zeitschriften- und Zeitungsartikeln, mehr oder weniger zur Verfügung stehender Platz war also kein Argument.

Aber sollte man den Medien nicht dankbar sein, wenn sie auf diese Weise Krebskranken zu mehr Hoffnung verhelfen, als eigentlich gerechtfertigt wäre? Die Wissenschaftler argumentieren dagegen - und haben dabei einige Studien auf ihrer Seite.

Zunächst geht es darum, den Patienten eine informierte Entscheidung zwischen aggressiver Behandlung und palliativer Versorgung zu ermöglichen. Erfüllte Wochen und Monate mit tolerierbaren Symptomen der Krankheit können unter Umständen einer nebenwirkungsreichen Therapie mit unbestimmtem Ausgang vorzuziehen sein. Wenn die Patienten die Möglichkeiten der Schmerztherapie kennen, das zeigen Studien, verbessert sich oft sogar deren Potenzial.

Die auf Erhaltung der Lebensqualität statt auf unbedingte Verlängerung der Lebenszeit ausgerichtete Behandlung im Hospiz findet, meinen die Forscher, deutlich zu wenig Platz in der Krebs-Berichterstattung der Medien. Das wirke sich nicht nur auf die Entscheidungsmöglichkeiten der Betroffenen aus - wenn ein Topic in den Medien stärker berücksichtigt wird, genießt er oft auch einen höheren gesellschaftlichen und politischen Stellenwert und erhält mehr Unterstützung.