Noch mehr Frühlingszettel

Haus in der Düsseldorfer Kiefernstraße. Bild: P. Bürger

Anstöße aus politischen und kulturellen Szenen der Landeshauptstadt von NRW (Teil 2)

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Die Kluft zwischen Reichen und Besitzlosen kommt in den höchst unterschiedlichen Stadtteilen Düsseldorfs schon sinnenfällig zum Ausdruck. Die Hausbesetzer riefen in den 1980er Jahren: „Uns die Kiefern, euch die Kö!“ Durch ihren Einsatz wurde bewohnbarer Raum vor Abbruch geschützt. Die ehemalige Hausbesetzerstraße und die Luxuseinkaufsmeile „Königsallee“ sind im Stadtführer gleichermaßen an prominenter Stelle aufgeführt. Einige Revoluzzerinnen und Revoluzzer von anno dunnemals sind heute aber recht zahm.

Teil 1: Subversive Frühlingszettel

Doch mit Widerspruch muss die Politik in dieser Stadt noch immer rechnen. Gruppen wie farbfieber e.V. sorgen dafür, dass man das im öffentlichen Raum auch sehen kann. Der Verein arbeitet – nicht nur bei Themen der Globalisierung – mit internationalen Künstlerinnen und Künstlern zusammen und darf z.B. auch kirchliche Gebäude als Malfläche nutzen. Mancher Hausbesitzer kann einer Verschönerung seiner Fassaden etwas abgewinnen. Seit einiger Zeit zeigt Farbfieber u.a. eingesperrte, nachdenkliche und schließlich entweichende Affen an Hauswänden und Mauern.

Bad Bank

„Rettet den Kapitalismus – enteignet die Proleten!“ hieß schon vor dem jüngsten Zusammenbruch des Finanzsystems eine Arbeit des Vereins. Wenn die Bildbotschaften in diese Richtung gehen und auch so verstanden werden, wie sie gemeint sind, gibt es allerdings mitunter energisches Eingreifen. Im letzten Jahr hielt ein unbekannter Zensor das Werk „Bad Bank“ des Farbfieber-Künstlers Klaus Klinger für besonders gefährlich. Für faule Wertpapiere und faule Finanzgeschäfte in der „Spielbank“, so zeigte Klinger im Mai 2009 an einer Eisenbahnbrücke, zahlen andere – aber keineswegs die Verursacher. Seine Idee: „Räuber müssen auch als Räuber benannt werden.“ Doch „Bankräuber“ stehen heute nicht mehr vor, sondern hinter dem Bankschalter, und zwar mit Schlips und Zylinder:

Bild: Farbfieber e.V.

Das anstößige Mittelfeld wurde im Juni – zum Verdruss der Farbfieber-Künstler und des Hausbesitzers – von einem Unbekannten fein säuberlich abgeklebt und übermalt. Fast mochte man meinen, die Veränderung am Kunstwerk sei von professioneller Hand ausgeführt worden:

Bild: Farbfieber e.V.

Bevor der Künstler und seine Kollegen das vom Eisenbahner-Bauverein eG Düsseldorf ermöglichte Gemälde wiederherstellen konnten, machten sie zwischenzeitlich die erfolgte Zensur mit Datum kenntlich:

Bild: Farbfieber e.V.

Nun müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die virtuelle Geldvermehrungs- und Umverteilungsmaschine im Jahr 2010 munter weiterläuft. Namentlich in der Bundesrepublik hat man wenig Sorge dafür getragen, dass die horrenden Aufwendungen des Staates zur vorläufigen Stabilisierung des Kasino-Systems von den Verursachern und Profiteuren auch refinanziert werden. So genannte Finanzprodukte, bei denen man mit fremdem Leid oder gar dem Zusammenbruch ganzer Wirtschaftsräume spekuliert, sind weiter auf dem Markt. Mit Geld, das man noch nicht hat und für das im Krisenfall ja sowieso die „Allgemeinheit“ einzustehen hat, darf unverdrossen weiter „gewirtschaftet“ werden. Klaus Klingers Werk ist also unvermindert aktuell. Vielleicht möchten Sie an Ihrem Haus auch so eine „Spielbank“ eröffnen?

Der andere Heimatfilm: „Rattenhuber und die Wilde Maus“

Die gegenwärtige Hatz auf Besitzlose ist genau besehen keineswegs so neu, wie viele vielleicht denken. Schon 1997 erklärten Wirtschaftslobbyisten in Düsseldorf, Obdachlose seien „wie Graffitis und Taubenkot kein Anblick, der zur Steigerung von Attraktivität und Kaufkraft beiträgt“ und gehörten „weggeräumt“ (vgl. NRZ 13.3.1997; WZ 15.3.1997). 1999 wurde im Kommunalwahlkampf dann eine „Verteidigung der öffentlichen Ordnung gegen Alkoholismusszenen, Pennertum, aggressives Betteln“ beschworen. Ich war damals beruflich in der psychosozialen Begleitung von HIV-positiven Drogengebrauchern tätig und fühlte mich bei diesem Sprachgebrauch an schlimme Geschichtszeiten erinnert. Meine Klienten bekamen das – von einem bürgerlichen Populisten geschürte – aggressive Klima in der Stadt zunehmend zu spüren. Wir – Christen aus Sozialberufen, Theologen, Theologinnen, sehr bekannte Ordensleute aus der Arbeit mit Armen und die Straßenzeitung fiftyfifty – legten direkt nach der Wahl eine Ökumenische Erklärung zur Achtung der Bürgerrechte von Wohnungslosen und „Suchtkranken“ vor.

Dem daraus erwachsenden Bündnis schlossen sich Künstler und Prominente an, die mit öffentlichen Aktionen den Protest begleiteten. Die Medien berichteten täglich. Der Druck wurde so groß, dass es zu einer Anhörung im Rat kam. Dort erklärte z.B. der katholische Stadtdechant, jeder Bettler sei ein Ebenbild Gottes und habe die gleichen Rechte wie wohlhabende Besucher von Einkaufszentren. Unsere juristische Stellungnahme zum Neuentwurf der Straßenordnung wurde in der Diskussion überall aufgegriffen.

Im Rückblick können die Erfolge dieser Bürgerrechtskampagne leider nur als bescheiden bezeichnet werden. Zumal in den Kirchen dominierte im nachfolgenden neoliberalen Jahrzehnt das Wohlverhalten. Der „Städtische Ordnungs- und Servicedienst“ (OSD) wurde unter der CDU/FDP-Stadtregierung mit Personal, Fahrzeugen, Uniformen und Befugnissen weiter aufgerüstet. Zusammen mit dem Anschwellen privater Sicherheitsdienste hat das erheblich zu einer Militarisierung des Stadtbildes beigetragen.

Leute, die auf dem politischen Strich ihre Überzeugungen und ihre Seele verkaufen, bleiben in unserer Gesellschaft ganz unbehelligt. Doch wer unter Verdacht steht, lediglich mit seinem Körper einem Gelderwerb nachzugehen, kann von Städtischen Sheriffs jederzeit angesprochen werden. Süchtige Finanzspekulationen auf Kosten anderer sind noch immer mit einem hohen Prestige vereinbar. Doch wer Opiate konsumiert, muss im öffentlichen Raum mit Platzverweisen und andere Repressionen rechnen (wie die willkürliche Kriminalisierung z.B. von Heroinkonsumenten mit dem Rechtssystem unserer Verfassung vereinbar sein soll, hat bislang noch niemand aufzeigen können).

Szenenbild aus dem Kurzfilm „Rattenhuber & die Wilfe Maus“. Bild: www.eiscremefabrik.de

Das gewandelte Stadtleben hat ein neuerer Düsseldorfer Heimatfilm mit dem Titel Rattenhuber und die Wilde Maus thematisiert. In diesem als Kreuzworträtsel gegliederten Kurzfilm wird nach der „Abkürzung für die neue städtische Schutzstaffel“ mit drei Buchstaben gefragt. Gemeint ist natürlich der OSD, der „für mehr Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt“ sorgt. Die Filmemacher „Djadja Desastra“ und „Mitsuka“ verwenden bei dieser Gelegenheit auch historisches Bildmaterial zum Aufmarsch brauner Uniformen in Düsseldorf.

Die Zuschauer des örtlichen Filmfestivals bedachten das Werk im November 2008 mit dem Publikumspreis. Die Vertreter der Landeshauptstadt reagierten hingegen schon bald mit einer Provinzposse unter der Überschrift Macht versus Meinungsfreiheit. Sie sahen die städtischen Ordnungshüter kollektiv beleidigt und klagten vor Gericht. Das ganze endete mit einem Nachhilfeunterricht der Justiz für die Vertreter jener Landeshauptstadt, die sich gerne mit dem Namen Heinrich Heines und ihren vielen Kunstmuseen schmückt. Noch ist Artikel 5 des Grundgesetzes in Kraft. Der Film konnte dann erneut – und ohne Angst vor kostspieligen Folgen – auf einem Kurzfilmfestival „über Unkraut, Ordnung und das Leben in der Stadt“ gezeigt werden. Das Filmkunstkino „Metropol“ hatte schon vorher jegliche Zensur abgelehnt.

Frei-Räume

Interessant könnte dieses Jahr auf der Düsseldorfer Kiefernstraße werden, auf der ich lebe. Seit Hausbesetzerzeiten hat die Stadt als Eigentümerin im Innenleben der „ungeraden Häuser“ kaum etwas machen müssen. Wer z.B. eine Gasheizung wünschte, musste sie schon selbst installieren lassen. Entsprechend fallen die Mieten denkbar niedrig aus.

So können hier u.a. Kulturschaffende und Freiberufler, die an kommerziell kaum gefragten Themen arbeiten, auch ohne „Hart IV“ und Wohngeld überleben. Wie lange noch, das hängt von der Umsetzung anstehender Sanierungspläne und wohl auch von der politischen Beharrlichkeit der Bewohnerschaft ab.

An Sonnentagen werden Kunstkonzepte auf der Straße heiß diskutiert. Weil es schon zu viele Fassaden mit farbiger Zuckergussglasur gibt, zeigt die „K9“ derzeit noch lieber ihr von der Straßengeschichte gezeichnetes Gesicht. Zuletzt hat sich eine Hausgemeinschaft für ein rein weißes Design mit Lichtinstallation (und freien Malflächen) entschieden. Beim näheren Hinschauen entdeckt man aber auch an den bunten Häusern ironische und politische Bildmomente. Die städtische Kunstszene hat der Kiefernstraße wahrlich viele Geschenke gemacht.

Schon immer trennte eine Mauer den hinteren Straßenteil vom großen Nachbargelände. Darauf konnten Graffiti-Künstler ihre – sich stets ändernden – Wandbilder anbringen. So ging es vor meinem Arbeitsfenster immer bunt zu. Einmal verpasste ein junger Sprayer seiner Hauptfigur ein weltbekanntes Kleiderlogo. Ich ließ vom Balkon aus meinen Protest herüber wachsen. Im Handumdrehen war das Logo einvernehmlich mit einem „Verbotszeichen“ verziert.

Die letzten Minuten der alten Graffiti-Mauer im April 2008. Bild: P. Bürger

Im April 2008 wurde diese bunte Mauer niedergerissen. Seitdem sind für mich die Jahre, in denen ich bei offenem Fenster oder sogar auf dem Balkon arbeiten konnte, für immer vorbei. Nach langen, für die Anwohner Nerven tötenden Bauarbeiten ist in diesem Monat ein riesiges Einkaufscenter mit über 500 Parkplätzen eingeweiht worden. Wir sind jetzt umzingelt von diesem Kommerzkomplex, einem neuen riesigen Land- und Amtsgerichtsgebäude und der benachbarten Autoverkaufsmeile. Über Nacht hat sich das ganze Viertel durch ein unvorstellbares Verkehrsaufkommen total verändert.

Die Stimmung ist so nervös, dass wegen eines Plakatzitates sogar dem politisch bewährten Macher der Straßen-Website in unserer Straßen-Mailingliste kommerzielle Werbeaktivität für den neuen Großmarkt unterstellt wurde (die umstrittene „Annonce“ kursiert inzwischen als abgewandelte Werbung für Wohnraum und Spielplätze). Dass mancher Planer die alte Hausbesetzerzeile in städtischem Besitz und die Genossenschaftswohnungen auf der Gegenseite als Hindernis für weitere Vorhaben betrachtet, kann man sich ausmalen. Nun, auch eine Mauer ist jetzt wieder hochgezogen worden. Das Material besteht aber aus porösen Steinen und ist deshalb bis auf weiteres wenig graffititauglich. Eine linke Straßenzelle hat die Mauer mit der provisorischen Aufschrift „antikapitalistischer Schutzwall“ vorerst in Besitz genommen (wirklich schön sieht das aber noch nicht aus). Immerhin, wir können jetzt mit Balkontransparenten Besucher aus der ganzen Region erreichen.

Wandbild der Düsseldorfer Frei-Raum-Bewegung auf der neuen Kiefernmauer. Bild: P. Bürger

Auch in der nahen und weiteren Nachbarschaft der Kiefernstraße bangen Leute aus Kunst- und Kulturszenen um bezahlbare Räume. Seit diesem Jahr haben sie sich als Freiraum-Bewegung organisiert:

Freiräume für Bewegung ist ein Zusammenschluss aus der freien Kulturszene Düsseldorfs. Wir sind MusikerInnen, MalerInnen, DesignerInnen, MedienkünstlerInnen, VeranstalterInnen, PolitaktivistInnen etc. und wir begreifen uns als Teil einer bundesweiten Bewegung, die aktuell in mehreren deutschen Großstädten entsteht und ihr Recht auf Freiräume, Gestaltung und Selbstbestimmung – kurz: auf ihre Stadt – einfordert.

www.freiraum-bewegung.de

Unter dem Leitgedanken „Die Stadt gehört uns allen“ steht jetzt nicht mehr „Besetzen“, sondern „Schenken“ auf der Tagesordnung: „Wir schenken unserer Stadt und ihren BürgerInnen kreative Freiräume – abwechslungsreich, bunt und innovativ.“ Unter Beteiligung von Farbfieber und anderen Kreativen wurde in einer ersten Schenkungsaktion die völlig vernachlässigte Unterführung in Eller mit Graffitis verschönert. Selbst die konservative Düsseldorfer Monopolzeitung kam nicht umhin, in ihrer Umfrage eine überwältigende Zustimmung der Bewohnerschaft zu dokumentieren.

Im Focus der Kameras: „Wir zahlen nicht für eure Krise“

Demonstration Essen am 20.3.2010. Bild: P. Bürger

Zum Abschluss noch etwas Nachdenkliches aus der weiteren nordrhein-westfälischen Nachbarschaft. Am 20. März, dem meteorologischen Frühlingsanfang, fand in Essen eine Demonstration statt unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise – Zwingen wir die Profiteure zur Kasse“. Mit Ausnahme einschlägiger Zeitungen wie der jungen Welt haben die Medien das Ereignis samt Zwischenfällen denkbar wenig beachtet. Die Veranstalter zählten 6.500 Teilnehmende. Die Polizeischätzung lag bei 4.000. In einem WDR-Bericht wurde abends die Zahl 2.000 genannt. Von der nennenswerten Schüler- und Jugendbeteiligung konnte sich der Autor dieses Beitrages selbst ein Bild machen. Vor Ort war aber auch wieder zu beobachten, wie eifrig unsere Mitbürger im Polizeidienst moderne Aufnahmetechnologie nutzen.

Demonstration Essen am 20.3.2010. Bild: P. Bürger

Es sollten inzwischen ja auch die hartnäckigsten Ignoranten kapiert haben, dass die Nutznießer und Anwälte des Kapitalismus vor Krawallen und Straßenschlachten keine Angst haben, sehr wohl aber vor gewaltfreien Widerstandsbekundungen in der Öffentlichkeit (in Essen jedenfalls waren die Demonstranten nicht gewillt, willkommene Spektakel aufzuführen; besonders die Jugend suchte das Gespräch mit der Polizei). Wie kann man zum Gelingen Erfolg versprechender Strategien beitragen? Lassen Sie bei politischen Versammlungen im Freien auf jeden Fall Ihre Kamera nie zuhause. Wenn tausende Objektive auf die staatlichen Kameras und ihr Einsatzumfeld gerichtet sind, dann kommen wir bei der demokratischen Kontrolle des öffentlichen Raums schon einen Riesenschritt weiter.