Hungersnot im Sahel

Die Energie- und Klimawochenschau: Von Dürren, Klimaflüchtlingen, Traumprofiten und dem ultimativen fossilen Wahnsinn italienischer Ölmanager

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Während hierzulande der Winter mal wieder ein richtiger Winter war und sogar etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990 lag, haben die Menschen andernorts ganz andere Sorgen. In Westafrika, wo die ersten Monate des Jahres zur Trockenzeit gehören, war es ganz ungewöhnlich warm, um nicht zu sagen heiß.

Normalerweise, so ein ehemaliger Eisenbahn-Ingenieur aus Malis Hauptstadt Bamako, der nach seinem Widerstand gegen die Privatisierung der dortigen Bahn entlassen wurde und sich nun unter anderem mit Landwirtschaft beschäftigt, letzte Woche gegenüber dem Autor, ist es in dieser Zeit in Mali das, was man dort kühl und in Norddeutschland einen angenehmen Sommer nennt: So um die 25 Grad im Tagesmittel. Doch dieses Jahr kletterten die Temperaturen am Tage auch in der "kalten Jahreszeit" meist auf über 30, oft 35 Grad und mehr. Was das bei gleichzeitiger Abwesenheit von Niederschlägen für den Wasserhaushalt der Böden bedeutet, kann man sich an zwei Fingern ausrechnen.

Temperaturverlauf an der Station Gao im Osten Malis. Unten: Die jeweils höchsten und niedrigsten Temperaturen je Tag. Oben: Die Tagesmitteltemperatur. Positive Abweichungen vom Referenzwert (langjähriges Mittel) sind rot dargestellt, negative Abweichungen blau. Mitte: Gleitender Mittelwert der Tagesmitteltemperaturen über 31 Tage. Bild: Climate Prediction Center

Und Bamako ist offensichtlich keine Ausnahme. Das gleiche Bild viel zu hoher Wintertemperaturen zeigt sich an den Wetterstationen von der Atlantikküste bis weit in den Sahel hinein. Meist war schon das ganz zurückliegende Jahr zu warm, aber in den Wintermonaten war es besonders schlimm. Leider sind aus der Region keine aktuellen Niederschlagsdaten online zu finden, aber was aus dem benachbarten Nordafrika bekannt ist (siehe Abbildung) lässt darauf schließen, dass es südlich der Sahara in den letzten Monaten erheblich weniger als üblich geregnet hat.

Niederschlag in Nordwestafrika in den vergangenen Wintermonaten relativ zum langjährigen Mittel. Wie man auf einer anderen Karte sieht, hat es in den Regionen mit Regendefizit in den letzten drei Monaten nur zehn Millimeter und weniger Niederschlag gegeben. Bild: Climate Prediction Center, NOAA

Entsprechend kommen aus dem Niger, im Herzen des Sahels gelegen, Hilferufe. Seit Januar sind dort bereits 50 Kinder verhungert. Schon vor dem zu heißen Winter hatte es in der Sahelzone teils zu unregelmäßige Niederschläge gegeben. In vier Monaten Regenzeit, schreibt die UN-Nachrichtenagentur IRIN, hat der Süden Nigers gerade zwei gute Niederschläge gesehen. Das Ergebnis: Ein erheblicher Teil der Ernte ist verloren gegangen - 31 Prozent oder 420.000 an Hirse, die ein Grundnahrungsmittel im Sahel ist -, Brunnen haben kaum noch Wasser und die Menschen fliehen aus den Dörfern, womit auch die künftigen Ernten in Gefahr geraten. Die Nahrungsmittelpreise waren bereits im Dezember um 30 Prozent gestiegen. Wer Vieh hat, verkauft es, obwohl sich die Preise inzwischen halbiert haben, um seine Familie ernähren zu können. Wer keines hat, fällt die letzte Bäume, um mit dem Verkauf von Feuerholz ein bisschen Geld zu verdienen. Bei der UN-Koordination für Humanitäre Hilfen schätzt man, dass allein die besonders hart betroffene Region Zinder im Süden Nigers 166 Millionen US-Dollar für Nahrungsmittelhilfen benötigt.

Vorgeschmack

Pro Kopf der 15 Millionen Einwohner Nigers war die letzte Getreideernte die schlechteste seit 20 Jahren. Beobachter vergleichen die Situation mit den schweren Dürren Mitte der 1980er Jahre, als im ganzen Sahel Hungernotstand herrschte. Auf jeden Fall zeigen die Ereignisse, wie fragil und anfällig für klimatische Schwankungen die Landwirtschaft in manchen Regionen der Erde ist und damit auch die Existenz der Menschen, die von ihr abhängen.

In einem global wärmeren Klima werden in verschiedenen Weltgegenden Dürren von der beschriebenen Art zunehmen, aber ihre lokalen Auswirkungen hängen natürlich auch stark von der ökonomischen Leistungskraft der betroffenen Länder und von den jeweiligen politischen Gegebenheiten ab. Wie man am Beispiel des Hurrikans Katrina vor ein paar Jahren gesehen hat, gibt es selbst parlamentarisch verfasste Staaten, die die ärmeren Teile der Bevölkerung einfach schutzlos den Gewalten der Natur überlassen.

Ob aber auch Westafrika, wo einige Staaten kaum die Mittel haben, ihre Bevölkerung aus eigener Kraft zu schützen, künftig verstärkt von Dürren betroffen sein wird, ist offen. Die Klimamodelle, mit denen Wissenschaftlern in diversen Ländern die Risiken der Treibhausgasemissionen abzuschätzen versuchen, kommen für das westliche Afrika südlich der Sahara zu unterschiedlichen Ergebnissen. In einigen der berechneten Klimata wird die Region unter schweren Dürren zu leiden haben, in anderen nehmen die Niederschläge eher zu.

Für die benachbarten Regionen sind die Ergebnisse hingegen erheblich einheitlicher: Die Länder Nordafrikas werden wie alle Mittelmeeranrainer unter steigenden Temperaturen und abnehmenden Niederschlägen zu leiden haben, und zwar um so stärker je weiter die globale Temperatur nach oben klettert. Auch für Ostafrika und vor allem die Region am Horn von Afrika sind die Aussagen ziemlich eindeutig. Dort ist mit vermehrten Starkniederschlägen zu rechnen, eine Situation, wie die jüngsten Katastrophenmeldungen von dort zeigen, die auch nicht gerade einfach für die betroffenen Menschen ist.

Klimaflüchtlinge

Die Bevölkerung, die mit den Umweltkatastrophen klar kommen muss, ist ohnehin schwer gebeutelt. 2005 lagen 34 der 50 ärmsten Entwicklungsländer im subsaharischen Afrika, 41 Prozent der Bevölkerung in den Ländern zwischen der transkontinentalen Wüste im Norden und dem Kap der Guten Hoffnung im Süden lebte 2004 in bitterer Armut, berichten Ulrike Grote von der Uni Hannover und Koko Warner vom UN-Institut für Umwelt und menschlichen Wandel in Bonn.

Nahezu ein Drittel der Bevölkerung sei zwischen 2001 und 2003 unzureichend ernährt gewesen, zwei Drittel des Kontinents seien mit Wüste oder trockenem Land bedeckt und in 27 von 53 afrikanischen Ländern habe es zwischen 1993 und 2002 bewaffnete Konflikte gegeben. Da ist es nicht verwunderlich, dass aus Afrika 28 Prozent der weltweiten Flüchtlinge kommen und der Kontinent 50 Prozent der weltweit Vertriebenen beherbergt, die in andere Provinzen ihrer Heimatländer gezogen sind.

Der Klimawandel, da sind sich alle Experten einig, wird diese Probleme noch erheblich verschärfen. Neben Dürren und extremen Niederschlägen, die mitunter auch die gleichen Regionen heimsuchen können und sich gegenseitig keinesfalls aufwiegen, wenn nicht umfangreiche Investitionen in Wasserrückhaltung unternommen werden, ist auch der Meeresspiegel ein Problem. Die Megacity, die sich derzeit an der Atlantikküste zwischen Lagos in Nigeria über Benin und Togo bis nach Accra in Ghana entwickelt, wird in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich durch den steigenden Meeresspiegel gefährdet werden. Und zwar nicht nur, weil das Wasser am Land knappert, sondern auch weil es in Grundwasserreservoirs vordringt und die ohnehin nicht unproblematische Wasserversorgung für ein so großes Konglomerat von Städten weiter gefährdet.

Neues vom Öl-Gipfel

In Großbritannien geht die Angst vor Peak Oil, dem Höhepunkt der globalen Ölförderung um. Wie berichtet (Nach der Kreditklemme die Ölklemme?) hatten britische Unternehmer einen Appell an die dortige Regierung veröffentlicht, sich des Themas anzunehmen. Immerhin drohen erheblich ökonomische Verwerfungen, wenn es durch eine Verknappung des Ölangebots zu erheblichen Preissteigerungen kommen sollte. Nun hat sich am vergangenen Wochenende der britische Energieminister Lord Hunt mit einigen Vertretern der Energiewirtschaft und den Unterstützern des Appells getroffen, wie der Guardian im Vorfeld berichtet. Über die Ergebnisse war allerdings bisher nichts der britischen Presse zu entnehmen. Doch offensichtlich wird jenseits des Kanals das Thema ernster genommen als hierzulande.

Der Ölpreis bewegt sich derweil bereits bei etwas über 80 US-Dollar pro Barrel (157 Liter), was einerseits beachtlich ist, da die Volkswirtschaften der großen Industriestaaten noch immer im Tief stecken und in Europa der Streit über die griechische Schulden und deutsches Lohndumping hochkocht. Andererseits verspricht der hohe Preis den Ölkonzernen wieder glänzende Profite, nachdem sie kurzzeitig etwas bescheidener haben werden müssen (zuvor hatte Exxon Mobil 2007 und 2008 jeweils einen Gewinn von 45 Milliarden US-Dollar eingefahren.)

Passend dazu berichtet der Calgary Herald aus Kanada, dass die Profite der dortigen Ölwirtschaft in diesem Jahr wohl um etwa 66 Prozent auf 8,08 Milliarden Kanada-Dollar (5,85 Milliarden Euro) zulegen werden. Dieser Prognose des Conference Board of Canada, eines unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstituts, liegt die Annahme einer zunächst eher moderaten Entwicklung des Ölpreises zugrunde. Für 2010 rechnen die kanadischen Ökonomen mit einem Barrel-Preis von knapp unter 80 US-Dollar. Die Marke von 100 $/Barrel wird in ihrem Szenario erst Mitte 2012 überschritten. Oder mit anderen Worten: Sollten sich die oben zitierten pessimistischeren Annahmen bewahrheiten, die unter anderem auch bei der Internationalen Energie Agentur IEA in Paris ihre Anhänger hat (siehe unter anderem IEA-Chefökonom: "Peak Oil" kommt 2020), dann könnten die Gewinne auch noch schneller in die Höhe schießen.

In Kanada nimmt der Abbau von Teersänden zur Ölgewinnung eine immer größere Rolle ein, während die konventionelle Förderung zurückgeht. In der Provinz Alberta werden diese mit Bitumen durchsetzten Sände großflächig im Tagebau abgebaggert und mit erheblichem Energieaufwand zu Rohöl verarbeitet. Bei dieser besonders zerstörerischen Form der Ölgewinnung werden drei bis fünf Mal so viel CO2 pro gewonnenem Barrel Öl in die Luft geblasen, wie in der herkömmlichen Förderung. Entsprechend hat Kanada von allen großen Industriestaaten umgerechnet auf die Einwohnerzahl inzwischen die höchsten Treibhausgasemissionen.

Dessen ungeachtet wird die Teersandförderung aber vermutlich ausgeweitet werden, nachdem die gegenwärtige Wirtschaftskrise neue Investitionen vorübergehend hat versiegen lassen. Die Ökonomen rechnen damit, dass die Förderung in diesem Jahr um 6,7 Prozent zunehmen und 2,1 Millionen Barrels pro Tag erreichen wird. Das alles, wie gesagt, unter der Annahme einer moderaten Preisentwicklung. Sollte der Ölpreis schneller steigen, so würde auch der Anreiz wachsen, diese besondere Form der Landschafts- und Umweltzerstörung noch schneller zu forcieren.

Der italienische Ölkonzern ENI prüft übrigens gerade in Kongo-Brazzaville einige Dutzend Quadratkilometer großes Gelände in der Nähe der Atlantikküste. Dort könnten schon bald der Urwald und einige Dörfer dem Erdboden gleich gemacht werden, um nach kanadischem Vorbild die Landschaft auf der Suche nach den Teersänden umzugraben. In unmittelbarer Nachbarschaft liegen ein großer Nationalpark und ein Biosphärenreservat.

Auf dem anderen Ende des potenziellen Tagebaus fördert ENI heute schon konventionelles Erdöl. Das dabei anfallende Gas wird abgefackelt, was für die Bevölkerung in der Nachbarschaft eine erhebliche Belastung ist. ENI will das Gas künftig in einem Kraftwerk verstromen und sich diese Investition als sogenannten Clean Development Mechanism honorieren zu lassen. Das heißt, der Konzern bekäme dafür CO2-Zertifikate, die in Europa verkauft werden könnten und dort zusätzliche Treibhausgasemissionen erlauben würden. Um dem ganzen die Spitze aufzusetzen, so befürchten Umweltschützer und Menschenrechtsgruppen im Kongo, könnte der Strom dann auch noch dafür eingesetzt werden, aus dem Bitumen der Teersändn Öl zu machen (die Informationen über ENI sind einer kleinen Studie der Heinrich-Böll-Stiftung entnommen: Energy futures? Eni's investments in tar sands and palm oil in the Congo Basin).