Die langsame Verwandlung des Internet

Namhafte Zeitungen steigen auf bezahlte Online-Angebote um. Kommt damit der "Apple-Journalismus" für die neue Info-Elite?

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Die Welle kommt. Die New York Times will ab Beginn nächsten Jahres Geld von Lesern verlangen, wenn diese weiterhin unbegrenzten Zugang zu ihren Online-Angeboten wünschen; eine bestimmte Auswahl an Artikeln soll kostenfrei bleiben, ausgewählte Beiträge sind ledigliche Abonnenten zugänglich. Andere ziehen nach, Le Figaro, Le Monde, The Times - allesamt Marken, die sich gut auf dem I-Phone machen.

Das neue System der New York Times soll kaum Auswirkungen auf die Millionen herumstreifender Webseiten-Besucher ("occasional visitors") haben, die nach wie vor mit einem kostenlosen Angebot versorgt werden. Lediglich bei der Stammleserschaft wollen man versuchen, ob sich die Loyalität auch in Geld auszahle, gab die Zeitung Anfang dieses Jahres bekannt.

Aktuell informiert die Londoner Times ihre Leserschaft darüber, dass ab Juni die Vorstellungen des Verlegers Murdoch umgesetzt werden. Der Zugang zu allen Artikeln auf times.co.uk , bzw. thesundaytimes.co.uk wird dann etwas kosten: 1 Pfund für 1 Tag bzw. 1,5 Euro/2 Dollar für "internationale Leser", das Wochenabo gibt es zu zwei Pfund/3 Euro/4 Dollar. Der zahlenden Kundschaft werden die "wichtigsten und interessantesten Stories auf dem neuesten Stand", selbstverständlich auf allen Geräten - "phones, e-readers, tablets and mobile devices" -, versprochen.

Le Monde und Le Figaro haben kürzlich ähnliches angekündigt. Ab Montag den 29. März will Le Monde sukzessive weniger Artikel ohne Bezahlung freigeben. Das kostenlose Angebot werde dadurch immer kleiner, gelegentlich angereichert mit "einem Dutzend Beiträge aus der Zeitungsredaktion, die extra für Lemonde.fr produziert werden".

Man präsentiere sich zum ersten Mal in der Geschichte der Zeitung als globale Marke, erklärt Eric Fottorino, der Mann mit dem wohlklingenden Titel "président du directoire et directeur du Monde". Das Angebot - "investigativer Journalismus mit langem Atem und analytischer Tiefenschärfe" im Blatt, Debatten im Netz, Breaking News auf Smartphones" - garantiere größere Attraktivität auf allen Ebenen, inklusive dem i-Pad.

Interessant sind die Leserreaktionen.

So argwöhnt man im Forum des französischen Magazins PC-Inpact, das mit unablässiger und spitzer Kritik gegen Hadopi aufgefallen ist, dass es zu einem fragwürdigen Markenjournalismus kommen könnte, einem "Apple-Journalismus" - den man leider, bis auf die Andeutung von Sponsoringabhängigkeiten, nicht näher erklärt. Aber vielleicht ist die jüngst thematisierte Zensur der Bild-Zeitungs-Nacktmädchen durch Apple nur ein Vorspiel für Gate-Keeper-Spiele neuer Art.

Leser der Times fürchten, dass durch das neue Geschäftsmodell der politische Gegner stark gemacht wird, da der Guardian und andere Zeitungen doch wahrscheinlich kostenlos bleiben - "This is a dumb idea, you can guarantee that the leftie papers will be free online."

Der interessanteste Vorbehalt gegen die bezahlten Zonen ist im Forum des Netzmagazins rue89 (das von der Unterstützung der Online-Magazine durch die französische Regierung profitiert) zu lesen. Dort erklärt ein Nutzer, dass die Zeitung sein Interesse verliere. Und zwar nicht, weil er alles nur umsonst haben will - wie ihm bestimmte Klischees unterstellen -, sondern weil sie aus dem für ihn relevanten Informationsstrom verschwinden würde.

Selbst dann, wenn er für das Abo bezahlen würde, würde er mit einiger Wahrscheinlichkeit zahlreiche aussagekräftige Artikel verpassen, aber seine Mitwelt im Netz, die er "contemporains" nennt, könnten ihn nicht mehr auf wichtige Le-Monde-Artikel hinweisen, da sie keine Abonnenten sind, bzw. nicht wissen oder nicht davon ausgehen, das er einer sei. Zu Zeiten der sozialen Informationsverwertung im Netz - "folksonomy" - sei dies ein Schritt zurück. Dass sich die Geschwindigkeiten, mit denen unterschiedliche Nutzer an Informationen kommen, durch die bezahlten Inhalte verändern werden, dürfte ein voraussehbarer Effekt sein, der Rest - on verra.