Blinder Terror oder Provokation auf einem Pulverfass?

Eine in im Abfall versteckte Rohrbombe in einer ärmeren Wohngegend Athens richtete sich vermutlich gegen Immigranten oder arme Griechen

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Die Athener Karwoche begann mit einem blutigen Terroranschlag. Ein fünfzehnjähriger Afghane wurde in der Nacht von Sonntag auf Montag um 22:40 Uhr von einer im Abfall versteckten Rohrbombe zerfetzt. Seine zehnjährige Schwester wurde schwer verletzt und droht zu erblinden. Auch die Mutter der Kinder musste in stationäre Behandlung. Die Identität der Bombenleger liegt weiter im Dunkeln. Analysten sehen jedoch die Verarmung der Bevölkerung, die Ghettobildung in den griechischen Innenstädten und das wachsende soziale Ungleichgewicht als Auslöser. Der Innenminister und die Polizei stehen im Zentrum der Kritik.

Zum Alltag in Athen gehören gerade in ärmeren Wohngebieten Gestalten, die nachts auf der Suche nach Nahrung oder wieder verwertbaren Gegenständen suchen zum Alltag. Ebenso alltäglich sind Demonstrationen von Streikenden sowie Bombenwarnungen mit vereinzelten Explosionen. Es ist das typische Bild eines wirtschaftlich angeschlagenen, korrupten Staatssystems, das sich im Umbruch befindet.

Eine Bombenexplosion ohne Vorwarnung mit unbekanntem Ziel

Geradezu traditionell kommt es zu Zusammenstößen linksextremer und rechtsextremer Gruppen. Jüngst explodierten die Büros der nationalistischen "Chryssi Avgi" (Goldene Morgendämmerung) am Omonia Platz. Charakteristisch bei allen Terroranschlägen war bisher eine telefonische Ankündigung. So konnten die betroffenen Gebäude oder Gebiete evakuiert werden. Personen kamen selten zu Schaden.

Wenn es zu Verletzten oder gar Toten kam, dann handelte es sich meist um Unfälle oder um gezielte Angriffe auf Staatsrepräsentanten, politische Gegner oder Polizisten. Dem kruden Ehrenkodex der Terrororganisationen nach seien dies "Feinde, denen man den Krieg erklärt hat".

Am Sonntag aber richtete sich der Terror offensichtlich gegen unbeteiligte Passanten. Es hätte jeden treffen können. Nicht nur Immigranten durchstöbern den Abfall, auch griechische Rentner und Arbeitslose versuchen, aus dem Müll anderer noch Kapital zu schlagen.

Viele urbane Zentren Griechenlands sind zu Ghettos verkommen. Eine fehlende Immigrationspolitik, endlos lange Küsten und unzählige Inseln ermöglichten bisher knapp zwei Millionen Schutzsuchenden die Zuwanderung nach Griechenland. Dort erwartet die Asylsuchenden der Status des "Illegalen". Es gibt besonders in der aktuellen Krisenzeit kaum Arbeit. Die Politik bereitet das 10 Millionen Volk der Griechen bereits auf eine offizielle Arbeitslosenzahl von zwei Millionen vor. Das Stadtgebiet Athens, in dem der Anschlag stattfand, ist überwiegend von Arbeitern, Arbeitslosen und Immigranten bewohnt. Wer es sich leisten kann, zieht in bessere Gegenden.

Die Bombe wurde in der Nähe des Eingangsbereichs der Hellenic Management Association gelegt, der traditionelle Warnanruf blieb jedoch aus. Ein besonders attraktives Ziel für Terroranschläge ist das Gebäude aber nicht. Bemerkenswert ist indes, dass in naher Umgebung des Gebäudes ein moslemisches Fest von Immigranten stattfand. Es war abzusehen, dass zahlreiche der Festbesucher an dem Gebäude vorbei gehen würden.

Schon eine Woche vorher hatten eine ebenfalls angekündigte Bombe das Ausländerbüro Athens und eine unangekündigte Bombe die Wohnung des Vorsitzenden der Pakistanischen Gemeinde beschädigt. Verletzte gab es damals zum Glück nicht.

Der Versuch, die Bombe einer Terrororganisation zuzuordnen

Trotz dieser unklaren Ausgangslage gab es seitens der griechischen Behörden am Sonntag bereits kurz nach 23 Uhr Statements, die den aktuellen Anschlag linken autonomen Gruppierungen zuordneten. Zunächst hieß es, das Todesopfer sei der Bombenleger, der beim Versuch die Bombe zu platzieren einen Fehler gemacht hätte. Diese Version wurde im Laufe der Nacht revidiert, als bekannt wurde, dass das Todesopfer ein fünfzehnjähriger Afghane war, dessen Familie bereits ein Abschiebeurteil erhalten hatte und sich auch daran halten wollte. Wer sich weigert, kann nach einer mehrmonatigen Haftzeit meist nicht abgeschoben werden und findet sich – erneut rechtlos – buchstäblich auf der Straße wieder.

Ein derart gesetzestreuer Afghane taugte den Behörden nicht mehr als linksautonomer Terrorist. Geradezu stündlich wurden andere Versionen an die Medien gegeben.

Besonders verdächtig ist den Behörden die "Verschwörung der Feuerzellen", eine der neueren Terrorgruppen. Die Bauart der Bombe würde, so die Athener Terrorermittler, die Handschrift dieser Gruppe tragen. Erst Anfang Mai war Lambros Fountas, ein autonomen Gruppen zugeordneter mutmaßlicher Terrorist, von Polizisten erschossen worden, als er zusammen mit einem Komplizen ein Auto stehlen wollte.

Demnach sei die jüngste Bombenserie eine Racheaktion, meinen zumindest einige offizielle Analysten sowie die Mainstreammedien. Die "Verschwörung der Feuerzellen" jedoch distanzierte sich über indymedia Athen von dem Anschlag. Ein Umstand, der in den meisten griechischen Medien entweder verschwiegen oder fast kommentarlos veröffentlicht wird. Die Terrorgruppe oder jemand, der sich zu ihrem Sprecher machte betont, dass es sich unter den gegebenen Umständen um eine Provokation handeln könnte.

Warum wäre eine "rechte Bombe" besonders gefährlich?

Es gibt vermehrt Befürchtungen, dass die Bombe einen ausländerfeindlichen Hintergrund haben könnte. Könnte nicht eine rechte Gruppe die Bombe nach bekannter linker Bauart zusammen gebastelt haben, fragen sich nicht nur politisch linke Griechen.

Die Bombe befand sich in einer Reisetasche, die herrenlos in der Nähe eines Abfalleimers abgestellt wurde. Den Aussagen der ebenfalls verletzen Mutter der Opfer zu Folge, hatte das kleine Mädchen die Tasche entdeckt, geöffnet und Kleidungsstücke sowie eine Uhr darin entdeckt. Sie rief ihren Bruder zu Hilfe. Der Sprengsatz detonierte, als der Junge die Tasche wieder abstellte.

Dimitris P., Anwohner und nach eigenen Angaben Augenzeuge der Explosion, berichtete in einem Blog, dass auch er selbst öfter Taschen mit Altkleidung neben Abfalleimer platzieren würde. Er könne aufgrund der Finanzkrise keine andere Hilfe leisten, würde aber gerne den heimatlosen Immigranten Unterstützung zukommen lassen. Dieses Vorgehen ist durchaus üblich, da es in Hellas keine Altkleidersammlungen nach dem Vorbild des deutschen Roten Kreuzes gibt. War es vielleicht ein gezielter Anschlag auf Ausländer?

Viele Athener fragen sich, wenn sich die Vermutung eines ausländerfeindlichen Anschlags bewahrheiten solle, wer die Konsequenzen einer entsprechenden Veröffentlichung verantworten müsste? Erst am 25. März war es im Rahmen der Paraden zum Nationalfeiertag zu weiteren rassistischen Eskalationen gekommen. Die Soldaten der Elitepioniere hatten in aller Öffentlichkeit fremdenfeindliche Parolen skandiert. Die Soldaten sprachen im Chor aus, dass sie die Albaner vernichten würden und dass man niemals Grieche werden könne, man müsse als Grieche geboren sein. Am Straßenrand standen dabei unter andere die Eltern albanischer Schüler, die zusammen mit ihren Sprösslingen die Parade verfolgten.

Damit steht die Truppe in diametralem Gegensatz zur Regierung, die erst jüngst ein Einbürgerungsgesetz für Immigranten der zweiten Generation durch das Parlament geboxt hatte.

Blogger griffen das Thema auf und stellten Videos bei Youtube ein. Das Thema wurde von der "Eleftherotypia", einer traditionell sozialdemokratisch ausgerichteten Zeitung aufgegriffen und sorgt derzeit für Aufregung. Denn mindestens zwei der Führungsoffiziere der Elitetruppe sollen aktive Mitglieder der Chryssi Avgi sein. Neonazis in der Truppe? Und das mitten in der Zeit der drohenden Staatspleite? Wie würde da ein Terroranschlag auf Ausländer wirken? Zumal die einzige Oppositionspartei, die den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Papandreou unterstützt, just die rechts gerichtete LAOS-Partei ist.

Vor zehn Monaten hatte ein von einem Polizisten zerrissener Koran für einen Aufruhr der Athener Immigranten gesorgt (Athen, Stadt der Unruhen). Damals wurde der Aufruhr der angeblich unbedarften Polizei angelastet. Heute jedoch, sind die gleichen Beamten im Einsatz, allerdings mit einer kollektiven Gehaltsminderung um etwa 14 Prozent. Viele verdienen nun gerade mal zwischen 750 und 1100 Euro.

Weniger Sicherheit in Zeiten der Krise?

Wie motiviert und effektiv die aufgrund der Sparmaßnahmen zur Staatsfinanzrettung verarmten Beamten zu Werke gehen zeigte sich am Montagmorgen nach dem Bombenanschlag. Das Stadtviertel wurde in der Nacht von Polizisten und Spezialisten abgesperrt und systematisch durchsucht, so die amtliche Verlautbarung.

Ganz in der Nähe des Anschlagsorts, nur 150 Meter entfernt vom Gebäude der Hellenic Management Association, fand seltsamerweise ein bewaffneter Raubüberfall statt. Für eine Beute von nur 300 Euro erschossen die Täter den Ladeninhaber und konnten aus dem "hermetisch abgesperrten" Gebiet unbehelligt flüchten. Wenige Minuten zuvor hatten mutmaßlich die gleichen Täter eine Geldwechselstube überfallen. Auch dort kam es zu Verletzten.

Erschreckend ist, dass die Gewaltbereitschaft auf allen Seiten zunimmt. Die wachsende soziale Kluft zwischen den Bewohnern Griechenlands sorgt für Spannungen, die bisher nicht Thema der europäischen Rettungsaktion waren. Bereits jetzt ist abzusehen, dass Portugal vor ähnlichen finanziellen Problemen wie Griechenland steht. Auch dort, auf der anderen Seite des Mittelmeers, gibt es bisher keine funktionierende Immigrationspolitik.

Der Montag nach dem Anschlag in Athen endete fast ebenso surreal, wie er begonnen hatte. Als Geste der Menschlichkeit hat die griechische Regierung den überlebenden Opfern des aktuellen Anschlags versprochen, sie würde ihren Aufenthalt erlauben und auch eine Wohnung zur Verfügung stellen. In Nachrichtensendungen wurde – wie leider üblich - die im Krankenbett liegende, verstörte Mutter des gestorbenen 15-Jährigen präsentiert. Der an der Tragik verzweifelnde Vater konnte von den Paparazzi ebenfalls ausgemacht werden. Auch dies demonstriert die Unfähigkeit eines Staats, verletzte Opfer zu schützen. Die Quotenhetze der Sender terrorisiert auch ohne Bomben. Auch hierfür gibt es EU-weit geltende Gesetze, die offenbar weniger wiegen als finanzielle Interessen.