Zeitarbeit statt anstrengungslosem Hartz IV-Einkommen

Josef Schlarmann, der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in der Union, greift in die Sozialstaatsdebatte ein

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Anstrengungsloser Wohlstand sei Hartz IV nicht, so Dr. Josef Schlarmann, der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in der Union (MIT). Anstrengungsloses Einkommen sei es hingegen schon, sagte Schlarmann gegenüber der Wirtschaftswoche. Da diese Gruppe ihr Einkommen auf Kosten Anderer beziehe, müsse nach jenen gefragt werden, die arbeiten könne, aber nicht wollen. Bei der Suche soll die Zeitarbeitsbranche helfen.

Wer von Sozialleistungen lebt, der soll nach Möglichkeit auch eine Gegenleistung erbringen – dieser Grundgedanke durchzieht weite Teile der aktuellen Debatte über die Zukunft des Sozialstaates Deutschland. Die Idee, diese Gegenleistung in Form von sozialer Arbeit in den Gemeinden zu erbringen, ist spätestens seit Hannelore Kraft auch in der SPD wieder ein Thema. Im Prinzip herrscht in dieser Frage schwarz-gelb-rote Einigkeit, wobei es bei der konkreten Ausgestaltung durchaus Unterschiede gibt.

Während bei den Sozialdemokraten von Arbeitsangeboten die Rede ist, die freiwillig angenommen werden können, sieht Schlarmann Solidarität als eine "beiderseitige Verpflichtung" an und fordert, dass die schon bestehende Regelung, die Hartz IV-Empfänger verpflichtet, jede zumutbare Arbeit anzunehmen, konsequenter umgesetzt werden muss. Neben den Kommunen könnten laut Schlarmann auch die Zeitarbeitsfirmen Arbeitsplätze anbieten.

Im Gespräch mit Telepolis bekräftigte Josef Schlarmann seine Ideen. Sein Vorschlag, die Zeitarbeitsbranche einzubinden, sei eine Reaktion auf die Kritik der Sozialverbände, die Kommunen könnten diese Arbeitsplätze gar nicht vorhalten. Da er jedoch möchte, dass Hartz IV-Empfänger künftig möglichst sofort ein Arbeitsangebot bekommen, solle die Zeitarbeitsbranche die bestehende Lücke füllen. "Wir haben eine Zeitarbeitsbranche, die sich auskennt in der Vermittlung von Arbeitskräften. Und natürlich nicht nur in der Vermittlung, sondern auch in der Weiterbildung und Vorbereitung von Arbeitskräften auf ihren zukünftigen Arbeitsplatz. Warum sollten wir nicht diesen privaten Weg gehen, um das Problem zu lösen?", so Schlarmann gegenüber Telepolis.

Die Idee ist nicht neu: auch Hans-Werner Sinn ist ein Befürworter dieser Kombination aus kommunaler Beschäftigung und verstärkter Einbindung der Zeitarbeitsbranche in die Vermittlung von Arbeitssuchenden. "Außerordentlich sinnvoll" sei das Konzept des ifo-Präsidenten. Denn die Erfahrung zeige, dass "Arbeitslose, die Hartz IV beantragen, bei sofortigem Angebot eines Arbeitsplatzes zu etwa 15 Prozent ihren Antrag sofort wieder zurücknehmen" würden. Der MIT-Vorsitzende verspricht sich davon nicht zuletzt auch eine Entlastung des öffentlichen Haushaltes.

Ein Vorbild sieht Schlarmann dabei in Schweden. Dieses Land sei immer nur dann ein Vorbild, wenn es um Verstaatlichung geht, kritisiert er. Dabei gingen die Schweden einen völlig anderen Weg. "In den schwedischen Kommunen werden viele Aufgaben privat erledigt, von privaten Firmen. Die Verwaltung richtet die Maßnahmen nur noch ein, überwacht sie und setzt den rechtlichen Rahmen. Aber die Durchführung liegt komplett in privaten Händen."

Die Befürchtung, dass durch den Ausbau von kommunaler Beschäftigung und Zeitarbeit Lohndumping begünstigt wird, hat Schlarmann nicht. Ihm ginge es in erster Linie um gemeinnützige und kommunale Arbeiten im sozialen Bereich. "Wie viele Handwerksbetriebe habe ich da noch, die dort tätig sind?", fragt Schlarmann und beantwortet die Frage sofort selbst: "Das ist vielleicht mal eine Gärtnerei, die von der Kommune den Auftrag bekommt, die örtlichen Grünflächen in Ordnung zu halten." Aber das, so der Bundesvorsitzende der MIT, könne ja nicht der Grund dafür sein, ein großes Problem ungelöst zu lassen. Einfache Arbeitsstellen, wie beispielsweise für Transporte, Harken oder Fegen, seien derzeit schwer zu besetzen. In diese könnten laut Schlarmann künftig über Zeitarbeitsfirmen ALG II-Empfänger vermittelt werden. Auch in der Pflege sei dies in solchen Bereichen denkbar, in denen keine ausgebildeten Pflegekräfte benötigt würden. Hier könnten die bisher Arbeitslosen ältere Menschen bei Spaziergängen begleiten, ihnen beim Aufräumen oder bei Reinigungsarbeiten helfen.

Von der Notwendigkeit seiner Vorschläge ist Schlarmann überzeugt: "Das Erstaunliche ist, und das zeigt mir, dass der Weg richtig ist, dass unsere sozialen Verbände das nicht wollen, weil ein Stück ihrer Kompetenz wegfällt. Dabei könnte dieser Schritt sehr erfolgreich sein." Immerhin entstünden damit auch in diesem Bereich Wettbewerb und Benchmark.

Doch nicht nur die sozialen Verbände, sondern auch die Beschäftigten in diesem Bereich dürften den Forderungen Schlarmanns skeptisch gegenüberstehen. Schließlich würde eine Ausweitung des Arbeitskräfteangebotes in der Pflege den Druck auf die dort beschäftigten Fachkräfte erhöhen - Versuche, den ab Juli 2010 geltenden Mindestlohn in der Pflegebranche von 7,50 im Osten und 8,50 im Westen durch gering qualifizierte Zeitarbeiter zu umgehen, erscheinen denkbar.

Schlarmann selbst spricht sich gegen den Mindestlohn in der Pflege aus. Dieser sei "Protektionismus pur" und verdränge "unliebsame Wettbewerber aus dem Pflegemarkt". Für Schlarmann steht fest: "Der Pflege-Mindestlohn ignoriert die Tatsache, dass es in Deutschland einen wachsenden Pflegemarkt gibt, der Pflegeleistungen unterhalb des vereinbarten Mindestlohnes anbietet." Die Ausweitung der Zeitarbeit scheint ein Mittel zu sein, diese "Wettbewerbsnachteile für private Anbieter" auszugleichen.