Für wen kämpfen die deutschen Soldaten in Afghanistan im "umgangssprachlichen" Krieg?

Präsident Karsai wendet sich rhetorisch vom Westen ab, was es auch der deutschen Regierung noch schwieriger machen dürfte, den Einsatz am Hindukusch zu rechtfertigen

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Die angebliche Verteidigung Deutschlands am Hindukusch konnten die Regierungskoalitionen bislang trotz wachsender Ablehnung in der Bevölkerung relativ unbeschadet fortsetzen und damit ihre Geschlossenheit mit den USA und den anderen Nato-Partnern demonstrieren. Bislang wurde der militärische Einsatz jedoch gerne vernebelt, nun muss sich Verteidigungsminister Guttenberg allmählich dem Wendepunkt nähern, direkt von einem Kriegseinsatz zu sprechen.

Einen vorletzten Schritt machte der Verteidigungsminister und sagte nach dem Angriff auf deutsche Soldaten und dem deutschen Angriff auf afghanische Soldaten, dass man "umgangssprachlich" das, was sich in einigen Teilen Afghanistans abspiele, Krieg nennen könne. Die Bundesregierung zögert natürlich keineswegs deswegen, das ominöse Wort auszusprechen, weil beim klassischen Kriegsfall zwei Nationen gegeneinander kämpfen, was in Afghanistan nicht der Fall ist. Es geht auch nicht um juristische Feinheiten, sondern darum, dass es bei einem Kriegseinsatz vor allem um die aggressive Niederschlagung des Feindes geht. Dann wäre es notwendig, die Ausrüstung und die Truppen in Afghanistan zu erhöhen, was noch mehr Geld kostet. Gleichzeitig müsste man mit mehr Verlusten bei den deutschen Soldaten und der afghanischen Bevölkerung rechnen.

Und schließlich ist man nicht mehr der gute Deutsche, der den armen Afghanen in einer humanitären Mission hilft, Polizisten ausbildet und Schulen errichtet, sondern kommt noch stärker in Rechtfertigungszwänge, weil innenpolitisch genauer dargelegt werden müsste, welche Ziele die Niederschlagung des Feindes verfolgt, wobei es immer schwieriger ist, genau auszumachen, wer eigentlich der Feind ist. Man müsste also neben dem bislang kaum geglückten "nation building" oder gar der Einführung der Demokratie wieder die terroristische Drohung für Deutschland und damit die Angst aufbauen, während man leugnen müsste, dass gerade der Krieg die Bedrohung verstärkt. Nun droht auch die afghanische Regierung dem Westen zu entgleiten.

Der Verlauf der Gefechte macht deutlich, dass unser Auftrag in Afghanistan gefährlich bleibt. … Dennoch bin ich davon überzeugt, dass unser Handeln zum Schutz der afghanischen Bevölkerung und zum Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte ohne Alternative ist.

Generalinspekteur der Bundeswehr General Volker Wieker am 4. April

Allerdings hat man den Eindruck, dass sich auch in Afghanistan die Kräfteverhältnisse verschieben und die Pläne für die Befriedung und den Wiederaufbau des weiterhin armen und durch Korruption gelähmten Landes, das vor allem der weltweit größte Exporteur von Opium und Haschisch ist und ansonsten am Tropf der Hilfsgelder hängt, an der Wirklichkeit scheitern. Der von den USA als Präsident aufgebaute und vor kurzem wiedergewählte Hamid Karsai scheint sich nun stärker vom Westen absetzen zu müssen. Das könnte darauf hinweisen, dass die Stimmung im Land kippt und Karsai seine sowieso nicht gefestigte Stellung meint nur dann halten zu können, wenn er auf Einheit und Nationalismus gegen Interventionen vom Ausland setzt, aber nicht mehr darauf, dass die westlichen Truppen die Aufständischen und regionalen Warlords unterwerfen und ein erfolgreiches nation building realisieren, das gerade auch im Irak an seine Grenzen nach den Wahlen stößt. Schon lange hatte Karsai immer wieder gewarnt, dass die vielen Opfer unter den Zivilisten die Menschen gegen die westlichen Koalitionstruppen aufbringen und damit auch gegen die von diesen gestützte Regierung.

Wahlmanipulationen hatte Karsai dem Westen vorgeworfen, nachdem die US-Regierung ihn unter Druck setzte, die Korruption stärker zu bekämpfen, und wenig Begeisterung für eine Friedens-Jirga zeigte, um die Versöhnung mit den Taliban voranzubringen. Auch wenn die Anschuldigung absurd klingt, da bislang Anhänger von Karsai der Wahlmanipulation beschuldigt wurden, so hatten die westliche Kräfte letztes Jahr nicht nur aus politischer Legitimation für die Afghanistanmission auf die Durchführung der Wahl auch unter zweifelhaften Umständen gesetzt, sondern sie benötigten auch unbedingt ein Ergebnis und hätten gerne eine Einheitsregierung mit dem Rivalen von Karsai durchgesetzt. Kurz ließ Karsai nach Gesprächen mit US-Außenministerin Clinton im Ton nach, machte aber am Samstag im Kreis von Stammesältesten in Kandahar, wohin er mit dem Oberbefehlshaber General McChrystal gefahren war, deutlich, wie Anwesende im Anschluss an Medien weiter gaben, dass er die geplante Offensive gegen die Taliban in Kandahar mit einem Veto belegen werde, wenn sie von den Einheimischen nicht gewünscht werde.

Zudem verbat er sich die Einmischung in die inneren Angelegenheiten, da sonst die Taliban eine legitime Widerstandsbewegung würde. Zudem könne er sich gezwungen sehen, sich diesen anzuschließen, wenn das Parlament es ablehnen würde, dass er die Kontrolle über die Wahlbehörde übernimmt. Nach den Schwierigkeiten Karsais mit der Wahlbehörde scheint er im Hinblick auf die Parlamentswahlen im September erneute Störungen verhindern zu wollen. Und er scheint sich den nationalistischen Strömungen, die auch die Taliban tragen, anbiedern zu wollen, auch wenn er ohne die Unterstützung der westlichen Staaten zum Scheitern verurteilt wäre. Dieser Spagat könnte ihn allerdings noch mehr innen- und außenpolitisch schwächen. Mit schiefen Augen wird vom Westen auch verfolgt, dass sich Karsai stärker mit Iran und China verbinden möchte.

There is no point in having troops in a mission that cannot be accomplished. The mission might be important, but if it can't be achieved, there is no point in sending these troops into battle. Part of the problem is that counterinsurgency requires a credible local partner.

Peter W. Galbraith, der frühere UN-Sonderbotschafter für Afghanistan, der aufgrund seiner Haltung zu den Wahlmanipulationen entlassen wurde.

Während die Amerikaner die Truppen massiv verstärken und auch immer mehr Angriffe mit Drohnen gegen Aufständische im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet fliegen, scheinen sich in Afghanistan und Pakistan die Kampfgebiete zu verlagern. Die New York Times berichtet, dass die Überwachung mit Drohnen die Bewegungsfreiheit von Taliban und al-Qaida stark eingeschränkt habe. Dazu kamen Offensiven der pakistanischen Armee. Allerdings werden so die Kämpfe möglicherweise nur auf andere Schauplätze verschoben. Mit der Offensive im Süden Afghanistans haben sich die Taliban vermutlich mehr in Richtung Norden gewandt. Nachdem auch US-Präsident Obama angekündigt hat, dass die Truppenaufstockung das Ziel hat, möglichst schnell aus Afghanistan abzuziehen, brauchen die Aufständischen neben Anschlägen und schnellen Angriffen keine Stellungen zu halten, sondern können die Zeit gewissermaßen absitzen.

Guttenberg bekräftigte, der Einsatz werde trotz der erlittenen Verluste konsequent weitergeführt: "Wir bleiben in Afghanistan", so der Minister. "Der Einsatz ist und bleibt gefährlich", auch künftig gelte es deshalb, mit Toten oder Verwundeten zu rechnen. Ziel des deutschen Engagements sei es nach wie vor, für mehr Sicherheit in der Region zu sorgen. Anderenfalls drohe eine Destabilisierung nicht nur dort, sondern in weiteren Teilen der Welt. Eine Abzugsperspektive müsse es geben, sie könne aber nicht darin bestehen, das Land Hals über Kopf zu verlassen.

Mitteilung der Bundesregierung am 4. April

In Pakistan selbst verlagern sich die Kämpfe in die Städte. Der Angriff auf das US-Konsulat in Peshawar, für den die Taliban die Verantwortung übernommen haben, macht dies erneut deutlich. Kurz zuvor waren 46 Menschen bei einem Selbstmordanschlag im Norden des Landes auf eine Kundgebung der Nationalpartei Awami getötet worden, die die Offensive des pakistanischen Militärs gegen die Taliban unterstützt.