Bundeskanzleramt verwehrt Asse-Untersuchungsausschuss Akteneinsicht

Angeblich besitzt das Kanzleramt selbst kaum Akten über die Asse

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Was wusste das Bundeskanzleramt über die Zustände im maroden "Versuchsendlager" Asse? Unter anderem diese Frage beschäftigt einen Untersuchungsausschuss im niedersächsischen Landtag. Dazu forderte der Ausschuss auch Akten aus dem Bundesumweltministerium und dem Bundeskanzleramt an. Letzteres jedoch schickte lediglich einen dünnen Aktenordner nach Hannover.

Das erscheint den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses doch etwas wenig zu sein, zumal der Ordner lediglich Dokumente aus den Jahren von 1978 bis 1981 enthält, obwohl die Asse schon 1965 im Auftrag des Bundesforschungsministeriums von der Gesellschaft für Strahlenforschung erworben wurde und damit in den Bereich des Bundes fällt.

Bemerkenswert ist zudem auch das Datum 1978: In diesem Jahr wurde die Einlagerung von radioaktiven Abfällen in die Asse gestoppt. Der Grund hierfür war eine Änderung des Atomgesetzes aus dem Jahr 1976. Damit wurde ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren zur Voraussetzung für die Einlagerung von Atommüll. Die Asse jedoch wurde weiterhin unter Bergrecht betrieben. Deshalb forderte Wolfgang Göke, der Direktor des Niedersächsischen Landtages, die Bundesregierung im Januar auf, weitere Akten zu übersenden, da die bisher eingegangenen Unterlagen "lediglich einen sehr begrenzten Zeitraum" abdecken würden. Doch das Kanzleramt besteht darauf, "das den Untersuchungsgegenstand betreffende übersendungsfähige Schriftgut in Kopie zur Verfügung gestellt" zu haben.

Über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Ende der Einlagerung von neuem Atommüll im Jahr 1978 und der Auswahl der an den Untersuchungsausschuss übergebenen Akten wollte eine Regierungssprecherin gegenüber Telepolis keine Stellung nehmen. Sie betonte jedoch, "dass das Kanzleramt der Bitte des niedersächsischen Untersuchungsausschusses entsprochen hat und nach Auswertung der vorliegenden Aktenbestände den wesentlichen Teil der im Bundeskanzleramt vorhandenen Schriftstücke zum Thema Asse übermittelt hat". Allerdings sei "in wenigen Fällen" von einer Übermittlung vorhandener Akten abgesehen worden, "da diese sich auf den geschützten Kernbereich des Regierungshandelns erstrecken", so die Sprecherin.

Stefan Wenzel, der für die Grünen im Untersuchungsausschuss tätig ist, kann das allerdings nicht glauben. In den Akten, die dem Ausschuss bisher vorliegen, fänden sich immer wieder Querverweise auf das Kanzleramt, und zwar nicht nur aus den drei Jahren von 1978 bis 1981. Wenzel verwies dabei auch auf die Energiekonsensgespräche, die 1995 noch unter der Regierung Kohl stattfanden. Die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel hatte sich schon damals die Senkung der CO2-Emissionen in der Energieproduktion auf die Fahnen geschrieben. Zusammen mit Wirtschaftsminister Günter Rexrodt wollte sie dies mit einem eindeutigen Bekenntnis zur Atomkraft erreichen.

Wenzel ist sich sicher, dass es bei den Energiekonsensgesprächen auch um die Asse ging. Sollte dies stimmen, so müsste es im Bundeskanzleramt dazu Akten geben. Auch das Ausschussmitglied Detlef Tanke (SPD) erhofft sich von den angeblich nicht existierenden Akten aus dem Kanzleramt unter anderem Antworten auf die Frage, ob "Frau Merkel als Fachministerin gewisse Vorgänge abgewickelt, ob sie Initiative ergriffen oder einfach nur geschlafen hat". Dass das Kanzleramt einen Großteil der Akten bereits an den Ausschuss weitergegeben hat, glaubt auch er nicht. "Wenn einer der 80 Millionen Menschen in Deutschland ernsthaft glaubt, dass es im Bundeskanzleramt zwei Akten über Asse und die Einlagerung von radioaktivem Müll in Salzgestein gibt, dem kann ich nicht helfen", so Tanke.

Laut der Regierungssprecherin braucht sich der Ausschuss jedoch auf solche Akten nicht all zu viel Hoffnung zu machen. Im Wesentlichen seien die Unterlagen bei den zuständigen Bundesministerien entstanden. Das Bundesumweltministerium habe dem Ausschuss bereits Anfang September 2009 76.000 Seiten Material zur Verfügung gestellt, in denen auch Unterlagen des Forschungsministeriums enthalten seien, so die Sprecherin weiter.

Doch offenbar sind darunter auch viele Dokumente, die mit der Arbeit des Ausschusses nur wenig zu tun haben. Unter anderem sollen sich in den Unterlagen mehrere Ordner mit Anleitungen finden, wie Fahrzeuge, die unter Tage eingesetzt werden sollen, vor dem Einfahren in den Schacht zerlegt und anschließend wieder zusammengesetzt werden können. "Es ist eine Strategie, dem Ausschuss Akten zu überweisen, die für die Aufklärung nicht von Belang sind, aber gleichzeitig wichtige Schriftstücke vorzuenthalten", so Wenzel. Wer mit reinen Mengenangaben den Eindruck erwecken wolle, man hätte genug geliefert, der versuche, den Ausschuss für dumm zu verkaufen.

Zudem seien wesentliche Inhalte oftmals gerade in den Staatssekretär- und Ministervorlagen enthalten, ergänzt Tanke. "Uns würde schon interessieren, welche Kanzlervorlagen es gegeben hat, welche Vermerke und Einschätzungen es zu Vorgängen gegeben hat, beispielsweise zu Fragen von Laugeneintritten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das im Ende der Kohlregierung völlig am Bundeskanzleramt vorbeigegangen ist. Insofern unterstelle ich mal, dass es dazu auch Informationen im Kanzleramt gegeben hat und das glaube ich wäre schon aufschlussreich um zu wissen, wer welche Entscheidung in der Asse getroffen hat."

Auf seiner heutigen Sitzung wird der Asse-Untersuchungsausschuss beraten, wie mit der offenbar nur sehr eingeschränkten Offenheit im Bundeskanzleramt umgegangen werden soll. Der Gang vor das Verfassungsgericht ist zwar theoretisch möglich, jedoch gibt es Stimmen, die zunächst eine politische Lösung anstreben wollen. Rechtlich ist der Bund laut dem Grundgesetz verpflichtet, den Untersuchungsausschuss in Niedersachsen im Rahmen der Amtshilfe zu unterstützen.