Alles Porno

Wie Pornographie unser Bewusstsein verändert hat.

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Bill Hicks konnte sich das alles noch als Komödie vorstellen.

Stimme eines primitiven Südstaaten-Richters:

"Äh, Mista Hicks, sind Sie vertraut mit einer Video-Serie namens Muschi-Schlecker1, Folge eins bis neunzig?"

"Alle neunzig? Wüsst' ich jetzt gar nicht."

"Ah-ha. Und, äh, Mista Hicks, kennen Sie einen gewissen Manuel, der in der Videothek Show World arbeitet?"

"Ach so ja, Manny!"

"Mista Hicks, die hammich vorjeladen. Die ham meine Eier in der Mangel."

Hicks war der schärfste amerikanische Satiriker seiner Zeit. Er hielt das Mikro in der Hand und sprach, wie bei Komikern und Kabarettisten üblich, direkt zu seinem Publikum. Die Szenen, die er entwarf, entstanden rein durch die stimmliche Beschwörung, in der Phantasie. Im Kopf.

Charakteristischerweise kreiste die Phantasie bei Hicks damals, vor knapp 20 Jahren, wie eh und je, beim Thema Pornographie, um eine Gerichtsszene. Als Nächstes sprach er scheinbar zu seinem Publikum, aber auch die folgende Aussage gehörte noch zur vorausgegangenen Gerichtsszene, weswegen die Geschichte für das Publikum dann gleich eine unerwartete Wendung nahm.

"Junge Junge, ich sags euch, die Pornographie hat in unserm Land in letzter Zeit einen wirklich schlechten Ruf bekommen. Und ich gebe es gerne zu Protokoll, damit ihrs schriftlich habt, jetzt gleich - ich liebe Pornos. Ich liebe das Zeug. Ich habe Kassetten, das ist die reinste Kunst. Pure fucking art, ich sags euch. Da sieht man Leuten zu, wie sie ficken und blasen, in jeder nur erdenklichen Stellung. Die bestaussehendsten Frauen, beim Stoßen, beim Saugen, ich liebe es. Also, ich sag das nur, damit ihrs bei den Akten habt."

Darauf der gleiche Richter wie vorhin:

"Mista Hicks, danke für Ihre Aussage. Ich weiß nicht, ob wir momentan für Sie eine Stelle am Obersten Gerichtshof frei haben, aber, mein Junge, haben Sie schon mal daran gedacht, Senator zu werden? Kommen Sie her, Junge. Bringen Sie ruhig ein paar von Ihren Kassetten mit rüber. Ah, schau dir das an, whuuu-ha! Nimm sie mit rüber zu Teddy's2 Haus. Yeah, schau dir das an, uuh! Da geht sie ran wie Blücher. Kuck dir das an. Ei Ei Ei!"

Aber die reine Freude am Porno, die Hicks hier beschwor, hatte auch eine Schattenseite: Die Angst, für seine Sünden bestraft zu werden. Hier im Originalton. Hicks stellt sich vor, er sei gestorben, und seine Eltern stolpern über seine Video-Bibliothek:

"That is one of my big fears in life, that I'm gonna die, you know, and my parents are gonna come to clean out my apartment, find that porno wing I've been adding onto for years. There'll be two funerals that day. I can see my mom going through my stuff. Look, honey, here's Bill when he was a Cub scout. Look at how cute my baby is. His little short pants, his little hat. Look how cute my baby was. I wonder what's in this box over here. 'Rear Entry', Volumes One through Forty?! Eeeeerrrr! CRASH! The only guy going through the gates of Heaven with his mom spanking him. Spank! Mom, they were on sale! Spank! Spank! Someone named Manny called. Oh, shit! Spank! Spank!"

Wer von eclesiogenen Angstpsychosen befallen ist, wird es möglicherweise mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, dass Hicks [vielleicht gar "als Strafe für seinen gotteslästerlichen Lebenswandel", oder so] tatsächlich mit 32 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben ist. Das war 1994. Man mag dagegen halten, dass Bill Hicks als politischer und gesellschaftskritischer Komiker und Satiriker - eben, als Kabarettist - seither Unsterblichkeit erlangt hat. Seine Vorstellung, dass er einen Westflügel allein für seine Porno-Videos anbauen müsste, verweist diesen Teil der Phantasie eindeutig in eine andere ÄRA. Denn Porno geht mit der Zeit. Videos sind heute total tote Hose. Und nicht nur Videos.

Zentralgefaltete Atombusen

Liebhaber historischer Playboy Centrefolds - des papierenen Einfüllstutzens männlicher Lust, wenn man so will - müssten mittlerweile schon ganz eigene Phantasiereservoirs anzapfen, um beim Anblick dieser Damen noch den handelsüblichen Liebeszoll zu entrichten. Viele von ihnen sind mittlerweile längst Großmütter oder weilen nicht mehr unter den Lebenden. Subjektiv empfand ich, aus 50 Jahren Playboy, 1953 bis 2003, einzig die Miss Januar 1961 noch als irgendwie zeitgenössisch/anregend. Die Musik jener Zeit hatte es allerdings in sich, wie dieses Video mit April Stevens beweist.

Übrigens, Abteilung Belanglose Fakten, die sich gut in ein stockendes Gespräch einflechten lassen: Eine "Donna Michelle" hatte ihren "Auftritt" im Playboy Zentralfaltblatt im Dezember 1963 und wurde im Folgejahr zum Playmädchen des Jahres gewählt. Geboren im Dezember 1945, war sie bei Erscheinen ihrer Fotos 18, nicht aber, als die Fotos gemacht wurden. Was dem Heft beinahe teuer zu stehen gekommen wäre! Sie war (und blieb daher auch fürderhin) das jüngste Häschen, das je im "Playboy" abgelichtet wurde. Wikipedia gibt als wichtiges Detail, auch heute noch, etliche Jahrzehnte später, und lange nach ihrem Ableben, ihre Körpermaße an. Notiz am Rande: Donna Michelle hatte den Künstlernamen Donna Michelle Ronne angenommen. Mit richtigem Namen hieß sie Donna Michelle FICK.

Es lässt sich jedenfalls beobachten, dass Männer in Amerika zu Beginn der Fünfzigerjahre und darüber hinaus an ihren Frauen die gleichen Dinge interessant fanden, die sie offenbar auch an den Stoßstangen ihrer Automobile schätzten, nämlich spitz nach vorn zulaufende torpedoförmige "ATOM-Busen".

Bild: Tom Appleton

Kann es sein, frage ich mich, dass die Männer, also die Väter, zu dieser Zeit des Baby-Booms, einen NEID verspürten auf die Brüste ihrer Partnerinnen? Die jetzt von den Kids, die sie so eifrig zeugten, in Beschlag genommen wurden? Dass sie einen prallen Busen ganz für sich alleine haben wollten? Nicht Penis-Neid, Nicht Venus-Neid, sondern Neid auf das, was der Sprössling bekam, der Vater aber nicht? War die Lust auf den Donner-Busen nur Symptom einer psychologischen Regression? Aber sei es wie es sei. Man sieht, es gehört zu den Bildern, die als sexuell anregend empfunden werden, immer auch eine historische Dimension dazu. Bzw. ein historisches Ablaufdatum.

Bild: Tom Appleton

Ganz zu Beginn der Playboy-Serie beispielsweise waren die Fotos oft noch den Illustrationen aus den galanten Herrenzeitschriften einer früheren Epoche nachempfunden. Den Pfeifenraucher und Schneidereimagazinen, die eben auch ein paar leicht anzügliche Zeichnungen führten. Es war eine Sorte von "gewagten" Witzbildern, die auch heutige Cartoonisten gelegentlich nachahmen, meistens jedoch nur "zum Spaß". Das bisschen Titte ist seither familientauglich geworden, sogar in Amerika.

Das wahre Reich der erotischen Phantasie bleibt natürlich dem COMIC vorbehalten - obwohl Sex mit Enten sogar einem Carl Barks, dem späteren Schöpfer, (bei Disney), von Onkel Dagobert, Daniel Düsentrieb und Daisy Duck, etwas zu schräg vorgekommen wäre. In seiner Frühzeit als Zeichner stellte er eine eher gebundene Phantasie aus.

Was hier passieren durfte, war einzig, dass nach einer Stunde die Funzel niederbrannte. Freilich war die Kerze bereits dick mit Sehnsuchtströpfchen eingesamt, der Hut zeigte phallische Ausbuchtungen und auch der Stock war voll ausgefahren. Das war im bis heute extrem puritanischen Amerika alles recht grenzüberschreitend im Vergleich zu dem, was photographisch dargestellt werden durfte. Hier sehen wir beispielsweise eine junge Marilyn Monroe in einem Cartoon Photo das möglicherweise in einem Kalender für Automechaniker erschien. Also in einem Reservat ungetrübter Maskulinität. Das hochmoderne TV-Gerät mit seinen Doppellautsprechern fühlt sich zu einem Wolf Whistle, einem unanständigen und ganz offensichtlich gebläsestarken Hinterhergepfeife animiert, weshalb denn auch das Telefonkabel aus der Steckdose gerissen wird und nun hilflos in der Luft zappelt, während Marilyns Badehandtuch verrutscht und uns, den Zuschauern, den Blick freigibt auf eine winzige Quadratzentimeterfläche entblößter Schamhaare und den kleinen Vorhof einer Titte. Marilyn ist sowas anscheinend gewöhnt, es ist ihr Alltag, wo sogar die elektronischen Haushaltsgeräte den Verstand verlieren, wenn sie vorbei tänzelt. Trotzdem: DIESES Foto konnte nicht im Playboy erscheinen.

Achtung! Biber Alarm!

Der Grund dafür ist heute kaum noch nachvollziehbar. Kurt Vonnegut, in seinem nach wie vor lesenwerten Buch "Breakfast of Champions" (1973), einem Pendant zu Hunter S. Thompsons "Fear and Loathing in Las Vegas" (1972), beschreibt, wie es 20, 30, 40 Jahre früher bei Polizei, Feuerwehr und Fotoreportern das Code-Wort "Beaver!" gab. Wenn eine Frau aus dem vierten Stock eines brennenden Hauses herabgelassen wurde, und unter ihrem Rock die Schambehaarung oder Unterwäsche sichtbar wurde, riefen sich die Feuerwehrleute oder Fotografen gegenseitig zu, "Achtung, Biber!" Das Felltier wurde dann entweder nicht oder erst recht abgelichtet. So ungewohnt war und als so aufregend wurde der Anblick weiblicher Schambehaarung empfunden, dass Männer alles versuchten, um einen kurzen Blick darauf zu werfen. In den Fünfzigerjahren gehörte es zu den besonderen Tricks jugendlicher Amerikaner, ihre auf Hochglanz polierten Schuhe beim Gespräch mit jungen Frauen so unter deren Röcke zu platzieren, dass sie wenigstens einen "Upskirt", einen Blick nach oben in die Intimregion unter dem Rock erhaschen konnten. Der Zweck all dieser Übungen war es, einen mentalen Schnappschuss zu ergattern, der ihnen zwei Minuten später beim Onanieren behilflich sein würde. Die Abbildung eines Beavers war gleichwohl komplett tabu.

"Playboy", 1953 gegründet, brauchte annähernd 20 Jahre, um die ersten Schamhaare zu zeigen. "Going pubic" war der einschlägige Begriff dafür. In der Zwischenzeit waren andere Magazine schon weiter. "Hustler" oder "Penthouse" bedienten ein deutlich anderes Marktsegment. "Playboy" hatte als Vorreiter in Sachen weiblicher Nacktheit Probleme eigener Art zu überwinden gehabt, Probleme mit der amerikanischen Post, mit veralteten Anti-Porno-Gesetzen, die manchmal von Ort zu Ort wechselten, und mit den Frauenverbänden. Anders als die alten Herrenmagazine, die immer ein leichtes Aroma von Old Spice ausstrahlten, bzw. einer Tradition der Men-Only-Klubs und des gemeinsamen Besuchs im Puff verpflichtet blieben, war "Playboy" eindeutig heterosexuell ausgerichtet, und hatte sich dem James-Bond-Ideal des genussvollen Konsums - auch der weiblichen Sexualität - verschreiben. Dem Biber mussten lediglich (metaphorisch) die scharfen Zähne gezogen, er musste verharmlost werden - in Gestalt eines Häschens.

Und es galt, das stets präsente aber nie angesprochene Vorurteil gegen männliche Onanie, wenn schon nicht zu entkräften, so doch ein wenig gegen den Strich zu bürsten. Dass der Boyfriend oder Ehemann eine Wichsvorlage abonniert, dient manchen Paaren möglicherweise immer noch als Scheidungsgrund. "Ich lese ‚Playboy' wegen der Artikel" gilt bis heute als ultimative verlogene Aussage amerikanischer Männer. Dabei müsste man mittlerweile wohl fragen: "Weswegen denn sonst?" (Sicher nicht wegen der posierenden Promis im Intershop-Großteddy, die sich dort zuweilen auf den Aufklappseiten tummeln.)

Die Männermagazine haben sich heute in viele Bereiche aufgesplittet, bedienen jeweils andere Worübrigkeiten. Das Konzept "Playboy" - die "Frauenzeitschrift für Männer" - ist in die Jahre gekommen, wie die Porno-Videos, von denen Bill Hicks noch schwärmen konnte. Tatsächlich sackte - was hier wohl der passende Terminus ist - die Auflage des Magazins unter der Regie von Gründer Hugh Hefner irgendwann mal ab. Hefner mochte sich als wohlhabenden Nichtstuer empfinden, der jeden Monat ein neues Häschen aufriss, die meisten seiner Leser waren es nicht. Sie waren Familienväter oder geschiedene Ehemänner, sie waren Strafgefangene oder Witwer im gehobenen Alter, sie waren Soldaten oder junge Burschen ohne sexuelle Erfahrung. Ihr Leben mochte aus dem einen oder anderen Anlass auf Grundeis gegangen sein, aber sie würden, so lange sie lebten, Interesse an Frauen haben und Interesse am Sex mit Frauen. Masturbation würde für diese Männer immer ein Ersatz für Sex bleiben, und das "Playboy"-Abo immer nur Ersatz für eine Frau. Erst als Hefners Tochter (!) die Leitung übernahm, wurde der "Playboy" ein Magazin, das jeder Pappi mit nach Hause bringen konnte. Aus dem auch Mammi Anregungen schöpfen durfte. Und das auf dem Wohnzimmersofa auch den Sohnemann beglückt. Schöne geile Welt.

Die Bunny-Tradition taugt anscheinen noch für Nostalgie-Filme wie "House Bunny", wo Hefner selber den gütigen Sex-Opa gab. Es war eine Art Remake von "Mean Girls", mit Emma Stone statt Lindsay Lohan, oder eher noch eine Wiedergeburt des letzten "Herbies" (2008), hier mit einem Bunny statt einem Käfer. Einem bereits ausgedienten Identifikationsobjekt. Aber den Weg zurück in die heile Häschenwelt, wo das Bunny den Mädels zeigt, wie man sich einen Schuss Self-Empowerment setzt, wörtlich Selbstbestärkung, die Fähigkeit, Selbstwert und Kraft aus sich selbst zu schöpfen und unabhängiger etc. zu werden, als Frau den Männern gegenüber, den gibt es nicht. Und den Weg zurück vom Häschen zum Beaver gibt es auch nicht mehr.

Gibt es den progressiven Porno? Die Japaner machen das Menschenunmögliche gern mit Animes, und hier schaffen sie es sogar fast ohne Peinlichkeit, zwei Jugendliche im Klassenzimmer miteinander den Sexualakt praktisch einstudieren zu lassen, samt Orgasmus und anschließendem reichlichen Samenausfluss aus der Scheide. SIE bestreitet alle Dialoge allein, wie die Lehrerin, ER kuckt nur hinreißend blöd, ein gelehriger Schüler. Und die quietschend-feuchten Sound Effects sind auch Spitze. Porno? Schulungsfilm? Wahrscheinlich beides.

Das waren die Naughties

So vollständig ist die weibliche Charme-Behaarung seit Beginn der Naughties [Die Nullerjahre; Wortspiel mit nought = Null, naught = Null, wertlos; und naughty = frech, frivol, unanständig, geschmacklos; stammt nicht von mir!] verschwunden, als ob die Scheide selber sich ihrer Haartracht geschämt hätte und, um endlich sichtbar zu werden, sich einer umfassenden Depilierung unterzogen hätte. Noch in den Siebzigerjahren hatten nicht nur Männer zumeist keine Ahnung, was dort eigentlich "im Busch" war. Oft beschwerten sie sich dann mit einem "Bist du sicher, dass bei dir da unten alles in Ordnung ist?" Auch die Frauen selber waren sich nicht wirklich sicher. Feministische Bewusstseins-Erweiterungs-Gruppen verbrachten ein Gutteil ihrer Zusammenkünfte damit, die eigenen und fremden Geschlechtsteile mit einem Spekulum bzw. mithilfe eines Spiegels in Augenschein zu nehmen. Erst jetzt wurde den Frauen klar, was die Beatles (bzw. Yoko) damals mit ihrem aufgeschnittenen Apfel eigentlich gemeint hatten.

Um die Wahrheit zu gestehen: die meisten Männer hatten kaum eine Vorstellung davon, wie ihr eigenes Ding aussah. Sie mochten in kollektiven Duschräumen Dutzende Gehänge anderer Männer gesehen - oder besser: ignoriert - haben, aber studiert hatten sie sie nicht. Fast alle behandelten ihr liebstes Spielzeug - die raison d'etre all ihres Handelns und Tuns - mit einer gewissen gefühllosen Kaltschnäutzigkeit. "Aua, ich hab mir meinen Dingens in deinem Reisverschluss eingeklemmt." Es gab für den Penis Bezeichnung noch und noch, z. B. im Wienerischen ebenso wie im Deutschen. Bezeichnungen, die man als phantasievoll ansehen kann. Es sind Wörter, denen man ansieht oder anhört, dass sie aus einem realen Sexualgeschehen entstanden sind. Dass sie von Frauen gemünzt worden sind. Es war so ähnlich wie die sprichwörtlichen 400 Wörter für Schnee, die bei den Eskimos angeblich existieren. Den Frauen fiel für den Schwengel ihrer Männer alles Mögliche ein, auch Witziges. "Micro-Soft" - meinte beispielsweise Dame Edna - "das erinnert mich irgendwie an meinen verstorbenen Gatten." (Und so weiter.) Für das weibliche Geschlechtsteil benötigen Männer dagegen selten mehr als eine Handvoll Begriffe. Funz, Möse, Muschi, Futt, und Fotze. Lieblose Verbalkürzel, die einer Reduzierung der Person auf das Geschlechtsteil entsprechen - so wie Huren von "Schwanzgeschichten" sprechen, wenn sie vergangene Männer Revue passieren lassen. Männer neigen dazu, sogar die gegenwärtige Freundin als "Fotze" zu titulieren, spätestens dann, wenn sie die Ex-Freundin geworden ist.

Männlicher Sex ist wesentlich auf die visuelle Komponente konzentriert. Ich sah in einem Tierdokumentarfilm - die ARTE-Kollegen werden ihn finden, wenn sie zu dem Thema ein Special machen - die Szene, wo in einem Schimpansenkäfig ein Fernsehgerät aufgestellt wurde. Das Programm enthielt nichts weiter als das Pilotbild einer geschwollenen Vulva, noch dazu in Schwarzweiß. Der medienunerfahrene junge Stenz im Käfig besprang den Bildschirm. Auch für ihn war ein BILD einzig des Geschlechtsteils vollkommen hinreichend.

Die Folge dieses offensichtlich allen Primaten eigenen Reflexes zeigt sich in mitmenschlichen Schlafzimmern. Männer möchten ihre Frauen beim Sex ansehen, oder ihnen zusehen, also das Licht anlassen, während Frauen den Sex eher abgewendet genießen, im Dunkeln, in ihrem eigenen Phantasie-Raum. The crumpet on page 3, das Flittchen auf Seite 3, das man in englischen Zeitungen findet, reicht den meisten Männern für eine entspannende kurze Arbeitsunterbrechung auf der Herrentoilette, wo Frauen es unter einer Stunde im Bad oder Bett nicht tun, umringt von 20 Duftkerzen und versehen mit einem Ein-Hand-Roman, der der Vorstellungskraft auf die Sprünge hilft. Illustrationen, die Frauen als animierend empfinden, sind denn auch in aller Regel nach einem anderen Strickmuster komponiert, wenngleich beispielsweise die Federn, die hier durchs Bild fliegen, sehr wohl symbolisch das umherspritzende Sperma darstellen mögen. Indessen, wer das Wort "Kissenschlacht" (=> "Pillow Fight") bei Google eingibt, kommt auf die aberwitzigsten Bildmengen rein pornographischen Inhalts.

Joghurt Spritzer, süße Kondensmilch

Bill Hicks konnte sich über die Definition des Begriffs "Pornographie" lustig machen, die der oberste Gerichtshof in Amerika aufgestellt hatte: "Besitzt keinerlei künstlerischen Wert und provoziert sexuelle Gedanken." Hmmm, meinte Hicks (sinngemäß, ich zitiere ihn hier aus dem Gedächtnis), woran erinnert mich das bloß? Ach so, an die Fernsehwerbung. Warum wird mir so seltsam zumute, wenn ich dieses Joghurt-Commercial sehe? "Schleck". Dieses weiße Zeug auf der Zunge und in den Mundwinkeln? Tja. Ob bei den Cum-Shots, die heute millionenfach durchs Internet geistern, immer Joghurt verwendet wird, ist indessen noch fraglich. Es kann auch gezuckerte Kondensmilch sein.

Es hat sich eben vieles geändert. "Wer hätte das vor 30 Jahren gedacht", fragt der amerikanische Stand-up Komiker Greg Giraldo, "dass ich das gleiche Gerät benutzen würde, um mir einen runterzuholen, das ich auch verwende, um meinen Kids Lesen und Schreiben beizubringen?"

In der Tat. Wie in der Musik-und Filmindustrie, wie im Publikations- und Arbeitswesen hat sich auch in der Pornoindustrie einiges grundlegend gewandelt, seit es das Internet gibt. Und umgekehrt hat Porno sich als bestimmender Trend in der Werbung, in der Mode, in der Kunst, im Internet - und schließlich auch im Ehebett durchgesetzt. Heute dient der gewaltige Aufwand an technischer Hartware, der das Internet "trägt", in erster Linie - ich schätze, zu 90 Prozent - zur Transmission von Porno. Ohne Porno rechnet sich das Internet gar nicht. Ohne Porno gäbe es kein Google, kein Sex Facebook. Heute ist "Alles" - Porno. Offizielle Bemühungen, die Pornographie im Internet einzudämmen, sind unzureichend und erfüllen bestenfalls eine Alibifunktion. Augenauswischerei.

Vielleicht ist es auch einfach nur Blindheit gegenüber dem Phänomen. Oder Unverständnis.

Laid in the USA

Heute ist die Porno-Industrie in den USA ein Milliardengeschäft, und selbst die New York Times hat einen eigenen Korrespondenten dafür, der von Porno-Messen berichtet, ohne uns zu verraten, was dort eigentlich Sache ist. Nur, dass es alles ein Riesengeschäft sei, daran lässt er keinen Zweifel. Und es gibt ein vollentwickeltes eigenes Vokabular, das man lernen muss, wenn man verstehen will, worum es in bei diesem Thema geht. Ein paar Beispiele:

  • Anal blanching - das Bleichen der Analregion, wenn bei den Komplettrasuren im Intimbereich doch ein verfärbter Hof um die andere Körperöffnung herum das ästhetische Empfinden des Betrachters stört.
  • Adult content - Inhalt, der nur für Erwachsene geeignet ist. Worum es sich dabei handelt, wird auf den Seiten der New York Times allerdings nicht erwähnt, weil ja möglicherweise Kinder diese Stellen lesen könnten.
  • Nipple alert - Tittenalarm. Eine unter dem Stoff allzudeutlich erkennbare Brustwarze.
  • Talent - das was die NYT gerne in Anführungsstrichelchen setzt. Die Menschen, die in der Porno-Industry verheizt werden.
  • X-rated. Alles was nur für Erwachsene verträglich und auch denen nach Möglichkeit vorenthalten werden sollte.

In einer Rezension der englischen Ausgabe von Charlotte Roches spaßigem Erfolgsroman "Feuchtgebiete" konnte sich die Rezensentin der NYT nicht einmal zu einem Kurz-Zitat durchringen:

"Wetlands" has all the nuance of Mad Magazine and less wit. Its descriptions are banal and repetitive, its vocabulary painfully limited. (The standards of The Times severely limit quotations here.)

Persönlich liebe ich ja Mad Magazine, und finds schön, dass ich einen Link bekomme, der mich meilenweit vom Thema wegträgt, auf Stunden hinaus. Aber wie kann man über z. B. eben Pornographie sinnvolle Ansichten gewinnen, wenn eine Gesellschaft sich beharrlich weigert, darüber zu sprechen?

Gerade die New York Times, die den intellektuellen Diskurs des Landes anführt (was in der Times nicht vorkommt "gibt es" in Amerika quasi "nicht") sollte sich doch bewusst sein, dass ihre hervorstechende Zurschaustellung in der Selbstpräsentation des Apple iPads zwar eine günstige (Eigen-)Werbung für ein zukünftiges (und natürlich zu bezahlendes) Online-Abo der Zeitung sein mag, aber zugleich auch an der Realität dessen, was die Attraktivität des iPads ausmacht, komplett vorbei reitet. Der wirkliche Verwendungszweck tritt wesentlich deutlicher an der Präsentation über "Photos" und "Videos" hervor, wobei die schnuckelige Origami-Faltung der Familienfotos aller Wahrscheinlichkeit nach die unattraktivste Präsentationsform von Fotos sein dürfte. Aber dass man die Hochglanz-Bilder nun mit einem Fingerspreizen weiter aufmachen kann, dass man sie drehen und wenden kann wie es einem gefällt und dazu die Musik hören kann, die einen animiert, ist natürlich meilenweit von den primitiven Möglichkeiten der Pornomagazine früherer Zeiten entfernt. Die beim Computer stets so störende Tastatur, die man nicht bekleckern durfte, entfällt. Jetzt ist dem Porno-Konsumenten das Objekt seiner Begierde so nahe gebracht wie die TV-Vulva dem Schimpansen in seinem Käfig. Alles was er nun noch braucht ist eine Packung Kleenex und ein Fläschchen Isopropyl-Alkohol.

Übrigens bin ich nicht einmal überzeugt, dass Steve Jobs und die anderen Apple-Entwickler sich dieser Dimension ihres iPads bewusst waren. Sie existieren in einem post-Viktorianischen Prä-Freudianismus, man könnte auch sagen in einem modernen Jules-Verneismus, wo Männer rein technische Lösungen finden, ohne je eine Frau nach ihrer Meinung zu befragen. Erst als der iPad mit großem Trara präsentiert wurde, meldete sich die amüsierte Damenwelt zu Wort, die darauf hinwies, dass ein "pad" eine Monatsbinde sei. Und dann fand man dieses Video aus dem Jahre Schnee.

Die Universalformel der Pornographie

Selbst Mariah Carey ist vertraut mit Einsteins E=MC2. Aber welcher Physiker kennt heute schon die Grundformel der Pornographie? Dabei ist sie recht einfach. Sie lautet: Y => O. Dabei bedeutet der Pfeil soviel wie "strebt gegen", also "Y strebt gegen O". Das "Y" ist in dem Fall kein mathematischer Wert, sondern eine pictogrammatische Darstellung der weiblichen Scheidengegend aus der Aufsicht. Das "O" ist keine mathematische Null, sondern der Buchstabe "O", der hier eine geöffnete Scheide darstellt. Wer sich einmal einen der unzähligen Striptease-Serien im Internet betrachtet, wird rasch erkennen, dass dies die Abfolge ist, die hier möglichst fix zum Vollzug gebracht wird. Die Entblößung des Busens ist dabei - wer hätte das je gedacht, zu "Playboy"-Zeiten? - eher Nebensache. Es geht darum, ziemlich hoppla zur Schamregion und dann zur entblößten Vulva vorzudringen. Alles andere ist Tralala.

Für die Werbung gilt, ebenso, seit den Neunzigerjahren, die gleiche Formel, freilich mit einem Strich durch den Pfeil, den ich hier nicht adäquat wiedergeben kann, daher: "Y | O". Dies bedeutet nicht "Y strebt nicht gegen O" sondern "Y strebt sehr wohl gegen O, kommt aber dort nicht an." In der Werbung wird die Stelle gezeigt, wo das "O" sich befindet, aber das "O" selbst wird verdeckt, bekleidet, verkürzt, abgeschnitten. Die riesigen Werbewände in den Großstädten, die das "O" sommers wie winters nackter Models praktisch in Augenhöhe, in virtuelle Riechhöhe des Passanten montieren, zeigen es ihm NICHT. Sie kujonieren den Betrachter lediglich mit dem Reiz des Verborgenen, wandeln das "Y" zum "X", zum "W", wecken Begierde, die nicht befriedigt werden kann, nicht einmal durch den Kauf des in der Werbung angepriesenen Kauf-Objekts. (Joghurt, Strumpfhose, Porsche, was immer.) Und längst ist der Werbung dieses brave Innehalten zu wenig geworden, sie versucht, den durchgestrichenen Pfeil zu durchbrechen, das "O" mit Gewalt zu erreichen, oder durch gewaltsame Darstellungen zu ersetzen. Bringt man Sex in die Werbung, ist die Gewalt nicht mehr fern.

Herta Müller, die letztjährige deutsche Nobelpreisträgerin für Literatur, hat sich dazu schon vor Jahren als penible Beobachterin geäußert: "Ausdenken kann sich diese Werbung nur, wer sich keinen Augenblick klar macht, dass Gewalt weh tut und Menschen verstümmelt," schreibt sie. Und weiter: "Die Größe und Stille solcher Werbeplakate ist ein Alltagsproblem für die Augen. Die Plakate verleumden ihr Produkt in der Absicht, es zu überhöhen. Die Stille und Größe dieser Plakate nistet im Schädel. Beim Warten auf den Bus, beim Vorbeischieben eines Kinderwagens, beim Vorbeitragen einer Einkaufstüte senkt sich täglich die so wichtige Schwelle, ab wann etwas jemand anderem weh tut. So still wie die Plakate rutscht das Erkennen von Brutalität unter das aufrechtzuerhaltende zivile Maß."3

Sex und Gewalt sind untrennbar miteinander verbunden, nicht nur bei den Iksüpsilanern. Selbst in den normalsten Ehebetten kommt heute erst die Ohrfeige, dann das Vögelchen. Oder wie bei Bubi Scholz, erst der Sex, dann die Knarre. In Amerika paart sich das Wort "Pornography" stets mit "Obscenity". Aber Amerika ist auch heute noch "up tight", "verklemmt". Das ganze Land drückt bei jedem Schritt die Arschbacken fest aneinander, und konsumiert und produziert dabei dennoch mehr Porno-Material als die übrige Welt zusammen. 900 Millionen Porno-DVDs wurden 2007 noch aus US-Videotheken entliehen. Die Unterdrückung aller Sexualität, die panische Furcht vor der Entblößung irgendeines Körperteils, besitzt in Amerika geradezu afghanische Dimensionen. Es überrascht kaum, dass die Idee des "Fashion Porn" (Mode-Porno) mit burkaverhangenem Ober- und entblößtem Unter-Körper im Zeitalter des Afghanistankrieges und Abu Ghraib manchen Leuten offenbar ganz normal erscheint. Einige dieser Bilder erinnern an schick präparierte Leichen auf dem Seziertisch. Selbst dort wo der Übergang zwischen Mode und Porno sich eher im "grünen Bereich" bewegt, sehen die Körper immer irgendwie zerhackstückt aus.

Gelobt sei, was "hart" macht

Amerika, dessen Filme sich vor der Darstellung von körperlicher Nacktheit und Liebe in panischer Angst winden, aber Darstellungen der viehischsten Gewalt ohne Zögern goutieren - und das ist kein Widerspruch; eine Nation, die sich der übrigen Welt aufdrängen will, muss zarte und liebevolle Impulse unterdrücken, muss sich "hart" machen, muss gewaltbereit sein - wie Veronica Zemanova.

Amerika hat auch eigene Wege gefunden, Pornographie auf amerikanische Weise darstellbar zu machen. Es ist die hochtechnisierte Produktion einer völlig emotionsfreien Stopf- und Steckologie. Gewalt und Sex, Folter und Sex, Lust auf Schmerz, die ARTE-Kollegen seien auf den Dokumentarfilm "The Price of Pleasure - Pornography, Sexuality & Relationships" verwiesen. Es ist puritanischer Entrüstungsjournalismus mit schockierenden Bildern, aber es zeigt die Realität der Porno-Industrie in Amerika "heute" (2008). Dazu bitte Tom Lehrer's Masochism Tango.

Selbst wo die Gewalt scheinbar sublimiert ist, ist sie ständig präsent. Hier sehen wir Sasha Grey in einem Streifen, der sich technisch um etliche Längen von herkömmlichen Popp-Produktionen unterscheidet. Zunächst einmal ein Hinweis darauf, wer sie eigentlich ist, obwohl es heute kaum jemanden geben dürfte, der sie noch nicht in Aktion gesehen hat. Und doch, vermute ich, so alltäglich dieses Material mittlerweile ist, werden sich Ehepaare solche Filme kaum gemeinsam ansehen; oder es wird eine Hölle eigener Art sein, wenn SIE ihre Hand zärtlich um sein Glied legt und darauf wartet, ob ER eine Reaktion zeigt. Immerhin gibt es auf YouTube ein Interview mit Sasha Grey, das ihre Karriere beleuchtet und die Gefahren, sich sexuell übertragene Krankheiten einzufangen. Dazu Sasha: "Das ist so, als ob man in den Krieg zieht, und hofft, unverletzt zu bleiben.". Sehr zu Recht! Aber dass die jungen Mädchen mit 13 oder 14 bereits auf dem Babystrich zu finden sind ist weder in Hollywood noch sonst wo besonders neu.

Marilyn Monroe wurde von ihren Studiobossen oft mitten im Dreh abberufen - "Keine Sorge Jungs, das dauert nur 5 Minuten" ist eines ihrer Zitate dazu - und am gealterten Roman Polanski will sich die bankrotte Justiz in Kalifornien eben jetzt noch mal, nach 40 Jahren, finanziell ein wenig gesundstoßen, weil wohl auch die amerikanischen Kollegen ein bisschen Kohle drauf legen werden, nur damit sie selber nicht dran kommen.

Und doch, wie trivial. Was einst eine ganze Karriere definierte, und geradezu mythische Formen des Weiterlebens in der politischen und schließlich in der aufklärerisch-journalistischen Dimension garantierte und sogar zu einem Pulitzer-Preis führte - ein Künstlername wie "Deep Throat" - das schafft Sasha Grey hier "im Vorübergehen", als wäre es gar nichts. Doch beginnen wir mit dem Film. Heißt er wirklich Enge Teenie Möse? Offenbar ja, denn so lautet auch der Link.

Der Film beginnt mit einem schlanken Mittvierziger, der an Iggy Pop erinnert. Er sitzt, kalifornisch halbbekleidet, auf einem Sofa und blättert in einem Porno-Magazin. Der Beitrag, den er studiert, heißt "Arsch-Attacke." Drei Sekunden später betritt Sasha das Zimmer. "Hi Nick", sagt sie. "Was machst du hier? Wartest du auf meinen Vater?" "Ja..." sagt er unschlüssig, und möglicherweise nicht ganz ehrlich während er das Magazin auffällig achtlos beiseite schiebt. "Was ist das? Was versteckst du da?" fragt Sasha und krallt sich das Heft. "Uh, Arschficken!" sagt sie. Es sind 25 Sekunden vergangen. Eine ganze Minute lang geht die Szene mit verringertem Dialog weiter. Nach einer Minute 40 Sekunden hat sie bereits seinen Schwanz im Mund. "Oh, wow, was machst du da bloß?" fragt er, und sie antwortet, "Wonach sieht es wohl aus, was ich hier mache?" Gut gescriptete, witzige Dialoge. Nach 3 Minuten ist "Deep Throat" bereits ihren Titel los, und nach 4 Minuten 30 Sekunden sitzt er auf ihrem Gesicht und sie hat seinen erigierten Schwanz und seine Eier, in der Manier einer Schwertschluckerin, tief in ihren Schlund hereingenommen, während er ein ums andere mal ungläubig "Oh Jesus" murmelt. Das Tempo der Geschichte ist unglaublich. Und doch ist es - ein Film. Die Kamera steht nicht einfach nur dabei, während zwei berufsmäßige Sex-Darsteller ficken. An einer Stelle küsst Nick inbrünstig Sashas Arschloch und ruft ekstatisch aus: "A man could get drunk on the smell of this ass!" Das ist fast schon gehobenes "Casablanca". Der Film hat ein Drehbuch, eine Handlung, und einen ungemein raffinierten Schnitt. Er ist 35 Minuten lang. Er bietet das ultimative Techno-Poppen. Und am Schluss ist Sasha gleich wieder bereit für die nächste Runde.

Das Einzige, was hier noch fehlt, ist, dass der Film in 3-D daher kommt, und dass man ihn auf dem iPad in 3-D ansehen kann, und sich dazu, wie bei Charles Bukowski, ein Schnitzel aus der Metzgerei um den Schwanz wickelt.

Indessen - das ist die A-Riege der amerikanischen Porno-Film-Industrie. Weiter unten gibt es die Pärchen, die ihren eigenen Sex zu Hause filmen und dann ins Internet stellen, es gibt die Bilder reifer Frauen unter der Rubrik "Mothers I Would Like to Fuck" (kurz "MILF" genannt) und knackige oder auch nicht mehr ganz so knackige Matronen gelten nunmehr eben durch die Bank als MILFs, auch wenn sie nicht in Pornos auftreten. Es gibt die jungen Teenies , die sich auf irgendwelchen Klassenfahrten und Parties ausziehen und ihre Nacktbilder - dann für immer, wie ungewollte Tattoos - ins Fenster stellen. Es gibt die Rubrik "Fotos meiner Ex-Freundin", wo intime Bilder einer verflossenen Beziehung gehässig an den Pranger gestellt, einer schaulustigen Öffentlichkeit ausgeliefert werden. Und es gibt die perversen, rücksichtslosen Halbwelt-Typen, die jede Situation, in der eine junge Frau sich befinden mag, ausnutzen, um an billigen Sex zu kommen und sie in einer erniedrigenden Situation vor aller Welt bloßzustellen.

Grenzgänger

In Österreich, dem Land der Fritzls, in dem nun schon seit Generationen die Themen Faschismus, Katholizismus, Päderastie, Gewalt und sexuelle Perversion ein Ringeltänzchen miteinander aufführen, konnte ein "Babyficker" zum Bachmann-[Literatur]-Preisträger werden, und auch zum "Lust"-Mord war es da nicht weit.

Als die kleine Madelaine McCann im Mai 2007 im nordportugiesischen Praia da Luz "verschwand", suchte die Polizei fast als erstes auf der fast 70 Kilometer entfernten Kommune des österreichischen Künstlers Otto Muehl nach ihr. Auch er hatte einst Fritzlsche Gruben und Gehege angelegt gehabt - in Österreich - um Minderjährige zu verstecken, die er sexuell missbrauchte. Damals saß er fast sieben Jahre. In Portugal fanden die Ermittler nichts bei Muehl, aber dann stellte sich heraus, dass Madelaine nur eines von vielen Kindern gewesen ist, die in dieser Gegend abgängig waren. Entführt, wie die Polizei meinte, von einem Pädophilen-Ring.

Die Grenzen zwischen Pornographie, Prostitution, Kriminalität, Gewaltanwendung, Vergewaltigung, und nicht zuletzt Mord sind eben fließend. Die "Models" die sich nicht zu Sex-Szenen vor der Kamera bereit finden, werden leicht einmal Opfer von schweren Schlägen, Drogen, Vergewaltigung. Als die bekannte und innovative Porno-Darstellerin Jayme Langford frühzeitig "in Pension" gehen wollte fragten sich zwei Kommentatoren:

Vielleicht hat jemand sie in einem Büro oder in dem Haus, wo man sie untergebracht hat, vergewaltigt. Sowas ist ja früher auch schon mal vorgekommen.

Sie macht es nur mit Frauen. Vielleicht hat man sie dazu zwingen wollen, es mit Männern zu machen, wie damals die hübsche Carli Banks, die es nur Girl/Girl gemacht hat.

Manche Frauen ziehen sich vor der Kamera aus, bieten sich nackt dar, aber setzen sich zugleich gegen den männlichen Blick zur Wehr. Andere sind so kaputt, wenn sie vor der Kamera agieren, dass man sich fragen muss, welche Verzweiflung sie dazu getrieben haben mag, gerade jetzt gerade diesen Job anzunehmen? Und ausgerechnet dann schreiben die Betreiber ihre verlogensten und poetischsten Texte.

Wie so oft sitzen sie irgendwo im tiefsten Russland:

Kirsten is posed on a pile of green blankets, all tousled about in a state of disarray, indicating that something's been going on prior to the shoot. She is wearing a white, linen shirt, low at the neck and brought up above the belly button. She looks perfect in it! And on her bottoms is a pair of red bikini panties. They hug her privates like the paper around a fresh pear. This girl has all the right attributes and she knows how to show them off. And show them off she does, in a variety of simple and elegant poses that accentuate her natural excellence. Soon, the shirt has been pulled up above her breasts, exposing two young blossoms eager for plucking. Then, it's down with her bottoms, and the truth is revealed - Kirsten's a brunette! The series culminates in a number of luxuriant, prostrate poses in which Kirsten emulates the after-effects of lovemaking. The entire mise-en-scene is sophisticated yet also very down to earth. Any of us could imagine being present in this room, pleasing this young woman as she develops through the phases of lust.

Die ungewöhnlichste Grenzgängerin zwischen Porno und Mode ist in den letzten Jahren sicherlich Adriana Lima gewesen, deren Foto-Shoots für die Unterwäsche-Marke Victoria's Secret zuweilen wie öffentliche Großevents arrangiert wurden. Während Adriana aber auch im intimen Rahmen zuweilen eine merkwürdige Zeichensprache verwendete. Hier geht sie in die Hocke, der Blick richtet sich, wie anders, auf den Schritt, aber die interessante Stelle wird verdeckt durch ihre Arme, die ein KREUZ bilden, während zwei goldene RINGE den Spalt zwischen ihren Brüsten zusammen halten. "Erst die kirchliche Hochzeit", suggeriert dieses Bild, "dann kannst du das Packerl, das ich dir hier anbiete, aufmachen."

Körperwelten, Weltenkörper

Früher, um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, hatten Pornographie und Perversionen noch den leisen Müffelgeruch des Widerwärtigen. Wenn in einem Wiener Mädchenpensionat die Heimleiterin die nackten Popsche der Mädchen mit dem Stöckchen maltraitierte, während hinter einem Vorhang die zahlenden Herren das Hosentürl aufnestelten, war irgendwann einmal das Eintreffen der "Sitte" zu gewärtigen. Heute stehen die jungen Männer am Eingang zur Peep-Show mit dem gelangweilten Gesichtsausdruck von Kunden. Sie kaufen hier, wie im Supermarkt, was immer sie für Geld bekommen können. Porno definiert für sie ein normales Sexualverhalten, aber auch eine Art von Sport. Skispringen und Skateboardfahren wird für die meisten eine Art Zuschauersport bleiben, aber einige fühlen sich animiert, real mitzuspielen. Friendfinders verschickt Unterleibfotos bereitwilliger Frauen, die vielleicht nachher doch Bezahlung verlangen, aber genügend Leute treffen sich auch so - als reine Körperfreunde.

Durch Porno erkundet heute fast jeder neue Körperwelten. Selbst Männer zwischen 57 und 75 kommen dank Viagra wieder wie Vampire aus dem sexuellen Sarg hervor und wollen ein wenig mitmischen. In Ländern mit akutem Frauenmangel wie China und Indien wird Porno zur dominanten Körperwelt, Adriana Lima zum Weltkörper, an den täglich hektoliterweise Sperma verschüttet wird, ganze Völkerscharen in die Toilette gekippt werden. Jeder kann eine Schönheit begatten, egal wie hässlich und bescheuert er sein mag. Frauen brauchen sich nicht mehr an Männer hinzugeben, die ihnen unsensibel, langweilig und dominant auf der Seele rumtrampeln, sie können sich mit den hübschesten virtuellen Gespielinnen zusammenfinden. Menschen werden zu Sexualrobotern, schlimmer als die Masturbinen, die Tomi Ungerer sich einst erdacht und gezeichnet hatte. Liebe, Zärtlichkeit, Zusammensein, Kinder haben wird zur Unmode. Der Homo sapiens verabschiedet sich.

Blindgänger

Zum Schluss, nach der Überanstrengung der Augen, noch zwei aurale Hinweise auf zwei pornographische Leckerbissen.

Erstens was Heiteres: Pornos für Blinde.

Und zweitens Felix Saltens Klassiker, "Josefine Mutzenbacher - Die Lebensgeschichte einer Wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt" - aus dem Jahr 1906. Salten - der auch "Bambi" und "Perry" schrieb, Geschichten, die von Walt Disney verfilmt wurden, weswegen ich vermute, dass Disney auch die Rechte für die Mutzenbacher-Verfilmung innehat, die uns eines Tages via "Touchstone" erreichen könnte - verfasste hier einen echten Klassiker. Leider hat es noch kein Mann geschafft, das Buch jemals zu lesen, ohne mehrfach Hand an sich zu legen, und dann das Buch, wie eine Halbweltdame, mit der man sich gegen seinen Willen eingelassen hat, wieder ins Regal zu stellen.

Es brauchte 100 Jahre, bis eine österreichische Schauspielerin es schaffte, dieses Buch aus der Schund- und Schrottkiste der selbstbesudelten Kritiker herauszufischen und ihm seinen literarischen Glanz zurückzuerstatten. In der Lesung auf zwei CDs aus dem Jahr 2006 gelingt es Ulrike Beimpold diesen Schelminnenroman erfolgreich zurück aufs Klassikerregal zu hieven, als den Roman eines menschlichen Triumphs über alle gesellschaftlichen Hindernisse und der schonungslosen Aufdeckung gesellschaftlicher Verlogenheiten. Auch der männliche Leser steht entblößt da, weil er sich an der Mutzenbacherin mitschuldig gemacht hat. Bei Beimpold allerdings entgeht er diesem Schicksal, er darf mitlachen und sich mit der Heldin der Geschichte mitfreuen. Die Machtverhältnisse, die sich scheinbar so sehr zu Ungunsten der Dirne gewandt hatten, werden als Schein und Lüge enttarnt, am Ende hat die Mutzenbacherin sie alle besiegt. Es ist Saltens Meisterwerk, und lässt "Bambi" und seine anderen "Tierbücher" weit hinter sich. Es ist Literatur in der Verkleidung der Pornographie.