Mord im Krieg vor der Kamera

Die digitale Aufrüstung der Kriegsführung überlegener Streitkräfte bringt, wie das Wikileaks-Video aus dem Irak zeigt, nicht nur Vorteile mit sich

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Militär und Kriegsführung von hochgerüsteten und reichen Staaten setzen immer stärker auf Vernetzung und Aufklärung (network-centric warfare), um schlagkräftiger zu werden. Die Kehrseite ist, dass auch die Aktionen von Soldaten immer häufiger Gefahr laufen, in die Öffentlichkeit zu geraten - wie nun das von Wikileaks veröffentlichte Video wieder einmal demonstriert hat. Was früher unbemerkt und vor allem unaufgeklärt an Kriegsverbrechen vielfach geschehen ist – siehe auch die von den Tätern verbreiteten Folterbilder von Abu Ghraib -, kann nun über Bilder und Videos die Soldaten heimsuchen, die einerseits ihr Leben für Geld aufs Spiel setzen, aber andererseits auch aus Selbstschutz, Übereiltheit, Angst, irrigen Annahmen oder aus Lust am Schießen, Zerstören und Töten Menschen verletzten und töten, die nicht ihre Feinde sind. Das Wikileaks-Video ist für das Pentagon vergleichbar mit der von deutschen Soldaten befohlenen Bombardierung der Tanklastwagen in Kunduz.

"Well, it’s their fault for bringing their kids into a battle", sagte einer der US-Piloten

Man darf sich nichts vormachen. Soldaten, zumal Berufssoldaten, sind keine Engel. Manche sind sicherlich Abenteurer und suchen die Herausforderung. Dass mittlerweile so viele Soldaten aus den Einsätzen mit teils schweren posttraumatischen Störungen heimkehren, zeigt allerdings, dass die coolen Soldaten, denen es schon mal Spaß machen kann, wie in einem Computerspiel Menschen aus der Ferne auszulöschen, weil sie nichts zu befürchten haben, nicht so häufig sind.

Bei Berufssoldaten dürfte die Kriegslust allerdings geringer sein, schließlich hätten sie ja auch anderswo Arbeit suchen können. Wenn Menschen sich im Krieg befinden und sich zudem bedroht fühlen und immerfort in Angst leben, angegriffen oder überfallen werden zu können, dann sinkt ganz allgemein der Wert des Menschenlebens, der in Friedenszeiten und in geordneten rechtsstaatlichen Verhältnissen sehr viel höher liegt. Lieber wird der andere getötet, auch wenn es sich um einen Irrtum handelt, bevor es mich selbst erwischt, ist die verständliche Devise. Das ist Krieg und das ist die Situation eines Soldaten im Krieg, der nicht immer buchstabengetreu die Einsatzregeln und das Kriegsgesetz beachten wird. Beides ist, nebenbei gesagt, auch den Feinden im Antiterror- oder Guerillakrieg ziemlich egal.

Das Pentagon untersucht und bestraft daher nur Vorfälle, wenn es nicht anders geht. Wäre man zu "pedantisch", würden die Soldaten dauerhaft unter der Bedrohung leben, zur Rechenschaft für ihre Handlungen gezogen werden zu können, würde der Nachschub an Soldaten bald versiegen. Bei dem Einsatz aus dem Jahr 2007, der auf dem von Wikileaks veröffentlichten Video gezeigt wird, werden von den US-Hubschrauberbesatzungen offensichtliche Zivilisten einfach niedergemäht. Aus der Position der Überlegenheit, ohne offensichtliche Gefahr. Das da unten sind nur Spielfiguren in einem Krieg. Ein paar Iraker mehr oder weniger Kollateralschaden, kein Problem. Weil die US-Soldaten angeblich Waffen ausgemacht und nicht bemerkt hatten, dass unter den Menschen auch Journalisten waren, sagt das Pentagon, dass es keine Verletzung der Einsatzregeln gegeben habe.

Das Decken der Soldaten, die fatale Fehler begangen haben, ist im Militär notorisch, was auch Kunduz gezeigt hat. Das Wikileaks-Video macht aber deutlich, dass hier die Soldaten vermutlich ein Kriegsverbrechen begangen haben. Sie haben nämlich gezielt und ohne wirklich direkt bedroht zu sein, Menschen getötet. Man muss von Mord sprechen. Das war sicherlich in früheren Kriegen gang und gäbe. Das wird aber anders, wenn alle nun Bilder zu sehen bekommen, in denen der Mord von den Tätern ausgeführt und kommentiert wird.

Zahlungen an die Familien der Ermordeten werden den Skandal, der ohne die Medien zur Aufnahme und zur Verbreitung nicht entstanden wäre, nicht beseitigen können. Auch wenn das Pentagon selbst kein Verfahren gegen die Soldaten einleiten wird, dürfte das Video zum Propagandamittel für die Feinde der USA werden. Wie bei Abu Ghraib oder Guantanamo werden die selbst begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu tödlichen Waffen, die sich gegen die Täter richten, vor allem dann, wenn sich als Reaktion nichts grundsätzlich ändert, sondern nur ein paar "bad apples" symbolisch bestraft werden. Die Verwandten der Ermordeten fordern nun, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Die Kinder, die verletzt wurden und deren Vater durch die Schüsse starb, verlangen nach Gerechtigkeit. Dass sich US-Präsident Obama dazu noch nicht geäußert hat, dürfte die Lage nur verschlimmern.

Und zuletzt bleibt natürlich die Frage, warum Regierungen Soldaten nach Afghanistan und in den Irak schicken, um dort zu töten oder getötet zu werden – und ob es wirklich dazu keine Alternativen gibt.