Warum stützt die EU Lettland, Rumänien und Ungarn?

Es ist erstaunlich, dass die Nichteuroländer mit billigen Krediten versorgt wurden, während Griechenland mit hohen Zinsen in den Bankrott getrieben wird

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Ohne die Milliarden, die auch aus der EU nach Lettland, Ungarn und Rumänien fließen, wären die drei EU-Mitgliedsländer längst pleite. Durch billige Notkredite wurde nicht nur die Finanzierung dieser Staaten gesichert, die günstigeren Konditionen sorgen auch dafür, dass die leeren Staatskassen nicht durch hohe Zinslasten zusätzlich belastet werden. Doch genau das soll Griechenland verwehrt bleiben, womit das Land in den Abgrund getrieben wird. Die Zinsen für deren Staatsanleihen schießen weiter in die Höhe, der Euro ist unter Druck und Anleger ziehen ihr Geld aus Griechenland ab, womit der Notfall definitiv auf die Tagesordnung gesetzt ist. Fitch senkt die Kreditwürdigkeit des Landes erneut ab.

Bisher war von Bankenpleiten in Griechenland auch während der heißesten Phase der Finanzkrise nicht viel zu hören. Doch die Lage des Landes wurde in den letzten Monaten künstlich verschlimmert. Auf der einen Seite durch die spekulativen Wetten gegen das Land und den Euro und auf der anderen Seite durch die explodierenden Zinsen auf griechische Staatsanleihen. Die Refinanzierung des Landes wird immer teurer und schwieriger. Dazu hat vor allem das kleinliche Hickhack um das Rettungspaket beigetragen. Nun wird die Verunsicherung immer größer, weshalb Geld in großem Stil aus dem Land abgezogen wird, womit die Pleite vorprogrammiert ist. Es ist kaum davon auszugehen, dass der Notfall noch abgewendet werden kann, weil ein gefährlicher Teufelskreis in Gang gesetzt wurde.

Dass die griechischen Banken nun um die Freigabe von weiteren 17 Milliarden Euro aus dem Rettungsfonds gebeten haben, wie Finanzminister George Papakonstantinou bestätigte, macht die sehr angespannte Lage in dem südeuropäischen Land deutlich. Trotzdem versucht die Wirtschaftsministerin Louka Katseli zu beruhigen und weist die Möglichkeit einer Staatspleite weit von sich: "Es gibt absolut keine Aussicht darauf, dass Griechenland seine Schulden nicht wird bezahlen können."

Dass auch Europäische Zentralbank (EZB) nach der Sitzung am Donnerstag versucht hat, den Spekulationen über eine Pleite zu begegnen, ist ebenfalls kein gutes Signal. Zudem drückte sich EZB-Präsident Jean-Claude Trichet nur sehr vorsichtig aus: "Nach allen Informationen, die ich habe, ist eine Pleite kein Thema." Die Hintertür hält er sich offen. Wenn der Notfall demnächst eintritt, erklärt Trichet, ihm hätten nicht alle Informationen vorgelegen. Erst am 22. April wird die europäische Statistikbehörde Eurostat die Defizit- und Schuldenwerte bekannt geben und dann hat man Klarheit über den Schuldenstand. Gerüchte besagen, dass das Haushaltsdefizit 2009 mit etwa 14% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) noch höher gelegen haben könnte, als es die Sozialisten (Pasok) nach ihrem Wahlsieg mit 12,7% schon deutlich nach oben korrigieren mussten.

Ein Satz richtete Trichet speziell an Deutschland, weshalb er sogar in die deutsche Sprache wechselte: "Wir teilen ein gemeinsames Schicksal", betonte der Mann in Richtung Berlin, der sich mit anderen EZB-Mitgliedern stets dagegen gewehrt hatte, den Internationalen Währungsfonds (IWF) in die Nothilfe einzubeziehen, weil das dem Euro schwer schaden dürfte. "Man kann aus der Euro-Zone nicht ein- und aussteigen wie aus einem Bus", wies er die Forderungen nach einem Rauswurf Griechenlands zurück, wie sie in Deutschland gerne zu hören sind.

Die EZB griff ihrerseits am Donnerstag Griechenland unter die Arme. Gegen frühere Kriterien der Zentralbank können auch über 2010 hinaus noch Wertpapiere mit einem Rating von "BBB-" bei der EZB hinterlegt werden. Das zielt speziell auf das Land, denn nun werden griechische Staatsanleihen weiterhin als Sicherheit akzeptiert, um an Bargeld zu kommen. Bisher hatte die Ratingagentur Fitch die Bonität Griechenlands noch mit "BBB+" eingestuft, doch am Freitag senkte Fitch die Bonität auf "BBB-" und stufte den Ausblick "negativ" ein. Wie Island ist Griechenland nun an der Ramsch-Schwelle angelangt. Die EZB baute also gestern dieser Abstufung schon vor. Die Regelung, wonach auch Papiere angenommen werden können, deren Rating schlechter als "A-" ist, sollte eigentlich Ende 2010 zurückgenommen werden.

Doch der Hinweis Trichets, wonach der Bankrott des Landes wegen der "Entscheidungen der griechischen Regierung zur Reduzierung des Haushaltsdefizits" kein Thema sei, ist mehr als fraglich. Schließlich fressen die steigenden Kosten zur Refinanzierung die Sparbemühungen auf. Am Donnerstag wurden neue Zinsrekorde für Staatsanleihen des Landes registriert. Für zehnjährige Anleihen wurde bisweilen eine Rendite von rund 7,5% verlangt. Das sind gut 4,5% mehr als für derartige deutsche Papiere bezahlt werden muss. Bei zweijährigen Anleihen nähert sich der Zinssatz schon der Marke von 8 % gefährlich. In nur drei Tagen ist er um fast 3% explodiert.

Im nächsten Jahr müsste Griechenland bei solchen Zinsen gut 2 Milliarden Euro an zusätzlichen Zinsen aufbringen, mehr als die Hälfte der Summe, mit der der Haushalt über Sparanstrengungen und über Steuererhöhungen entlastet werden sollte. Schon bevor die Zinsen so extrem gestiegen waren, wurden im laufenden Haushalt 13 Milliarden Euro für Zinszahlungen veranschlagt, das ist mehr als das Land für Bildung und Erziehung, Justiz und Polizei veranschlagt.

Merkels Waterloo?

Tatsächlich liegt im zweiten Teil der Aussage von Trichet die Begründung, warum real eine Pleite ausgeschlossen ist. Denn er führte auch die Erklärung der Regierungschefs der Euro-Zone" an. Europa kann ein Mitgliedsland, dazu Mitglied der Eurozone, nicht in die Pleite abschmieren lassen, ohne sich dabei selber schwersten Schaden zuzufügen. Wer Banken wie die Hypo Real Estate (HRE) als "systemisch" einstuft einstuft und mit vielen Milliarden rettet, wie es gerade auch in Irland erneut geschieht, kann ein Land wie Griechenland nicht abstürzen lassen. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass hier eine Scheindebatte geführt wird.

Und hier könnte die Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Waterloo erleben. Inzwischen meinen einige, wie Fitch, dass der Zeitpunkt gekommen sei, den Notfallplan einzusetzen: "Es ist an der Zeit, dass die Euro-Zone und die griechische Regierung das wahre Ausmaß ihrer Probleme anerkennen", erklärte Fitch-Analyst Chris Pryce. Er fordert somit, Griechenland müsse endlich die Hilfe beantragen. Doch so wie der Plan bisher gestrickt ist, wird Griechenland den Zeitpunkt so weit wie möglich hinauszögern, um die Bedingungen zu verbessern. Da Merkel durchgesetzt hat, dass das Paket nur als "ultima ratio" in Gang gebracht wird, kommt Griechenland sogar entgegen. Die Gerüchte, wonach das Land das Paket neu aushandeln wolle, machen Sinn. Aus Brüssel verlautet, man arbeite an den Details. "Der einzige Aspekt, der noch immer unbekannt ist, sind die Zinsen", sagte die Sprecherin der EU-Kommission Amelia Torres. Genau hier will Griechenland Verbesserungen.

Merkel ließ in den Beschluss auf dem EU-Gipfel neben einem kleinen Zuckerbrot auch eine große Peitsche einbauen, wonach die Notkredite für Griechenland keine Subventionen für das Land enthalten dürften. In dem Beschluss heißt es, es gehe nicht darum, eine "Finanzierung zu durchschnittlichen Zinsen in der Eurozone" zu garantieren. "Risikoorientierte Kosten", also hohe Zinsen, sollen dagegen "Anreize für die raschestmögliche Rückkehr zur Finanzierung durch die Märkte zu schaffen". Das ist absurd und könnte die EU noch sehr teuer zu stehen kommen, weil damit die Erholung des Landes derzeit quasi unmöglich gemacht wird.

Deshalb tobt schon jetzt in der EU der Streit, zu welchem Zinssatz dem Land demnächst die Milliarden zufließen sollen. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet will nun offenbar die Berliner Formel aushebeln. Er hofft, dass bis zur Entscheidung über die Zinsfrage durch die EU-Staats- und Regierungschefs genug Druck auf Merkel entsteht, um sie zum Einlenken zu bringen. Die Zinssätze sollten wenigstens denen entsprechen, welche die Länder, die bilaterale Kredite gewähren, zu zahlen hätten, meinte Trichet.

Warum wird Griechenland die Hilfe verwehrt, die andere EU-Länder erhielten?

Damit knüpft er an die bisherigen Modelle an. Schließlich gibt es Hilfsmaßnahmen, die in eine ganz andere Richtung gehen, als sie Merkel an Griechenland exekutieren will. Lettland, Ungarn und Rumänien, also drei EU-Mitglieder, die aber nicht dem Euroraum angehören, wird längst mit vielen Milliarden unter die Arme gegriffen. Doch dabei wurde nicht so ein Wind gemacht und nicht mit dem Stereotyp von faulen Menschen Stimmung gemacht, die angeblich über ihre Verhältnisse leben würden. Von den 7,5 Milliarden Euro, die der Pleitestaat Lettland bis 2011 erhält, kommen fünf Milliarden aus der EU und nur ein kleiner Teil vom IWF und anderen Geldgebern. Das sind sogar gut 40 % der gesamten Wirtschaftsleistung des kleinen baltischen Landes. Die drastischen Auflagen des IWF haben zwar die Kreditwürdigkeit des Landes verbessert, aber dafür gesorgt, dass inzwischen fast jeder zweite junge Mensch in dem Land arbeitslos ist.

Aber würde man Griechenland im entsprechenden Verhältnis unter die Arme greifen, müsste man nicht über Kredite in einer Höhe von 25 bis 30 Milliarden Euro reden, sondern über fast 150 Milliarden Euro. Und anders als die nun marktüblichen Horrorzinsen von 6% - 8% reicht im Fall Lettland die EU Kredite an das Land weiter, welche die Kommission aufnimmt. Die Zinssätze liegen zwischen 3 und 3,5 % und damit nicht einmal halb so hoch wie die, die Griechenland derzeit blechen soll. Der IWF verlangt mit durchschnittlich gut 2,5% sogar noch weniger.

Doch warum spricht man dabei nicht von Subventionen, wie man es in Berlin populistisch im Fall von Griechenland macht? Würde man diesen beschränkten Blick auf Lettland wenden, wären diese angeblichen Subventionen aber noch deutlich höher, denn das Land konnte seine Staatsanleihen nicht einmal mehr für einen Zinssatz von 12,5% platzieren, reibt sogar die konservative Welt inzwischen Merkel unter die Nase.

Doch Lettland steht dabei längst nicht allein. Ungarn wurde ebenfalls mit 20 Milliarden Euro unter die Arme gegriffen. Die EU war mit 6,5 Milliarden Euro dabei, während in dem Fall der IWF den größten Anteil aufbringt. Und auch zur Abwehr einer Pleite in Rumänien wurden von der EU 5 Milliarden Euro locker gemacht, um dem Land mit insgesamt 20 Milliarden unter die Arme greifen zu können. Warum also wird Griechenland eine solche Hilfe verwehrt? Für die Mitgliedsländer fiele das ohnehin kostenneutral aus, auch wenn gerne etwas anderes suggeriert wird, denn die Zinsen und die Tilgung zahlt letztlich Griechenland. Nur die Konditionen wären günstiger und dem Land würde bei der Konsolidierung geholfen. So ist die Frage berechtigt, ob man in Berlin Griechenland in den Ruin treiben will.

Mit der Verabschiedung des Notfallplans hat man sich ohnehin schon von der sogenannten No-Bailout-Klausel nach Artikel 125 des "Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) verabschiedet, deren Sinn zu hinterfragen ist. Die besagt, dass weder die EU noch ein anderes EU-Land für Verbindlichkeiten eines Mitgliedstaates haften oder einspringen dürften. Damit sollte einst dafür gesorgt werden, dass die Mitgliedsländer Haushaltsdisziplin wahren und nicht auf eine Nothilfe spekulieren. Es ist aber kaum erklärlich, wieso man EU-Mitgliedsländer die Nothilfe spendiert und ausgerechnet Euroländer davon ausnimmt und damit die Gemeinschaft und den Euro schwächt. An diesen Vorgängen wird deutlich, dass massive Reformen anstehen.