Geheime Akten über Gorleben veröffentlicht

Pünktlich zum kommenden Gorleben-Untersuchungsausschuss veröffentlicht Greenpeace bisher unbekannte Dokumente

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Der Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestages wird gleich zu Beginn seiner Arbeit auf äußerst umfangreiches Material über das Verfahren, in dem der kleine Ort an der innerdeutschen Grenze ausgewählt wurde, zurückgreifen können. Die Umweltschützer von Greenpeace haben im August 2009 bei insgesamt 12 Ministerien und Behörden Akteneinsicht über den Zeitraum von 1976 bis 1986 gestellt. 110 Aktenbände konnten die Experten von Greenpeace bislang auswerten. Die Dokumente sollen nach und nach auf der eigens dafür eingerichteten Seite gorleben-akten.de für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Die Akten sollen helfen zu verstehen, wie die Entscheidung für Gorleben als Standort eines Atomendlagers zustande gekommen ist. Schon jetzt steht für Greenpeace fest, dass die geologische Eignung für den Standort Gorleben nie nachgewiesen wurde. Laut der Umweltschutzorganisation geht aus den Akten hervor, dass Gorleben im Zeitraum von 1974-76 gar nicht an einem wissenschaftlichen Auswahlverfahren teilgenommen hat. Erstmals wird Gorleben in einem handschriftlichen Vermerk im November 1976 erwähnt: "neu: LK Lüchow-D". In einem Dokument aus dem Jahr 1974, in dem acht im Auswahlverfahren verbliebene Standorte genannt werden, taucht Gorleben nicht auf.

Dass dennoch plötzlich Gorleben als mögliches Endlager auftaucht, hat möglicherweise politische Gründe. In einem Dokument aus dem August 1967 wird deutlich, dass das Bundesinnenministerium aufgrund von Verzögerungen bei der Projektierung einer Wiederaufbereitungsanlage einer "Genehmigung neuer bzw. dem Weiterbetrieb vorhandener Kernkraftwerke nicht zustimmen kann, wenn die Entsorgung dieser Anlagen nicht sichergestellt werden kann". Ein Atommülllager musste her, und zwar schnell.

Die "Projektgesellschaft Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen" schrieb im Januar 1977 an den niedersächsischen Innenminister, dass "die Entsorgungssituation der deutschen Kernkraftwerke in den Jahren 1981/82 kritisch werden" wird. Deshalb wollte die Projektgesellschaft alle Kräfte darauf verwenden, im Frühjahr 1977 ein Genehmigungsverfahren für die möglichen Standorte einzuleiten. Schon im Frühjahr 1978 sollte dann mit dem Bau eines Einlagerbeckens begonnen werden, das seinen Betrieb 1981/82 aufnehmen sollte. Offenbar war der zeitliche Druck so groß, dass zugunsten der Atomenergie unter allen Umständen schnell ein Endlager gefunden werden musste.

Einige der möglichen Regionen schieden offenbar aus, weil politische Gründe gegen sie sprachen. Im Februar 1976 äußerte beispielsweise der CDU-Bezirksvorsitzende im Emsland, Walter Remmers, Befürchtungen, dass der Aufbau eines Endlagers in Wahn/Hümmling nur von kurzem strukturpolitischen Nutzen sei, und fragte "was aus dem Hümmling werden soll, wenn die ganze Gegend verseucht ist". Remmers wollte den Verzicht auf den Standort erreichen. Eine ähnliche Strategie fährt heute unter anderem auch Bayern, das die Suche nach einem Endlager unbedingt außerhalb der Grenzen des Freistaates wünscht.

Auf Gorleben hingegen konnte man sich augenscheinlich leicht einigen. An der Grenze zur DDR gelegen, war die Region nur dünn besiedelt und litt an einem Mangel an Arbeitsplätzen. Zudem gab es angeblich nur geringen Widerstand aus der Bevölkerung gegen ein Endlager. Um nicht das Risiko eingehen zu müssen, Atomkraftwerke aufgrund fehlender Lagerstätten für strahlende Abfälle abschalten zu müssen, setzte der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht offenbar alle Hebel in Bewegung, um Gorleben als Standort durchzusetzen. Sicherheitsaspekte waren dabei zweitrangig, bei den Auswahlkriterien wurden Reaktorsicherheit und Strahlenschutz mit 31 Prozent gewichtet, Endlagergeologie floss lediglich zu 12,8 Prozent in die Entscheidung mit ein.

Doch gerade diese ist im Salzstock Gorleben äußerst problematisch. Der Geologe Ulrich Schneider findet in den Akten Belege dafür, dass diese Gewichtung gefährlich werden könnte. Dokumente der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe würden belegen, dass ein Laugenreservoir mit einem Volumen von bis zu einer Million Kubikmeter existiere. "Wenn dieses Reservoir sich auf einen Schlag öffnet, säuft dieser Erkundungsbereich Eins fünfmal ab", weist Schneider auf die Gefahren hin. Es ist wahrscheinlich, dass Gorleben ein ähnliches Schicksal ereilen wird wie der absaufenden Asse, die bereits jetzt aufgrund von Laugenzuflüssen leer geräumt werden soll. Deshalb forderte Greenpeace Umweltminister Röttgen auf, Gorleben als Endlager endgültig aufzugeben. Sollte Lauge in das Endlager fließen, würden diese die Fässer mit dem strahlenden Müll angreifen - die Folge wäre verseuchtes Grundwasser.