Nuklearer Terrorismus: Ein Albtraum, der Wirklichkeit werden könnte?

Zur Aufrüstung der Atommächte, halbherzigen Abrüstungsversprechen und der Weiterverbreitung der Bombe

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Terroristen mit Atomwaffen... Um solchen Horrorszenarien „zuvorzukommen“, hatte Präsident Obama, eine internationale Konferenz zur nuklearen Sicherheit in Washington einberufen. Derweilen rüsten die „offiziellen“ Atommächte fleißig weiter, unterschreiben aber zeitgleich halbherzige Abrüstungsverträge und wollen um jeden Preis die Weiterverbreitung spaltbarer Materialien verhindern. Ist dieser offensichtliche Widerspruch inhärenter Teil der Abschreckung?

Fast 47 Präsidenten, Premiers und Minister sind dem Ruf des US-Präsidenten, der in Prag vor einem Jahr von einer Welt frei von nuklearen Waffen träumte, aber realistischer Weise gleichzeitig anerkannte, dies wahrscheinlich selbst nicht mehr erleben zu können: „Not in my lifetime“. Auf die nukleare Abschreckung will und wagt eben noch lange keine „offizielle Atommacht“ zu verzichten. Am Sankt Nimmerleinstag vielleicht. Doch keine Sorge: „Die Welt ist jetzt sicherer: Für Amerika und die gesamte Menschheit“, wie Obama, „leader of the free world“, laut New York Times nach Abschluss der Konferenz treuherzig versicherte. Ist ja auch ein Friedensnobelpreisträger, Abschreckung inklusive.

Versprechen

Obama hat ja auch einige Zusicherungen von seinen Staatsgästen erhalten: Die Ukraine will sein hochangereichertes Uran aufgeben. Kanada wird einen Teil seines Urans den USA überlassen. Russland will einen Reaktor, der Plutonium produziert, schließen.

In den meisten Fällen handle es sich aber bei diesen Versprechen lediglich darum, spaltbare Materialien von einem Ort zu einem anderen zu transportieren, wie die Zeitung „Libération“ vermerkt. Das derzeit weltweit vorhandene Plutonium und angereicherte Uran würde es erlauben, 300 000 Atombomben zu bauen. Die USA und Russland haben des weiteren bei dieser Konferenz ein Abkommen abgeschlossen, das besagt, dass das Plutonium der ausrangierten Atomwaffen „recycelt“ werden soll. Die Technik hierfür soll allerdings noch nicht wirklich ausgereift sein. Doch Obama hat offenbar schon die Lösung:

Wir werden dieses Material benutzen, um Energie für unsere Bevölkerungen zu produzieren.

Zu diesem Behufe nimmt der französische Nuklearkonzern "Areva" gerade am Bau einer Fabrik in den USA teil. Ein Projekt , das bereits seit mehr als 10 Jahren vorgesehen ist. Die geplanten Kosten allerdings haben sich aber schon verdoppelt. Die Fertigstellung ist für frühesten 2016 vorgesehen. Aber solcherlei Verzögerungen und Kostenexplosionen sind wir ja von „Areva“ bereits gewohnt. Siehe das finnische EPR-Debakel (siehe Die französische "nukleare Renaissance" stottert mächtig).

Der Weiterverbreitung um jeden Preis Einhalt gebieten

Die beiden Staaten, die von den offiziellen Atommächten zur Zeit punkto Weiterverbreitung (Proliferation) nuklearer Materialien am argwöhnischsten beäugt werden, waren zur nuklearen Sicherheitskonferenz nicht geladen: Nordkorea und freilich der vielzitierte Iran (siehe: Iran will ab nächsten Monat zum "Club der Atomstaaten" gehören), gegen den es gilt, „wirksame“ internationale Sanktionen zu erheben. Bislang scheiterte das am Widerstand Chinas.

Obamas Sicherheitskonferenz sollte einen chinesischen Meinungswandel einläuten, der es ermöglichen sollte, den UNO-Sicherheitsrat noch im April dahingehend in Marsch zu setzen. Die Chinesen haben auch bereits Repräsentanten nach New York entsandt, um mit der Arbeit an einer gemeinsame Resolution für solche Sanktionen zu beginnen, wie Obama Dienstag Abend stolz verkündete. Doch ließ Peking bereits verlauten, dass man nach wie vor den Dialog und also Verhandlungen den Sanktionen vorziehe. Zudem übernimmt der Libanon im Mai den Vorsitz des UN-Sicherheitsrates, ein Land, das wahrscheinlich auch nicht sonderlich gewillt sein wird, Sanktionen gegen seinen unberechenbaren Nachbarn zu unterstützen.

Doch geht es nach Obama und seiner Außenministerin, ist Feuer unter dem Dach: “If terrorists ever acquired these dangerous materials, the results would be too terrible to imagine.“ Obama spitzt die amerikanischen Ängste noch zu und befürchtet, dass „Organisationen wie Al Qaida gerade dabei sein könnten, zu versuchen, an eine Atombombe zu gelangen“. Kurzum: Nukleare Materialien müssten auf jeden Fall gesichert werden, und Obama will Staaten, die nicht wirklich die Möglichkeiten dazu haben, finanziell unter die Arme greifen und gleichzeitig auch nuklearem Schmuggel auf die Pelle rücken.

Denn dummerweise bringt das jüngste Schreckgespenst der „zivilisierten“ Welt, genannt „Terrorist“, eine neue Variable in das seit dem Kalten Krieg bewährte internationale Gleichgewicht des Schreckens. Die Bombe hat auch perverserweise für atomaren Frieden gesorgt Für die anerkannten „braven“ Atommächte geht es bei dieser nuklearen Pokerpartie darum, die Bombe eben nicht einzusetzen, aber stets zu zeigen, dass man könnte, wenn man es nur wollte. Sollte allerdings eine terroristische Organisation oder wahlweise auch religiöse Fanatiker an die Bombe gelangen, so wird befürchtet, geschehe dies auch mit der Absicht, sie auch wirklich einzusetzen. Für Präsident Obama ist der heraufbeschworene „nukleare Terrorismus die unmittelbarste und größte Bedrohung der globalen Sicherheit“.

Können Terroristen die Bombe bauen?

Die französischen Nachrichtendienste sind von solcherlei Horrorszenarien gar nicht überzeugt: „Das Risiko existiert, aber eine reelle Bedrohung ist zur Zeit keineswegs erwiesen“, wie ein freilich anonymer Informant Libération anvertraut. Er fügt hinzu:

Das ist ein Thema, das die Amerikaner schon seit langem maßlos übertreiben.

In Frankreich denkt man, dass terroristische Organisationen nicht über die Kapazitäten verfügen, um eine Bombe herzustellen. Viel besorgniserregender und realistischer sei hingegen eine Bedrohung durch eine „schmutzige Bombe“, die radioaktive Produkte mittels eines klassischen Sprengsatzes verbreiten könnte. Laut der oben genannten Quelle handelt es sich dabei um eine viel leichter handzuhabende Technik als eine nukleare Explosion:

Dies würde wahrscheinlich weniger Opfer fordern, aber würde einen ganzen Sektor für geraume Zeit radioaktiv kontaminieren. Der Effekt wäre spektakulär: Das ist doch genau das, was Terroristen erreichen wollen.

Um solcherlei angenommene terroristischen Gelüste möglichst zu unterbinden, wäre wohl die effektive Anwendung des vielzitierten Nicht-Weiterverbreitung nuklearer Materialien und Waffen das beste Mittel. Allerdings kann man nicht gerade behaupten, dass sich auch die offiziellen Atommächte wie Musterschüler betragen würden: So werden zwar landauf, landab Abrüstungsgelüste lauthals verkündet und großspurige atomare Sicherheitskonferenzen abgehalten, sieht man sich die Sache aber etwas genauer an, muss man feststellen, dass Obamas nuklearwaffenfreie Welt noch sehr, sehr weit entfernt ist.

So soll ja der kürzlich zwischen Russland und den USA abgeschlossene New-Start-Vertrag , mit dem die Zahl der strategischen Atomsprengköpfe auf ein Niveau gesenkt werden soll, „das es seit dem ersten Jahrzehnt des Atomzeitalters nicht mehr gegeben hat“, wie Hillary Clinton verlauten lässt. Beide Atomsupermächte kontrollieren 95% der 22.000 nuklearen Waffen in der Welt. Das Abkommen, das bislang weder vom amerikanischen Senat noch der russischen Duma unterzeichnet wurde, sieht vor, dass das russische und amerikanische Arsenal um ca. 30 % reduziert wird. Sprich: 1 550 operationelle Sprengköpfe pro Macht.

Doch wie Le Monde aufzeigt, haben offenbar sowohl Russen wie Amerikaner ein kleines Rechenproblem: So wird jeder Bomber wie eine Waffe gezählt, während z.B. ein B-52-Bomber 20 Sprengköpfe transportieren kann. Das gleiche Zahlenspiel bei den Russen. Was laut der Zeitung bedeuten würde, dass man sich mit der tatsächlichen Anzahl der Sprengköpfe wieder auf dem Niveau von 2002 befindet. Auch die neue amerikanische Nukleardoktrin , wonach die USA jene Staaten, die nicht die Nuklearwaffe ihr eigen nennen dürfen und den Nicht-Verbreitungsvertrag (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, NPT ) respektieren, im Falle einer Aggression nicht mehr nuklear angreifen würden. Also ein Ende der amerikanischen Abschreckung? Mitnichten, denn der Iran und Nord-Korea z.B. sind von dieser neuen Nukleardoktrin ausgenommen, haben sie doch den NPT nicht unterzeichnet. Zudem behalten sich die USA den Nuklearschlag im Falle von groß angelegten biologischen Attacken vor.

Finger weg von der „force de frappe“

Frankreich scheint hingegen kein Rechenproblem mit seinen Nuklearsprengköpfen zu haben und verkündet lauthals, dass die Grande Nation keinesfalls auf die nukleare Abschreckung verzichten will und wird. Denn die atomare Abschreckung sei unerlässlich, um die „vitalen Interessen“ der Nation zu bewahren. Wobei nicht genau bekannt ist, worum genau es sich bei diesen vitalen Interessen handelt.

Obamas „Global Zero“ wird von den Franzosen als reine PR-Aktion aufgefasst, die zudem ein wenig verlogen sei, würden doch die USA gerade vorhaben, 6 Milliarden Dollars in die Modernisierung ihrer nuklearen Waffen zu investieren. Zudem befürchten die Franzosen, dass die Amerikaner mit ihren Abrüstungsversprechen in Wirklichkeit versuchen würden, zusätzlich zu ihrem nuklearen Arsenal mit noch mehr konventionellen Waffen ihren Status als „leader of the world“ zu behaupten. Sarkozy und Co wollen hingegen um jeden Preis das internationale Renommee ihrer „force de frappe“ aufrechterhalten. Frankreich betont, dass man sein Atomarsenal seit Ende des kalten Krieges sowieso schon um die Hälfte reduziert habe und „nur noch“ über 300 Sprengköpfe verfüge, während die USA und Russland mehr als 20 000 hätten. Präsident Sarkozy bekräftigte, dass sein Land in Sachen Abrüstung sicher nicht weitergehen würde:

Erst dann, wenn die Anderen ebenfalls nur noch einige Hundert Bomben haben.

Indessen entwickeln die lieben Franzosen ihre Nuklearwaffen fleißig weiter: So wurde erst letzten Januar die brandneue Long-Distance-Atomrakete M51 erstmals von einem Atom-U-Boot aus erfolgreich getestet. Zudem entwickelt man gerade einen neuen Sprengkopf mit dem klingenden Namen „tête nucléaire océanique (TNO)“, der von der kommenden Generation der M51-Raketen transportiert werden soll. Fazit: Diesseits wie jenseits des Atlantiks und bis zum Ural hin und noch weiter, wird weiterhin fleißig weiter verbreitet. Die nuklearen Geister, die wir riefen, werden wir offensichtlich nicht mehr los.