Untergang mit Ansage

Eine Untersuchungskommission des isländischen Parlaments benennt die Verantwortung von Politikern und Bankern am wirtschaftlichen Zusammenbruch des Inselstaates

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Aktuell beherrscht die größte Vulkaninsel der Welt die Nachrichten mit gigantischen Aschewolken und ihren Auswirkungen auf den internationalen Flugverkehr. Doch nicht nur was Explosives angeht, nimmt Island eine Sonderrolle ein. Auch für Implosionen gibt die Insel spätestens seit dem Zusammenbruch des kompletten Bankensektors im Herbst 2008 ein Paradebeispiel ab. Island, das sehr früh und schwer von der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise getroffen wurde, gilt seither als eine Art Labor, in dem sich die Auswirkungen der Krise modellhaft aufzeigen lassen.

Bis dahin schien dem Werdegang der Insel ein fast schon perfektes Drehbuch zugrunde zu liegen. Eine stabile parlamentarische Demokratie und ein verlässlich ansteigendes Wirtschaftswachstum führten sogar dazu, dass Island noch im November 2007 Norwegen vom ersten Platz des Human Development Index verdrängte. Kein Wunder also, dass das kleine Eiland trotz seiner Randlage als Vorzeigebeispiel für die Vorzüge des freien Marktes galt.

Ein nicht zu kleiner Anteil an dieser Erfolgsgeschichte wurde dem expandierenden isländischen Finanzsektor zugeschrieben, der sich innerhalb kurzer Zeit zu einem Global Player entwickelt hatte und als starker Wachstumsmotor der gesamten Insel galt. Das endete mit der radikalen Zäsur im Oktober 2008 und der Übernahme der drei größten Bankinstitute durch den Staat – ein Schritt, dessen Konsequenzen die isländische Gesellschaft auch heute noch spürt.

Wie konnte ein derart entwickeltes und scheinbar stabiles Land vor den staunenden Blicken der Welt so schnell und so tief abstürzen? Die Gründe dafür sollte eine bereits Ende Dezember 2008 vom Parlament beauftragte Untersuchungskommission herausfinden.

Zusammenbruch war unausweichlich

Sie hat nun ihren Abschlussbericht vorgelegt. Offenkundig hat sie sich ernsthaft bemüht, ihrem Auftrag gerecht zu werden, "Informationen zu sammeln, Fakten zusammen zu stellen und einen Überblick über die hauptsächlichen Gründe für den Zusammenbruch der isländischen Banken zu geben.“ Der vorgelegte Bericht umfasst über 2000 Seiten. Mehr noch: Er benennt dezidiert führende Vertreter von Politik und Finanzwesen und spricht von ihrer Verantwortung für ihre Handlungen - oder ihr Unterlassen. Nicht zuletzt dadurch erhält dieser erste detaillierte Bericht darüber, wie es um einen Staat bestellt sein muss, um derart im Sog einer globalen Krise unterzugehen, besondere Bedeutung.

Die Kommission bilanziert: Was über Jahre hinweg der zuverlässige Garant für Islands Wohlstand und weitere Entwicklung zu sein schien - der beständig wachsende Finanz- und Bankensektor - krankte bereits in seinen erfolgreichsten Tagen derart, dass ein Zusammenbruch unausweichlich war. Und doch schien dieser für manchen im Bankwesen Beschäftigten und Verantwortlichen völlig überraschend zu kommen. Auf knapp 65 Seiten zeichnet die Untersuchungskommission minutiös nach, wie mit dem ökonomischen Supergau umgegangen wurde, welche Maßnahmen ergriffen und welche Informationskanäle dabei genutzt wurden.

Goldfieber in den Banken

Der Bankensektor Islands vergrößerte sich laut Bericht ab dem Jahr 2001 und speziell zwischen 2004 und 2006 enorm. Allein die damals größte isländische Bank Kaupthing wuchs um das unglaubliche Zwanzigfache ihres vorherigen Werts – und das in nur sieben Jahren. Eine derartige Entwicklung überlastete zuallererst die vorhandenen Kontrollinstanzen, in diesem Fall die Finanzaufsichtsbehörde FME, die mit einem derartigen Wachstum heillos überfordert war.

Mit dem großformatigen Einstieg in den internationalen Finanzmarkt begann eine zweigleisige Fahrt, die zu jenem immensen Wachstum führte, das laut Kommission "hochriskant und mit den langfristigen Interessen einer soliden Bank nicht verträglich war“: Die isländischen Kreditinstitute investierten großflächig in internationale Fonds, die auf Krediten und Schuldverschreibungen beruhten, und boten gleichzeitig ihrer weltweiten Kundschaft extrem attraktive Zinsen für deren Anlagen.

Diese aggressiven Marktstrategien waren aber zu keiner Zeit abgesichert - weder verfügten die Banken über annähernd ausreichende Sicherheiten, noch war die isländische Zentralbank entsprechend gewappnet. Ein Salto Mortale am großen Finanztrapez ohne Netz und Sicherungsleine.

Auch die Politik hat versagt

Dennoch konnten die Banker sich entspannt zurücklehnen, denn in der Politik wurde lieber über das vermeintlich gesunde Wachstum gesprochen als gefragt, wie es um die Sicherheit eines Finanzsektors bestellt war, dessen weltweite Verpflichtungen die Höhe des isländischen Bruttoinlandsprodukts um Klassen überrundet hatten. Auch hier legt der Bericht den Finger in die Wunde und erklärt: "Um den Zusammenbruch des Bankensektors zu vermeiden“; hätte die Politik spätestens 2006 aktiv werden müssen. Im gleichen Satz stellen die Verfasser ernüchtert fest, dass die "politischen Verantwortlichen weder in diesem noch im nächsten Jahr“ etwas unternommen hätten. Die seinerzeit regierende Koalition aus Sozialdemokraten und der konservativen Unabhängigkeitspartei muss dafür deutliche Worte hinnehmen.

Die Verantwortung geht also über die vielbeschworene Gier der Banker hinaus. Auch die politische Elite hat versagt. Unrühmlich hervorgetan haben sich dabei auf Seiten der Unabhängigkeitspartei Geir Haarde, der während der Krise amtierende Premier, sowie David Oddson, Ministerpräsident von 1991 bis 2004 und später Zentralbankchef. Aus den Reihen der Sozialdemokraten wird besonders Björgvin Siggurdson hervorgehoben, der in der Koalitionsregierung zuständige Minister für das Bankwesen. Sie erhielten wie andere Schlüsselpersonen die Möglichkeit, sich vor der Untersuchungskommission zu äußern und ihre Sicht der Dinge darzulegen - auch wenn dies nicht jedem vorteilhaft gelang.

Die Isländer bewiesen also mit ihren früh skandierten Rufen und dem durch die Proteste erzwungenen politischen Machtwechsel im Januar 2009 einen guten Riecher. Auch wenn das in ihrer jetzigen Situation nur ein kleiner Trost sein mag. Denn in Folge der Krise hat die Zahl der verschuldeten Privatleute und Unternehmen immens zugenommen. Die Insel muss mit einer beständig schwankenden Währung zurecht kommen, gleichzeitig verzeichnen die Statistiken einen stetigen Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Die Zahl derjenigen, die der Insel aufgrund finanzieller Sorgen und Nöte den Rücken kehren, steigt. Der private Konsum fiel in den letzten zwölf Monaten um ca. 15%, die realen Einkommen sogar noch mehr und die Bruttoinvestitionen gingen um die Hälfte zurück. Dagegen stiegen die Kosten für fast alle Güter, Arbeiten und Dienstleistungen und belasten die privaten und staatlichen Haushalte massiv.

Das Referendum zum Icesave-Abkommen am 6. März dieses Jahres hat deutlich gemacht, dass die Isländer nicht bereit sind, sich auf Jahrzehnte hinaus zu verschulden und die Zeche für den überdimensionierten privaten Finanzsektor zu zahlen. In dieser rechtlich nicht bindenden Volksabstimmung kamen vor allem Wut und Enttäuschung zum Ausdruck - die Isländer fühlen sich in der Krise allein gelassen.

Ob und wie sich derartiges Protestpotenzial weiterhin wird abrufen lassen, bleibt abzuwarten. Das politische Interesse jedenfalls ist geweckt und zumindest die Buchhandlungen verzeichnen aufgrund des Berichts einen starken Zulauf - und ein wenig Zeit wird es schon brauchen, sich durch den neunbändigen Report zu ackern.