Krisen als wirksamer Klimaschutz

Die Energie- und Klimawochenschau: Energieverbrauch wie vor 40 Jahren und großzügig gekappte CO2-Emissionen. "Die Krise" und "der Vulkan" schaffen ad hoc, woran Klimakonferenzen und - gesetze seit Jahren laborieren

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Die Flugzeuge heben wieder ab. Die nur wenige Tage dauernde Unterbrechung warf ein Schlaglicht auf das, was bisher als Normalität angesehen wird, auf die täglich durchschnittlich 28.000 Flüge allein über Westeuropa, auf ihren Energieverbrauch und ihre Auswirkungen auf das Klima. Diese kurze Zäsur lässt ahnen, welches Potential ein Hinterfragen der bisherigen Hypermobilität haben wird. Ab 2013 wird der Flugverkehr am CO2-Handel beteiligt, das bedeutet, dass Fluggesellschaften dann ihren Treibstoffverbrauch und ihre CO2-Bilanz durch den Kauf von CO2-Zertifikaten kompensieren müssen, die Flugpreise sollten dann steigen. Doch ob das allein Verhaltensänderungen der Nutzer bringt ist fraglich.

Fliegen ist die klimaschädlichste Transportart. Durch die aktuellen Flugverbote bleiben der Atmosphäre mindestens 2 Mio. Tonnen CO2 erspart. An den weltweiten Emissionen von Klimagasen ist die Fliegerei zwar nur mit etwas mehr als 2 Prozent beteiligt. Jedoch trägt sie vier bis neun Prozent zum anthropogenen Treibhauseffekt bei. Der Grund für diese überproportional große Wirksamkeit ist darauf zurückzuführen, dass die Abgase, einschließlich der Kondensstreifen, direkt in die Atmosphäre injiziert werden.

Das Portal wir-klimaretter.de hat hochgerechnet, dass allein die Lufthansa-Jets an einem durchschnittlichen Tag 15.000 Tonnen Kerosin verbrennen und dabei 47.000 Tonnen CO2 erzeugen. Alle europäischen Flüge, einschließlich der interkontinentalen, verursachen täglich eine Million Tonnen CO2-Äquivalent. In einem EU-Gutachten von 2007 wurden die reinen CO2-Emissionen des europäischen Flugverkehrs auf jährlich 220 Mio. Tonnen ermittelt. Eine Million Tonnen vermiedenes CO2, das entspräche bei der momentanen durchschnittlichen Fahrleistung und Emission je PKW (11.400 km/Jahr und 153 Gramm/km) etwa 570.000 Autofahrern, die ihren Wagen ein Jahr lang stehen lassen.

Kondensstreifen. Bild: Nasa

Kurze Pause für die Klimaerwärmung

Der Vulkanstaub des isländischen Vulkans Eyjafjalla soll dagegen nur kurzfristig Auswirkungen auf den Verlauf der weiteren Klimaerwärmung haben. Der Klimaforscher Wolfgang Seiler geht davon aus, dass der Lavastaub ein bis zwei Wochen nach Ende der Eruptionen ausgewaschen sein wird. Um längerfristige Auswirkungen zu haben, müsste der Vulkanausbruch mehr Material viel höher, bis in die Stratosphäre in Höhen von 20-25 km, ausstoßen.

In der Stratosphäre aber gibt es keinen Regen, Partikel aus diesen Schichten werden nicht herausgewaschen und sind mit einer durchschnittlichen Verweildauer von vier bis fünf Jahren entsprechend länger klimawirksam. In der niedrigeren Troposphäre rechnet man dagegen nur mit 1–2 Wochen, bis die Partikel wieder ausgewaschen sind. Für den Trend der Klimaerwärmung bedeutet der jetzige Vulkanausbruch daher nur eine kurzzeitige Unterbrechung aber keine Verlangsamung.

Die "Gut für's Klima"-Krise

Als zwar außerplanmäßige, aber wirksame "Klimaschutzmaßnahme" entpuppte sich dagegen die Bankenkrise. Sie war für 2009 sogar wesentlich wirksamer als alle Klimabemühungen und Energiesparmaßnahmen zusammen. Die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen ermittelte für ihren Frühjahrsbericht, dass der Primärenergieverbrauch in Deutschland 2009 mit 13.341 Petajoule um 6,0 Prozent niedriger lag als im Vorjahr. Entscheidend sei dafür die gesamtwirtschaftliche Entwicklung gewesen. Denn nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes ging das Bruttoinlandsprodukt um 5 Prozent zurück, die eigentliche Verbesserung der Energieproduktivität habe sich damit nur um etwa 1 Prozent gegenüber 2008 verbessert.

Der Energieverbrauch lag damit so niedrig wie zuletzt Anfang der 70er Jahre. Besonders der Verbrauch an Mineralöl verminderte sich 2009 um 5,0 Prozent und erreichte mit 4.631 PJ den niedrigsten Stand seit der deutschen Wiedervereinigung. Mit einem Anteil von 34,7 Prozent am Gesamtverbrauch blieb das Mineralöl dennoch der mit Abstand wichtigste Energieträger in Deutschland. Ein Teil dieser Verringerung ist aber nur eine Verlagerung, denn 2009 wurde die Beimischung von Bio-Kraftstoffen, die statistisch zu den erneuerbaren Energieträgern gerechnet werden um rund 45 Prozent erhöht.

Der Anteil des Erdgases am gesamten Primärenergieverbrauch nahm auf 21,8 Prozent zu. Der Verbrauch von Steinkohle sank um rund 18 Prozent. Der Braunkohleverbrauch sank um 3 Prozent und macht jetzt noch 40 Prozent der im Land gewonnen Primärenergie aus, und: Von den im Land gewonnenen Energieträgern liefern die Erneuerbaren bereits 30 Prozent, schon bald dürfte es mehr sein als der Anteil der Braunkohle.

EU-einheitliche Standards für Elektroautos

Neues auch in Sachen Mobilität auf den Straßen. Denn nicht nur der Flugverkehr verbraucht viel Energie und setzt große Mengen Treibhausgase frei. Alle Verkehrs- und Transportmittel verbrauchen EU-weit ein Drittel der gesamten Energie und sind der einzige Sektor, dessen CO2-Emissionen immer weiter zunehmen.

Das Umwelt- und Prognose-Institut UPI untersuchte die Entwicklung des privaten Autoverkehrs in 122 Ländern der Erde und geht in seiner Studie von einem Anstieg des weltweiten Pkw-Bestands von heute 500 Mio. um das 4,5-Fache auf rund 2,3 Milliarden Pkw im Jahr 2030 aus. Der Beitrag des Autoverkehrs zum Treibhauseffekt liegt heute bei 4,4 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent und wird bis zum Jahr 2030 auf über 10 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr ansteigen.

Wenn sich nicht grundsätzlich etwas ändert, hätte die ungebremste Motorisierung zur Folge, dass allein der Autoverkehr im Zeitraum von 1995 bis 2030 rund 60 Milliarden Tonnen Erdöl, die Hälfte der heute bekannten Welt-Erdölreserven, verbraucht hat. Mit Hochdruck wird in den Forschungsabteilungen inzwischen an zahlreichen Alternativen zum Öl geforscht. Viele hoffen auf die Elektro- und Hybridantriebe. Die Konzepte sind aber nirgends so uneinheitlich und inkompatibel wie in Europa.

Ein Kessel Buntes. Kleine Auswahl von Stromtankstellen. Stecker passt manchmal, Abrechnungssystem eher nicht, Vehicle-grid-Funktionalität soll ab Herbst 2010 kommen. Zusammenstellung: M. Brake

Eine Monatskarte für alle Verkehrsmittel

Die EU-Kommission will jetzt den Rückstand gegenüber China und den USA bei der Entwicklung der Elektromobilität aufzuholen. Die Mitgliedsstaaten sollen bei Elektroautos besser zusammenarbeiten. Es soll gemeinsam geforscht werden, einheitliche Förderprogramme und technische Standards sollen Hersteller und Käufer unterstützen und die Nutzung der neuen Fahrzeuge überhaupt erst alltagstauglich machen und das auch grenzüberschreitend.

Mit ihrer Initiative will die EU-Kommission auch die bisherigen nationalen Alleingänge der Mitgliedsstaaten stoppen um Kabelsalat zu vermeiden. Die USA dagegen haben schon ein bundesweites 2,9 Mrd. Dollar Forschungsprogramm für Elektroautos und die Entwicklung einheitlicher Akku-Standards gestartet, ähnlich agiert China mit Milliarden–Subventionen für die neue Technik. Die EU-Kommission will daher:

  • bis 2011 EU-einheitliche Standards für Ladestecker festlegen
  • gewährleisten, dass Elektro-Autofahrer über Landesgrenzen hinweg Strom laden und auch bezahlen können
  • europaweit einheitliche Förderprogramme beim Kauf von Elektro-Autos einführen
  • bis 2012 Sicherheitsstandards entwickeln, weil Fußgänger Elektro-Autos schlechter hören
  • und langfristig die CO2-Regulierungen anziehen (was allerdings nur mit mehr regenerativem Strom im Netz Sinn macht). Stichwort: "Blaue Plakette".

In der Vergangenheit hatte die EU nur einzelne Leuchtturmprojekte gefördert. Selbst innerhalb einzelner Städte sind daher Stromzapfsäulen oft nicht miteinander kompatibel und die Abrechnungssysteme gänzlich unterschiedlich. Dänemark hat sich bereits landesweit für das israelische Konzept "Better Place" entschieden.

Einzig Deutschland und Frankreich haben schon enger zusammengearbeitet, auch was die grenzüberschreitenden Lademöglichkeiten in beiden Ländern angeht. Paris und London planen gerade die Anschaffung großer Elektroflotten, es wird also höchste Zeit das sich die Mitgliedsländer abstimmen. Auch das Saarland plant gerade mit französischen Elektrofahrzeugen ein landesweites "multimodales" Verkehrskonzept um Stadt und Land besser zu vernetzen. Konzepte wie "Eine Monatskarte für alle Verkehrsmittel" und die Verknüpfung von Energieerzeugung und Speicherung im Vehicle-Grid können dann erstmals dort erprobt werden.