Was dürfen Wissenschaftler mit Genproben machen?

Eine Einigung zwischen einer US-Universität und einem Indianerstamm könnte die Kontrolle der Spender stärken und womöglich die Forschung künftig einschränken

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Die Indianer vom Stamm der Havasupai haben nach langjährigen Protesten und Klagen einen Erfolg gegen Wissenschaftler einer Universität errungen, die Genproben ohne Genehmigung Jahre lang für ihre Forschung verwendet hatten. Vor 20 Jahren hatten einige Indianer Wissenschaftlern der Arizona State University (ASU) Hunderte von Blutproben in der Hoffnung gegeben, dass sich daraus genetische Hinweise auf die im Stamm weit verbreitete Diabetes ergeben, um die Krankheit besser behandeln zu können. 55 Prozent der Frauen und 48 Prozent der Männer litten 1991 unter Diabetes.

Die Indianer bekamen dann aber im Jahr 2003 zufällig mit, dass die Wissenschaftler zwar keine genetischen Ursachen für Diabetes gefunden hatten, aber dass ein ihnen unbekannter Forscher, der die Blutproben für eigene Studien verwendet hatte, gerade eine Veröffentlichung in der angesehenen Zeitschrift Genetics erwartete. Verlangt wurde, dass er die Ergebnisse, die er mit den Blutproben erzielte, aus der Veröffentlichung herausnehmen musste, wodurch diese platzte. Später stellte sich heraus, dass Wissenschaftler der Universität mit den Blutproben andere genetische Untersuchungen vorgenommen und darüber publiziert hatten, beispielsweise zu psychischen Krankheiten, Alkoholabhängigkeit, Schizophrenie oder der Abstammung des Stammes – ein besonders heikles Thema, weil hier die genetische Analyse der Herkunft in Widerspruch mit den Erzählungen über die eigene Stammesgeschichte treten kann. Zudem fürchteten die Indianer, darüber womöglich das Recht auf das Land zu gefährden, wenn sie in der Vergangenheit von woanders eingewandert sind.

Die Wissenschaftler haben zwar behauptet, dass sie von den 41 Stammesmitgliedern die Genehmigung für weitere Untersuchungen erhalten hätten und dass es sich nur um Missverständnisse handele, der Stamm hat jedoch Schadensersatzklagen in Höhe von 75 Millionen Dollar erhoben, weil die Rechte der Betroffenen verletzt worden seien (When two Tribes go to War).

Jetzt haben die Indianer mit der Arizona State University eine Einigung erzielt, deren Ruf als Zentrum für indianische Studien unter der Klage stark gelitten hat. Die Universität entschuldigte sich förmlich, die Blutproben werden zurückgegeben, die 41 Personen, von denen Blutproben zu Genanalysen genommen wurden, erhalten zusammen 700.000 Dollar Schadensersatz. Zusätzlich verpflichtet sich die Universität, mit den Indianern in Bereichen wie Gesundheit, Ausbildung, wirtschaftliche Entwicklung oder Planung zusammenzuarbeiten. Die Vertreter des Stammes räumten ein, dass die Universität die Kontrolle über die biomedizinische Forschung inzwischen wesentlich verbessert habe.

Die noch verbliebenen 650 Stammesmitglieder der Havasupai – der Stamm wäre Anfang des 20. Jahrhunderts beinahe ausgestorben - leben abgeschieden in einem Teil des Grand Canyon, der über Land nur mühsam erreicht werden kann. Durch diese Isolation sind Kultur und Sprache der Indianer noch weitgehend erhalten geblieben. Die Wissenschaftler wurden daher auch beschuldigt, die Genproben für Zwecke verwendet zu haben, die nicht nur die Rechte einzelner Menschen, sondern auch die Kultur und den Glauben der Indianer verletzen. "Ich bin nicht gegen wissenschaftliche Forschung", sagte Carletta Tilousi, die dem Stammesrat der Havasupai angehört und die Klagen initiiert hatte. "Ich will nur, dass sie richtig gemacht wird. Sie verwendeten unser Blut für alle ihre Studien, Menschen erhielten akademische Grade und Forschungsgelder, aber sie holten niemals unsere Zustimmung ein." Tilousi hatte zu Beginn der Klage geäußert, sie fühle sich von den Wissenschaftlern "geistig" vergewaltigt.

Die nun erzielte Einigung stärkt die Rechte der Menschen, die Wissenschaftlern zu bestimmten Zwecken Genproben übergeben, und sie beschränkt die Möglichkeiten der Forschung. Allerdings ist nicht klar, wie detailliert die Zustimmung zu Analysen von Genproben möglicherweise in Zukunft ausgeführt werden muss. Wissenschaftler warnen allerdings, dass die Forschung, die allen Menschen zugute kommen würden, durch zu strenge individuellen Kontrollen und Festlegungen behindert würden. Interessante Ergebnisse kämen oft auf Seitenwegen zustande, die man zunächst gar nicht im Blick hatte. Zudem müssten große Datenbanken mit den Auflagen der einzelnen Spender aufgebaut und verwaltet werden, ein weitere Bürokratieaufwand also. Es gibt in den USA weitere Fälle, in denen Konflikte zwischen Spendern und Wissenschaftlern bekannt geworden sind.

Ein deutscher Fall

Ein ähnlicher Fall ist auch in München geschehen, wie Report München letztes Jahr aufdeckte. 2004 hatten Rot-Kreuz-Ärzte während des Oktoberfests 405 schwer Betrunkenen ohne medizinische Notwendigkeit Blut abgenommen. Die Proben wurden weitgehend ohne Einwilligung der unfreiwilligen Spender für eine wissenschaftliche Studie an der Universität Leipzig verwendet, was durch deren Veröffentlichung bekannt wurde. Gegenstand der Studie war u.a., ob die Betrunkenen Drogen zu sich genommen oder Leberwerte hatten, die auf einen kontinuierlichen Alkoholkonsum hindeuten. Fraglich war überdies, ob auch eine Zustimmung von Betrunkenen oder von Personen, die kein Deutsch sprechen, Gültigkeit haben kann.

Die Münchner Staatsanwaltschaft hat nun, wie der Bayerische Rundfunk berichtet, das Ermittlungsverfahren gegen sechs Personen wegen Körperverletzung eingestellt, weil die mittlerweile zurückgetretene Chefärztin und die anderen Beteiligten strafrechtlich nicht belangt werden können. Gegen einen Arzt, der für die Studie verantwortlich war, wird allerdings ermittelt, da er die Einverständniserklärung nicht vorlegen kann. Ohne diese können Proben nicht wissenschaftlich ausgewertet werden.