Bummelstudent und abgeklärter Philosoph

Z1-Nachbau im Technikmuseum Berlin. Bilder: Stefan Höltgen

Der Auftakt zum 100. Geburtstag Konrad Zuses im Berliner Technikmuseum

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Am 22. Juni dieses Jahres hätte Konrad Zuse seinen 100. Geburtstag gefeiert. Das Jahr 2010 ist deshalb zum Zuse-Jahr 2010 ausgerufen worden, in dem dem Erfinder des Computers durch zahlreiche Veranstaltungen gedacht wird. Am Deutschen Technikmuseum in Berlin fand der Auftakt dazu statt.

Man mag sich darüber streiten, ob die Erfindung des Computers zuerst in Form eines Konzeptes oder eines vermarktbaren technischen Erzeugnisses stattgefunden hat, ob also vielleicht Charles Babbage und seine Mitarbeiterin Ada Lovelace am Beginn standen oder vielleicht noch frühere Vertreter. Historisch geklärt scheint jedoch, dass mit dem Z1, der 1936 im Wohnzimmer der Eltern Konrad Zuses von diesem und einigen Helfern zusammen montiert wurde, das erste technische Gerät, das den Namen "Computer" verdient, das Licht der Welt erblickte. Zuvor verstand man unter dem Begriff menschliche Rechenknechte, die bei Arbeitsbeschäftigungsmaßnahmen in Reih und Glied Werte für Sinus- und Logarithmen-Tafeln errechneten oder schlicht Buchhaltung betrieben.

Am Anfang war die Eisenbahn und der Film

Ausschlag zur Konstruktion des Gerätes war die Faulheit seines Erbauers - oder eben sein "starker Hang zum Automatismus", wie sein Sohn Horst Zuse, heute Professor für Informatik an der TU Berlin, es nennt: In seinem dritten Studienanlauf als Bauingenieur, er hatte sich bereits in Maschinenbau und Architektur versucht, bekam er es immer häufiger mit lästigen Zahlenkolonnen zu tun. Zwar ließen sich auch umfangreiche lineare Gleichungssysteme elegant mithilfe des Determinanten-Verfahrens lösen, doch stellt auch dies noch eine Menge für einen "Bummelstudenten", wie Zuse sich selbst einmal bezeichnete, dar. Der Anblick der ordentlich in Reih und Glied neben- und übereinander geschriebenen Zahlen mag es gewesen sein, der ihn zuerst dazu verleitet hatte, sich derartige Berechnungen automatisiert vorzustellen.

Prof. Dr. Horst Zuse erklärt die Z1 am Nachbau

Im Bücherregal seines Vaters fand er zudem ein Buch über Stellwerktechnik bei der Eisenbahn und so entstand die Idee zur Z1: Eine mechanische Rechenmaschine, mit der Berechnungen durchgeführt werden konnten, die aber auch programmiert werden konnte, so dass nicht nur eine Berechnung möglich war, sondern mehrere nacheinander, deren Ergebnis zwischengespeichert werden und dann wiederum automatisch in Folgeberechnungen einfließen konnte. Die Abfolge der zu leistenden Rechenoperationen wurde sequenziell, als Löcher in einen ausgedienten 35-mm-Kinofilmstreifen, den Zuse von seinem bei der Ufa arbeitenden Onkel mitgebracht bekam, gestanzt.

Lochstreifen

Rechenmaschinen gab es schon vor Zuse; neu war bei der Z1 jedoch, dass sich Zuse zweier Zahlensysteme bediente, die bislang nicht für diese Zwecke eingesetzt wurden: Die Werte wurden zwar dezimal eingegeben, in der Z1 jedoch in das von Leibniz beschriebene Dual-System, bestehend aus Nullen und Einsen umgewandelt, um intern mit Hilfe arithmetischer und prädikatenlogischer Operationen berechnet werden zu können. Die Ausgabe fand dann wieder in Dezimalzahlen statt, jedoch in einer von Zuse erstmals für Rechenautomaten umgesetzten Schreibweise: der Gleitkomma-Darstellung, bei der eine Zahl mit einer Mantisse und einem Exponenten dargestellt wird. Beide Systeme, in einer Maschine vereint, gesteuert durch einen sequenziellen Ablaufplan und mit der Möglichkeit des (Zwischen)Speicherns machen das aus, was man heute Computer nennt.

Die verklemmte Maschine

Die Z1 war aufgrund ihrer mechanischen Bauart und der unzähligen verschiebbaren Plättchen (mit deren Hilfe die Rechen- und Logik-Operationen realisiert waren) ein wahrer Prototyp: Ständig verklemmte sich etwas an dem teilweise mit der Laubsäge gefertigten Bauteilen und das Gerät ließ sich auch nicht mehr aus dem elterlichen Wohnzimmer entfernen. Es wurde im zweiten Weltkrieg zerstört, genauso wie die Z2, die als eine Art "proof of concept" für einen Relais-gesteuerten Computer diente, wie Raúl Rojas in seinem Vortrag über die technischen Unterschiede der frühen Zuse-Computer betonte.

Raúl Rojas - Z1-Rechenwerk-Nachbau

Die Z3 war zwar auch noch ein Prototyp, zeigte aber schon, wohin die Entwicklung gehen sollte: ein kostengünstiger produzierter Rechenautomat auf der Basis von Telefon-Relais, der in größerer Stückzahl hergestellt und verkauft werden konnte. Diesen konstruierte Zuse mit der Z4, die er als einzige seiner frühen Maschinen vor der Zerstörung retten konnte und mit auf seine Flucht in den Allgäu nahm. Sie war auch der Grundstein von Zuse Karriere als Computerproduzent, die von 1949 bis in die späten 1960er Jahre anhielt. Dann wurde er von den Entwicklungen seiner Konkurrenten (IBM, Bull, National Elliot und anderer) eingeholt, insbesondere von deren Marktstrategien: IBM vermietete seine S/360 viel häufiger als sie verkauft wurde, weil dies auch angesichts des raschen technischen Wandels und der Anschaffungskosten für die Kunden lukrativer schein. Ende der 1960er ging der nun weitgehend wertlose Name "Zuse" in die Siemens AG ein, wurde 1971 dort gelöscht und für 30 Jahre gesperrt. 2001 erwarb Horst Zuse die Namensrechte zurück und hängt jetzt sogar an seinen Nachnamen ein "®" an.

Z1 und Z4 Teile

Der Grund für den Niedergang der Zuse KG ist ihm zufolge bereits in ihren Anfängen zu suchen. Konrad Zuses Versuch, seine Rechenmaschine patentieren zu lassen, schlug nämlich mangels Erfindungshöhe fehl: Maschinen zum Rechnen gab es ja bereits. Hätte er sich anstelle dessen z. B. die maschinelle Verarbeitung von Gleitkomma-Zahlen patentieren lassen, wäre er reich geworden; so war er, wie sein Sohn betonte, "nie richtig reich und nie richtig arm". Unternehmerisches Geschick zeichnete ihn wohl auch nicht aus: Seine Ingenieure waren nicht selten Schuster, Schneider und Frisöre, die nur über genügend taktiles Feingefühl verfügen mussten, um die Geräte zusammenzubauen. Oft mussten ihn die Unternehmen im Voraus finanzieren, damit er die Produktion ihrer Bestellungen beginnen konnte - so auch die Eidgenössisch-Technische Hochschule in Zürich, die zuallererst eine Z4 kurz nach Ende des Krieges erwarb. Zuse scherzte damals, dass das Klappern der Relais sicherlich das Interessanteste sei, was man im nächtlichen Zürich zu hören bekäme. Den ökonomischen Höhepunkt stellte die Z22 dar, die schon über einen Magnetspeicher verfügte und an zahlreiche Universitäten ausgeliefert wurde.

Software als Gebrauchsanweisung

Ein anderer Fehler war es, die ökonomische Bedeutung der Software zu unterschätzen, wie Jaruth Breil, Zuses langjährige Sekretärin, auf der Jubiläumsveranstaltung sagte. Die Programme galten Zuse eher als Dreingabe zur Hardware. Dass man mit ihnen Geld verdienen konnte, wunderte ihn noch 1995, als er auf der CeBit Bill Gates traf, der genau damit zum Milliardär geworden ist. Die immaterielle Seite seiner Entwicklungen schien also auch in anderer Weise "immateriell" für ihn zu bleiben. An seiner Programmiersprache "Plankalkül", der ersten höheren Programmiersprache überhaupt, zeigt sich dies abermals. Sie blieb noch bis nach seinem Tod ein intellektuelles Konstrukt - erst im Jahr 2000 wurde ein Compiler für sie entwickelt, der zeigte, dass sie funktionierte und wie viel visionäre Kraft in ihr steckte.

Prof. Dr. Sabine Glesner - TU Berlin

Sabine Glesner, wie Horst Zuse Informatik-Professorin an der TU Berlin, stellte Plankalkül in ihrem kurzen Vortrag als eine Programmiersprache dar, die über alle notwendigen Anforderungen für eine solche verfügt. Zudem - und das zeichnet sie gegenüber den "beliebig unhandlichen" (Glesner) Binärzahlen und maschinennahen Assemblersprachen aus - kommt sie in ihrer Syntax der menschlichen Sprache schon ein Stück näher, enthält sogar die Möglichkeit prädikatenlogische Aussagen zu formulieren - ist also bestens auf die Zuse-Computer abgestimmt, lässt sich aber nicht nur auf diesen ausführen (Maschinenunabhängigkeit ist ein wichtiges Kriterium für eine höhere Programmiersprache). Hätte Zuse die Sprache allerdings zu Lebzeiten in sein System implementiert, wäre, Glesner zufolge, schnell klar geworden, dass sie unbrauchbar ist. Denn die logischen Abfragen in ihr hätten viel zu viel Rechenzeit benötigt. Und das soll bei einer Maschine, die - wie die Z1 - über eine durch Handkurbel und Staubsaugermotor erzeugte Taktfrequenz von 1 Hz verfügt, schon etwas heißen.

Der Künstler und Visionär

Nicht nur an der Idee für den Computer oder an "Plankalkül" zeigt sich die visionäre Kraft Konrad Zuses. Das Zuse-Jahr soll auch auf ihn als Vordenker für die Informatik (die zu Zuses Zeit noch nicht so heißen durfte, weil eine Quelle die Namensrechte dafür besaß) und als Künstler hinweisen. Schon während seiner Schulzeit hatte er sich mit Zeichnungen und Aquarellen als Karikaturist bei seinen Mitschülern beliebt gemacht, und er hat lange Zeit überlegt, ob er nicht anstelle einer Ingenieurstätigkeit eine Karriere als Werbegrafiker verfolgen sollte. Die hunderte Gemälde, die er bis zu seinem Tod angefertigt hat, beweisen dieses Talent. Es speist sich aus seiner abstrakten, oft surrealen Vorstellungswelt und philosophischen wie literarischen Einflüsse: Dies waren Goethe, Nietzsche und besonders Oswald Spengler, so Roland Vollmar, (emeritierter) Professor für Informatik an der Universität Karlsruhe.

Prof. Dr. Roland Vollmar - Uni Karlsruhe

Seine Ideen für den rechnenden Raum (ein erweitertes Konzept zellularer Automaten) und der "Feldrechenmaschine" (heute als SIMD (Single Instruction Multiple Date) Computer bekannt) waren nicht anders als visionär zu nennen: "Zuse war seiner Zeit 50 Jahre voraus", konstatiert Vollmar und glaubt, dass gerade die Verbindung des Künstlers mit dem Computerpionier Zuse zu solchen Konzepten geführt haben könnte, in der sich technische, philosophische und biologische Überlegungen vereinigen. Zuses Idee der "technischen Keimzelle" und des sich selbst (re)produzierenden Systems (was heute unter dem Konzept digitale Fabrik firmiert) haben ihm in Vorträgen 1957 und 1968 anlässlich seiner Ehrendoktorwürde noch Unverständnis eingebracht, die seiner Selbstbezeichnung als "abgeklärter Philosoph" ziemlich entgegenstand.

2010 - Das Jahr in dem wir wieder Kontakt aufnehmen

Peter Deuflhard, Präsident des Zuse-Instituts in Berlin hat auf der diesjährigen Hannover-Messe Schüler befragt, ob sie denn wissen, was "Z3" bedeute, und die Antwort bekommen: Ein Auto von BMW. Das ist zwar nicht falsch, das wollte Deuflhard aber natürlich nicht hören. Er sieht die Antwort als Symptom dafür, dass Zuse und seine Erfindungen immer noch recht unbekannt außerhalb technisch interessierter Kreise ist. Wie einflussreich er indes auf alle möglichen Bereiche auch außerhalb der Informatik geworden ist, zeigt schon ein kleines auf der Tagung genanntes Detail: In Abwesenheit des Chefs ließen die Ingenieure der Z22 den Computer manchmal zuvor einprogrammierte Musik spielen (die Tonausgabe war ursprünglich zur akustischen Ablaufkontrolle von Programmen gedacht). Darunter befand sich auch das Lied "Hännschen klein". Es ist damit eines der ersten von einem Computer gespielten Musikstück überhaupt gewesen. Für die deutsche Synchronfassung des Films "2001" wählte Stanley Kubrick, der sich immer selbst sehr in die internationalen Übersetzungen seiner Tonspuren eingebracht hat, dieses Lied als Gesangsstück für den "HAL 9000"-Computer, als dieser seine höheren Funktionen einbüßt. (In der Originalfassung von "2001" singt HAL das Kinderlied "Daisy Bell" - weil dieses das erste von einem Computer gesungene Lied war.) Eine sehr subtile Würdigung Zuses ...

Z22 im Technikmuseum Berlin

Zuses Einfluss auf die Gegenwart, die ohne seine Geräte so anders aussehen würde, dass es sich wohl niemand vorstellen kann, soll im Zuse-Jahr 2010 in verschiedenen Veranstaltungen in ganz Deutschland gewürdigt werden. Und alle interessieren sich nun für ihn: Auf der Berliner Tagung sprach der Staatssekretär des Ministeriums für Bildung und Forschung, Thomas Rachel, in Vertretung seiner Dienstherrin Annette Schavan das Grußwort, das wohl auch angesichts der anwesenden Jugendlichen nicht selten in platte Polit-Phrasen abkippte. Der letzte Teil der Veranstaltung skizzierte - mehr oder weniger - die Bedeutung Zuses und seines Inventions- bzw. Innovationstalents (so Gunter Dueck, IBM Deutschland) für junge Startups. Und auch die Medien waren natürlich anwesend. Neben zahlreichen Fotografen und Kameramännern gehörte dazu Mathias Knauer, der Regisseur eines Zuse-Dokumentarfilms, der bereits 1990 fertiggestellt wurde und für den sich viele Jahre kein Verleiher und kein Sender interessierte. Dass er nun eine Chance bekommt, könnte ein Indikator für das wachsende Interesse an Konrad Zuse sein (ich stelle ihn hier in Kürze vor).

Bummelstudent und abgeklärter Philosoph (12 Bilder)

Prof. Dr. Horst Zuse erklärt die Z1 am Nachbau