Sind Atombomben in Deutschland illegal?

Aktivisten der Friedensbewegung klagen gegen Stationierung US-amerikanischer Nuklearsprengköpfe im rheinland-pfälzischen Büchel

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Seit Jahren schwelt in Deutschland ein Streit um die letzten hier stationierten Atomwaffen der US-Armee. Obwohl die meisten dieser Waffensysteme nach dem Ende des Kalten Krieges abgezogen wurden, lagern nach wie vor funktionsbereite Nuklearsprengköpfe auf dem Fliegerhorst im rheinland-pfälzischen Büchel. Sicherheitspolitische Experten und Organisationen der Friedensbewegung vermuten am Standort des Jagdbombergeschwaders 33 der deutschen Luftwaffe rund 20 Atombomben. Offizielle Angaben gibt es nicht. Nach dem Scheitern jahrelanger politischer Versuche, einen Abzug zu erzwingen, soll nun gegen die Stationierung geklagt werden. Gegen die Bundesrepublik Deutschland zieht eine Apothekerin vor Gericht.

Elke Koller wohnt nur rund vier Kilometer von dem Fliegerhorst entfernt. Die Apothekerin und Aktivistin der Friedensbewegung verlangt von der Bundesregierung einen aktiven Einsatz für den Abzug der Massenvernichtungswaffen. Dazu, so Koller, sei die deutsche Bundesregierung durch das Friedensgebot des Grundgesetzes verpflichtet. Tatsächlich aber stehen die unter diesem Begriff zusammengefassten friedenspolitischen Regeln den Verpflichtungen der Bundeswehr als NATO-Armee entgegen. Dieses Dilemma ist auch der Bundesregierung bewusst: Während das Außenministerium auf einen Abzug der US-Atomwaffen drängt, spricht sich das Verteidigungsministerium für deren Verbleib auf bundesdeutschem Boden aus.

Das Ressort unter Leitung des umstrittenen CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg beharrt damit auf der sogenannten nuklearen Teilhabe. Nach diesem NATO-Prinzip blieben die Codes zum Scharfmachen der Sprengköpfe zwar in Hand eines US-Betreuungsbataillons in Büchel. Deutsche Soldaten aber würden die Trägerflugzeuge beladen, die Massenvernichtungswaffen zum Ziel bringen und abwerfen. Festgelegt ist das zuletzt in den Konzeptionellen Leitlinien zur Weiterentwicklung der Bundeswehr aus dem Jahr 1994. Zugleich ist Mitgliedern der Bundeswehr nach der 3. Einsatzrichtlinie über humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten der Einsatz atomarer, biologischer und chemischer Waffen untersagt.

Atomwaffen widersprechen Friedensgebot und Gewaltverbot

In der rund 30-seitigen Klageschrift beruft sich Peter Becker, der Vertreter der Anklage, im Kern auf das Friedensgebot des Grundgesetzes. Nach diesem Grundprinzip, das durch mehrere Artikel gedeckt ist, ist die Bundesrepublik Deutschland auch an das in der UN-Charta definierte Gewaltverbot gebunden. Die entsprechende Regel findet sich im ersten Satz des Artikels 25.

Gewalt darf demnach nur in zwei klar definierten Ausnahmefällen angewandt werden: Entweder mit Einwilligung des UN-Sicherheitsrates oder im Falle der Selbstverteidigung. Becker weist in seiner Klagebegründung darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht noch im vergangenen Jahr im Urteil zum EU-Vertrag von Lissabon diese friedenspolitische Devise des Grundgesetzes hervorgehoben hat. Schon die Präambel betone "nach den Erfahrungen der verheerenden Kriege, gerade auch unter europäischen Völkern, nicht nur die sittliche Grundlage verantworteter Selbstbestimmung, sondern auch den Willen, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen".

Zudem, so Becker weiter, gelte für die Bundesrepublik das Gewaltverbot der UNO. Die Weltorganisation war einst immerhin gegründet worden, "um nachfolgende Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren". Ziel sei es daher, "international Frieden und Sicherheit zu erhalten" und "wirksame kollektive Maßnahmen zu ergreifen zur Verhütung und Beendigung von Bedrohungen des Friedens und zur Unterdrückung von Akten der Aggression".

Gerade mit Bezug auf den Atomstreit mit Iran, aber auch die laufenden Angriffskriege in Irak und Afghanistan, sind die Widersprüche nicht nur offensichtlich. Sie sind in Deutschland auch gerichtlich anerkannt. So hat das Bundesverwaltungsgericht dem Bundeswehr-Major Florian Pfaff 2005 Recht gegeben. Diese hatte sich zwei Jahre zuvor geweigert, den Irak-Krieg durch logistische Maßnahmen zu unterstützen (Befehlsverweigerung aufgrund von Gewissensentscheidung möglich).

Experte: Atombombeneinsatz legal nicht möglich

Auch Otfried Nassauer von Berliner Informationszentrum Transatlantische Sicherheit sieht in Bezug auf die Atomwaffen in Büchel keine Möglichkeit eines legalen Einsatzes. Auf dem Fliegerhorst lagern "bis zu 20 Bomben der Typen B61-3 und -4", sagte der Friedensforscher im Interview mit Telepolis. Deren Sprengkraft könne variabel eingestellt werden und liege bei bis zu 170 Kilotonnen. Die Hiroshima-Bombe besaß eine Sprengkraft von 12,5 KT. "Schon dies macht deutlich, dass ein sogenannter gehorchender Einsatz kaum möglich ist, bei dem, wie vom Völkerrecht gefordert, zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden wird."

Zum Einsatz kämen diese Waffen nach Freigabe durch den US-Präsidenten von Bord deutscher Tornados mit deutschen Besatzungen im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO, führt Nassauer aus: "Spätestens nach dem Start eines Tornados hat dessen Besatzung dann die Verfügung über die Waffen." Genau das verbiete aber der Atomwaffensperrvertrag, der während eines Krieges nicht seine Gültigkeit verliere. Die Bundesregierung verbiete Bundeswehrsoldaten seit einigen Jahren daher auch den Einsatz von Atomwaffen. Dies gehe aus der entsprechenden Taschenkarte hervor. Trotzdem lässt sie ihre Piloten dafür ausbilden. Das würde die Piloten im Ernstfall in schwer die Bredouille bringen, meint Nassauer: "Sollen sie dem NATO-Befehl befolgen oder ihn, wie es die Taschenkarte und das deutsche Soldatengesetz fordern, einfach verweigern?"

Auch nach Ansicht von Reiner Braun, Geschäftsführer der Juristenorganisation IALANA, hält sich die Bundesregierung nicht an völkerrechtliche Kriterien. "Mit dieser Klage versuchen Frau Koller und wir, das Thema auch juristisch in die Debatte einzubringen."