Profit hat Priorität

Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko: Den beteiligten Firmen werden Fahrlässigkeit und mangelndes Interesse an Sicherheitsvorkehrungen vorgeworfen

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Der Schaden, den „Deepwater Horizon“ bislang im Golf von Mexiko durch auslaufendes Öl anrichtet, ist schon jetzt immens. Die Aussichten, dass der Unfall auf der Ölplattform historischen Großkatastrophen wie etwa dem Unglück der Exxon Valdez 1989 nahekommt, sind derzeit größer als die Hoffnung, das Leck mit raffinierter Technik rasch zu verkorken. Die andere Alternative, über die derzeit gesprochen wird, eine Entlastungsbohrung, um das heraufsprudelnde Öl umzuleiten, würde Wochen brauchen. Der Umweltkatastrophe gingen, wie so oft, Beteuerungen der beteiligten Unternehmen voraus, wonach Bohrungen vor der Küste sicher seien und schärfere Sicherheitsmaßnahmen überflüssig, zu teuer, reiner Papierkram.

When oil companies say drilling is safe now and we won't allow any accidents ... we know that's not true

Abe Powell, Get Oil Out!

Jetzt hat die Ehefrau eines Mannes, der bei dem Unfall auf der „Deepwater Horizon“ ums Leben kam, eine Klage gegen BP, TransOcean und Halliburton eingereicht. Ihr Vorwurf: Fahrlässigkeit in mehreren Punkten, die Verletzung von Sicherheitsvorschriften. Wie ein Bericht der Huffington Post weiter ausführt, haben große Ölfirmen im vergangenen Jahr laute Kampagnen mit dünnen Argumenten gefahren, um schärfere Sicherheitsbestimmungen zu verhindern. Profit hat Priorität – was für andere Skandale der jüngsten Zeit galt, wird auch im Fall „Deepwater Horizon“ sichtbar. Ob das Auswirkungen auf künftige Bohrvorhaben vor den amerikanischen Küsten haben wird?

Die Untersuchungen zur Klärung des Unglücks laufen noch. Angenommen wird, dass die Explosion auf der Bohrinsel durch ein sogenanntes „Blow-Out“ verursacht wurde. Der angestiegene Druck im Bohrloch hätte demnach zu einem Entweichen eines explosiven Öl-und Gasgemisches geführt. Zwei Explosionen soll es gegeben haben, elf Arbeiter, die vermutlich ins Meer geschleudert wurden, werden vermisst; die Bohrinsel versank im Meer, täglich fließen nach Medienangaben 160 000 Liter Rohöl ins Meer. Ein großer Ölteppich von 4 700 Quadratkilometern bewegt sich stetig Richtung Küste, betroffen wären Louisiana und Florida. Nach aktuellen Aussagen von Behörden könnte die Riesenlache in drei Tagen die Küste erreichen. Die „Ölpest größeren Ausmaßes“, welche die Kommandantin der US-Küstenwache am Wochenende befürchtet hatte, scheint unausweichlich.

Akut gefährdet sind die vorgelagerten Inseln der Chandeleurs, die Pelikanen und anderen Seevögeln als Brutplatz dienen. Im betroffenen Gebiet leben außerdem zahlreiche Meerestiere wie Wale, Haie und Schildkröten. Bedroht sind auch die Austern-Bänke an der Mississippi-Mündung.

Geht es nach Nathalie Roshto, der Ehefrau eines seit dem Unglück vermissten Deckarbeiters, so tragen der Plattformeigner Transocean, die Mieterin der Bohrinsel, der Ölkonzern BP, und die für die Befestigung des Bohranlagen verantwortliche Firma Halliburton maßgeblich Verantwortung für die Katastrophe. Sie wirft den Unternehmen Schlamperei in mehreren Bereichen vor. Hauptpunkte (siehe S. 5F des PDFs) sind die mangelhafte Ausbildung der Crew, mangelnde Aufsicht, Vernachlässigung von Sicherheitsrichtlinien.

Recherchen des Huffington Post-Autors Marcus Baram vervollständigen das Bild von Unternehmen im Ölgeschäft vor der Küste, für die Sicherheit vor allen Dingen ein Kostenfaktor ist, den man lieber hintanstellen will. Nach Auskunft eines Anwalts, der im Namen von Arbeitern schon öfter gegen TransOcean geklagt hatte, sind die Unternehmen einem immensen Kostendruck ausgesetzt, so dass sie die Produktion an die erste Stelle setzen würden und Sicherheit demgegenüber vernachlässigen. Als Beispiel für den Kostendruck nennt er die Miete von einer halben Million Dollar, die BP täglich für die Bohrinsel „Deepwater Horizon“ an TransOcean bezahlen musste.

Zusätzlichen Kosten in Höhe von mehreren Millionen Dollar jährlich, die Rede ist von 8 Millionen, waren auch das Hauptargument, mit dem sich BP und TransOcean in einer, so die Huffington Post, „aggressiven Weise“ gegen die Absicht der zuständigen Bundesbehörde vorging, die Sicherheitsrichtlinien „mindestens einmal alle drei Jahre“ zu kontrollieren. Das Minerals and Management Service of the Interior Department sah sich nach diesem Vorschlag im letzten Jahr einer Kampagne ausgesetzt, die einmal mehr zeigt, wie effektiv Lobbyarbeit im Ölbusiness vor der amerikanischen Küste funktioniert und wie weit sie sich dabei von Fakten entfernen kann (siehe dazu auch Wie man das Klima auf die richtige Temperatur herunterkocht).

Berichte der Regierungsbehörde, wonach sich in den Jahren zwischen 2001 und 2007 1 443 Unfälle bei der Bohrung vor der Küste ereignet hätten - mit insgesamt 41 Toten und 302 Verletzten -, ignorierten die Unternehmen. Ebenso den Schluss, den die Behörde daraus zog, dass man „keine erkennbare Verbesserung“ der Schutzmaßnahmen in den letzten sieben Jahren konstatieren könne. Seit dem Jahr 2006 registrierte die Aufsichtsbehörde 500 Brände auf Ölplattformen im Golf.

In zahlreichen Briefen an die Behörde und mit einer massiven Öffentlichkeitskampagne (die von der Huffington Post gut dokumentiert wird), stellten die Konzerne ihre freiwillig unternommenen Sicherheitsprogramme demgegenüber als sehr erfolgreich dar und die drohenden Vorschriften als überteuert, aufwändig und schädlich. „Was haben Hurrikans und die neuen Regeln gemeinsam?“, fragt eine PowerPoint-Publikation zum Thema, die Antwort: „Beide zerstören unsere Operationen und die Genesung kostet viel Geld.“