"Hinter tausend Stäben keine Welt"

Gefängnis und hohe Geldstrafen: Frankreichs Antiburka-Gesetz zeigt Härte und verschleiert seine Beweggründe

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Diese Strafen sind ernstzunehmen: 150 Euro, falls die Frau mit einem gesichtsverhüllendem Schleier in der Öffentlichkeit angetroffen wird. Bis zu 15 000 Euro für den Mann, falls ihm nachgewiesen wird, dass er die Frau mit „Gewalt, Drohungen oder Missbrauch seiner Macht“ zum Tragen der Burka, des Niqab oder anderer solcher Schleier angestiftet hat. Darüberhinaus könnte er nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der französischen Regierung dazu verurteilt werden, bis zu einem Jahr lang die Welt nur durch Gitterstäbe sehen - ähnlich vielleicht wie seine Frau durch die Burka blickt, nur mit mehr Luft. Ob ihm dann ist wie bei Rilke: „als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt“, ist gar keine so schöngeistige Frage. Sie stellt sich - mit einigen anderen - bei der Ansicht des französischen Anti-Burka-Gesetzentwurfes, der heute in wichtigen Punkten im Figaro veröffentlicht wird.

Zunächst soll es eine Schonfrist von sechs Monaten geben, die der "Pädagogik gewidmet" ist, informiert der Figaro. Wird eine gesichtsverschleierte Frau an einem öffentlichen Ort angetroffen – das kann in einem Amt sein, aber auch in einem Geschäft, im Park oder auf der Straße – so wird die Polizei sie zunächst bitten, den Schleier für die Identitätskontrolle zu lüften. Unter Umständen muss die Frau mit aufs Revier und ein Bußgeld bezahlen. Soweit erkennbar läge dies in dem halben Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes im Ermessen der Polizisten.

Deutlich pädagogisch ist die Begleitmaßnahme gedacht: eine Pflicht-Schulung zur Staatsbürgerschaft („stage de citoyenneté“), sie kann, soweit scheint das nach Informationen des Figaro vorgesehen, von den Polizisten alternativ oder komplementär zur Geldstrafe verhängt werden.

Härte und Verschleierung

Hier wird eine eigentümliche Doppelgesichtigkeit des französischen Gesetzesvorhabens deutlich. Zum einen zeigt man sich mit dem Strafmaß und mit der Ausweitung der Gültigkeit des Gesetzes für den öffentlichen Raum entschieden und hart. Und die Härte könnte im Falle einer Verurteilung zur Gefängnishaft durchaus zu Verhärtungen bei dem Verurteilten führen, der in der französischen Welt hinter den Gitterstäben nur ein undifferenziertes Feindesland und keine Welt mehr erkennt.

Zum anderen verschleiert die Wortwahl im Zusammenhang mit dem Gesetz jede Härte, die Muslime allgemein als gegen ihre Religion gerichtet, empfinden könnten. Nicht nur, dass man das pädagogische Element herausstellt, man bemüht sich sehr zu betonen, dass es bei dem Gesetz vor allen Dingen um die Würde der Frau geht.

Man achtet sehr darauf, die muslimische Gemeinde mit dem Burka-Verbot nicht vor den Kopf zu stoßen. Jede Anspielung an die Religion würde im Gesetzestext vermieden, heißt es im Zeitungsbericht. Besucher des Premierministers von Vertretern der muslimischen Religionsgemeinschaften hätten insistiert, dass man „die Muslime nicht stigmatisiere“. Die Regierung habe sehr darauf geachtet, dass man Niqab oder Burka nicht im Namen der Laizität ablehne. Ob das reicht, um die Muslime davon zu überzeugen, dass das Verbot der Burka nichts mit ihrer Religion und mit der Freiheit der Religionsausübung zu tun hat, steht auf sehr dünnem Boden. Unter anderem, weil das Gesetz Symbolpolitik ist, die mit Ängsten paktiert, welche undifferenziert gegen Muslime gerichtet sind.

Neue öffentliche Ordnung

Zweifelhaft ist auch, ob das neue Gesetz, wenn es die beiden Kammern, wie von der Regierung beabsichtigt, Mitte September passiert hat, nicht - zumindest in wichtigen Teilen - vom Verfassungsrat kassiert wird (von Ferne grüßt hier Hadopi). Die in solchen Dingen beratende Instanz, der Staatsrat, hat bereits geäußert, dass eine allgemeine Ausdehnung des Burka-Verbots, also jenseits von Behörden, Schulen, öffentlichen Transportmitteln etc. hinaus, in ernsthafte Konflikte mit Verfassungsrechten gerät (von Ferne winkt hier der europäische Gerichtshof für Menschenrechte).

Die juristischen Planer der Regierung versuchen für diese Auseinandersetzung ein neues Terrain zu schaffen, indem sie die öffentliche Ordnung neu interpretieren. Ihr soll ein neues grundlegendes Merkmal unterlegt werden, das verfassungsrechtliches Gewicht hat: der Schutz der Grundwerte der Gesellschaft durch eine „immaterielle öffentliche Ordnung“ („l'ordre public immatériel“), die mit der Würde der Frau eng verknüpft wird. Der Ausdruck stammt vom Staatsrat. Laut Quellen des Figaro versucht man das neue Gesetz darauf zu stützen. So würde die von der Verfassung garantierte Freiheit des einzelnen mit einem allgemeinen Grundwertstandard des gemeinschaftlichen Zusammenlebens konfrontiert.

Dieser wird als „minimaler Sockel von reziproken Anforderungen und wesentlichen Garantien des Lebens in einer Gemeinschaft“ (i.O. „un socle minimal d'exigences réciproques et de garanties essentielles“) definiert. An diesen Anforderungen und Garantien bedingt sich nun die Ausübung anderer Freiheiten. Das kann so verstanden werden, dass sich jene Grundrechte, die das Individuum dazu bemächtigen, sich nach eigenem Gusto zu kleiden, am kleinsten gemeinsamen Nenner der Standardwerte gemeinschaftlichen Zusammenlebens neu auszurichten haben. Wie die Burka in dieser Balance einzuordnen ist, werden vermutlich erst Auslegungen von Verfassungsrichtern klären.

Populistischer Grundstock

Dass Anti-Burka-Gesetze vor allem populistischen Motiven zu verdanken sind, zeigt sich in Belgien, wo das Parlament soeben ein Verbot der Vollverschleierung muslimischer Frauen beschlossen hat. „Das Verbot gilt für den öffentlichen Raum, also Straßen und Parks ebenso wie Geschäfte oder Restaurants. Frauen, die sich dennoch voll verschleiern, drohen Geldstrafen und/oder bis zu sieben Tage Haft“, schreibt die SZ und fügt hinzu, dass Schätzungen zufolge nur „ein paar Dutzend Frauen in Belgien“ die Burka tragen. Will man die Staatsfinanzen durch Besucherinnen aus Saudi-Arabien aufbessern? Das wäre noch die am besten nachvollziehbare Idee eines solchen Gesetzes.