Lobbyist findet Kinderpornografie angeblich "großartig"

Piraten-MEP Christian Engström warnt vor dem Zynismus der Rechteinhaberindustrie

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Christian Engström ist einer der beiden Abgeordneten der schwedischen Piratenpartei im EU-Parlament. Letzte Woche veröffentlichte er eine Warnung vor dem Zynismus der Rechteinhabernidustrie, der zufolge Kinderpornografie ganz bewusst zum Aufbau einer Zensurinfrastruktur eingesetzt wird. Über das der Warnung zugrunde liegende Erlebnis hatte Engström vor drei Jahren schon einmal geschrieben - weil er zu jener Zeit noch nicht im Europaparlament saß, war die Enthüllung allerdings auf ein relativ geringes Medieninteresse gestoßen.

Damals hatte die US-Handelskammer in Stockholm ein Seminar unter dem Titel "Sweden - A Safe Haven for Pirates?" veranstaltet, zu dem sich auch Engström, der Piratepartiet-Gründer Rick Falkvinge und der Bürgerrechtler Oscar Swartz Zugang verschafften, wodurch sie den Vortrag eines von Engström namentlich genannten Vertreters einer dänischen Rechteinhaber-Lobbyorganisation hören konnten, der unter anderem Folgendes von sich gegeben haben soll:

Kinderpornografie ist großartig. Sie ist großartig, weil Politiker Kinderpornografie verstehen. Indem wir diese Karte ausspielen, können wir sie zum Handeln und zum Blockieren von Websites bringen. Und wenn sie das erst einmal gemacht haben, dann können wir sie dazu bringen, Filesharing-Sites zu blockieren.

Zuerst, so die Taktik der Lobbyorganisation in Engströms Schilderung, müsse man sich Politiker ohne zu viel Ahnung suchen, die sich als tatkräftig profilieren wollten und sich nicht darum kümmerten, dass die propagierten Sperren sich in wenigen Sekunden ohne Fachkenntnisse umgehen ließen. Denn in diesem Stadium des Plans geht es nur darum, in der Politik und der Öffentlichkeit durchzusetzen, dass sie eine Zensurinfrastruktur in Form von Filtern akzeptiert. Erst dann folgt der nächste Schritt: Die Nutzung dieser Infrastruktur für andere Inhalte, die der Rechteinhaberindustrie nicht ins Geschäftsmodell passen.

Christian Engström

Bei Schritt 3 fällt der Medienindustrie schließlich öffentlich auf, was sie eigentlich schon vorher wusste: dass die Filter sehr leicht zu umgehen sind, weshalb sie nun für eine umfassendere und härtere Überwachung wirbt. Die könnte beispielsweise in einer Deep Packet Inspection (DPI) bestehen, einer Inhaltsüberprüfung, wie man sie derzeit in Großbritannien testet, das neben Dänemark und Italien eines der EU-Länder ist, in dem bereits eine Zensurinfrastruktur aufgebaut wird.

In Dänemark wird in diesem Rahmen unter anderem die Filesharing-Site The Pirate Bay (TPB) blockiert. Auch in Schweden plante die Polizei laut Engström 2007, den Webauftritt klammheimlich in eine Sperrliste mit angeblich kinderpornografischen Inhalten zu packen. Dabei machte sie sich nicht einmal die Mühe, vor der Aufnahme jemanden von The Pirate Bay mit dem Vorhaben zu konfrontieren. Allerdings wäre das auch insofern wenig zielführend gewesen, als sich herausstellte, dass die Behörden keinen einzigen Fall von via TPB zugänglich gemachter Kinderpornografie nennen konnten. Möglicherweise, so mutmaßt Engström, wollte man neben der bloßen Unzugänglichmachung der Seite auch einen "Schuld-Assoziations-Link" zwischen Kinderpornografie und Filesharing herstellen - was aber nicht klappte, weil die Liste vorher an die Öffentlichkeit drang und das Vorhaben darauf hin aufgegeben wurde.

Nun, so der Europaabgeordnete, versucht es die Medienindustrie über den absehbaren Umweg EU, wo die schwedische Innenkommissarin Cecilia Malmström im März Pläne für den Aufbau einer europaweiten Zensurinfrastruktur mit dem Argument des Sperrens von Kinderpornografie rechtfertigte und auf Fragen nach dem Einsatz für andere Bereiche (wie etwa die Bekämpfung von Glücksspiel) nur mit Ausführungen dazu reagierte, wie schrecklich Kinderpornografie doch sei.

Allerdings gibt es Widerstand gegen Malmströms Pläne: Neben der deutschen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die bereits ankündigte, auch auf EU-Ebene den Kurs einer verstärkten internationalen Löschzusammenarbeit zu propagieren, äußerten sich auch Innenpolitiker aus Spanien, Litauen und den Niederlanden skeptisch zu Sinn und Folgen der von Malmström geplanten Netzsperren. Auch bei den Abgeordneten im Europaparlament, die nicht der Piratenpartei angehören, ist der Plan keineswegs unumstritten: Selbst in Malmströms eigener Partei, der Folkpartiet liberalerna, gibt es Stimmen wie die von Cecilia Wikström, die kritisieren, dass man mit solchen Sperren den Kindsmissbrauch nur versteckt, aber nicht bekämpft.

Offenbar aufgrund solcher Gegenstimmen stellt die EU jetzt 300.000 Euro an Steuergeldern für Propagandaarbeit bereit. Die Beeinflussung erfolgt jedoch nicht offen, sondern verdeckt - nämlich über den scheinbaren Dachverband European NGO Alliance for Child Safety Online (eNACSO), der in seinem Manifest explizit möglichst lange Sperrlisten fordert und mit dem Geld einzelne Europaabgeordnete dazu bewegen soll, für den Aufbau einer Zensurinfrastruktur zu stimmen, weil dies ja für einen guten Zweck geschehe. Kein Geld aus diesem Mitteltopf erhält dagegen der deutsche Verein MOGiS (MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren), der Prävention und Löschen statt Stoppschilder fordert.