Kein Geld? Dann auch keine Rechte!

Die Spitzen der Koalition wollen Defizitstaaten demokratische Rechte aberkennen

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Nachdem die Bundesregierung lange Zeit bei den Finanzhilfen für Griechenland gezögert und damit die Spekulation auf eine Staatspleite befördert und die Kosten für das Hilfspaket erhöht hat, wird nun auf Hilfen im Eilverfahren umgestellt. 22 Milliarden Euro soll die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bereitstellen. Der Bund übernimmt die Bürgschaft für den Kredit, er muss einspringen, sollte Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen. Doch auf das Bild des harten Deutschen, die keine Zugeständnisse machen wollen, welches die "Eiserne Lady Merkel" geprägt hat, möchte man in Berlin nicht verzichten - vermutlich auch aus wahltaktischen Überlegungen.

Gestern Vormittag traten die Spitzen der Koalition vor die Kameras und verkündeten, dass finanzielle Unterstützung ohne harte Sanktionen nicht denkbar sei. Die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger möchte mit strengen Strafen klarstellen, dass die Europäische Union eine "Verpflichtungsgemeinschaft" ist.

Besonderen Wert legen sie und ihre Kollegen Volker Kauder (CDU) und Hans-Peter Friedrich (CSU) darauf, strauchelnden Staaten Leistungen aus den EU-Töpfen zu entziehen. Zudem sollen nach dem Willen der Koalitionsfraktionen diesen Staaten die Stimmrechte in der europäischen Staatengemeinschaft entzogen werden. Wer nichts mehr hat, der hat auch nichts mehr zu melden. Damit würde eine Art Zensuswahlrecht in der EU Einzug halten, welches kaum dem hohen Anspruch einer westlichen Demokratie würdig wäre.

Bisher ist die Aussetzung der Stimmrechte in der EU nur möglich, wenn der Europäische Rat einstimmig feststellt, dass ein Mitgliedsstaat schwerwiegend und anhaltend gegen die Grundwerte der Union, also beispielsweise Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Menschenwürde verstößt. Ein Verstoß gegen Menschenrechte würde damit einem Verstoß gegen die Währungsstabilität gleichgestellt. Ein Dialog auf Augenhöhe mit wirtschaftlich Schwächeren steht für die Bundesregierung offenbar nicht auf der Agenda. Die Europäische Union dürfe nicht zur Transferunion werden, begründete Friedrich die Forderungen für die CSU. Auch Bundeskanzlerin Merkel hat sich bereits für einen Entzug der Stimmrechte für angeschlagene Staaten ausgesprochen.

Homburger betonte, dass die Regierung genau zum richtigen Zeitpunkt gehandelt habe, alles andere sei ein Märchen. Hilfe für Euro-Länder käme nur dann in Frage, wenn die Euro-Zone insgesamt gefährdet sei und ein Sparplan vorliege, wiederholte die FDP-Fraktionsvorsitzende Vorwürfe an die Hellenen, sie hätten ohne den Druck aus Deutschland kein Sparprogramm auf den Weg gebracht. Auch Kauder betonte, dass die Regierung dafür sorgen würde, dass die Kredite für Griechenland nicht ausfallen würden und forderte zugleich ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten zu ermöglichen.

Doch das Sparpaket, das den Griechen nun verordnet wird, um das Kreditausfallrisiko zu senken, könnte zu einem Bumerang werden. "Das Land (Griechenland, Anm. d. Red.) ist in einer Rezession, und sie sollen das schärfste Programm in Richtung Kürzung der Einkommen machen, das schärfste Programm was jemals in der modernen Wirtschaftsgeschichte da war. Wir alle wissen, man muss in dieser Situation das Gegenteil tun", griff der Volkswirtschaftsprofessor Dr. Joachim Starbatty die derzeitigen Lösungsversuche scharf an. Es ist durchaus möglich, dass das auferlegte Sparprogramm die schwache griechische Wirtschaft weiter schwächen und eine Rückzahlung der Schulden somit unmöglich machen würde. "Bisher sind die Hilfen an Griechenland keine Hilfen für die Griechen, sondern Hilfen für die Banken, die das Geld sofort wieder abholen", so Starbatty. Seiner Meinung nach müssten die Gläubiger des hellenischen Staates auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Nur über eine Umschuldung könne Griechenland wieder Fuß fassen.

Hubertus Heil (SPD) forderte gestern auf einer Veranstaltung der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung zur Reform des Wirtschaftssystems, auch die Ungleichgewichte im Export zu diskutieren. Zwar brauche Deutschland auch weiterhin einen starken Exportsektor, jedoch wies Heil darauf hin, dass Exportüberschüsse auf der einen Seite auch immer Exportdefizite auf der anderen Seite zur Folge haben. Der SPD-Generalsekretär mahnte, deshalb jedoch nicht auf eigene Exporterfolge zu verzichten. Vielmehr müssten die bisher exportschwachen Euro-Länder stärker werden. Auf diese Art und Weise erhofft sich Heil, die großen Differenzen zwischen den Exportbilanzen der einzelnen Länder abbauen zu können.

Hubertus Heil. Bild: S. Duwe

In der Tagespolitik sind solche Gedanken allerdings nicht aus der SPD zu vernehmen. Zwar haben die Sozialdemokraten auch Vorbehalte gegen die Griechenlandhilfen in ihrer bisherigen Form, jedoch bezieht sich die Partei damit derzeit vor allem auf Forderungen nach einer europäischen Finanztransaktionssteuer sowie der Gründung einer europäischen Ratingagentur. Letzteres fordern auch die Regierungsparteien.

Bezüglich des Sparprogramms der Griechen erklärte Axel Schäfer für die SPD: "Auch die SPD-Bundestagsfraktion fordert von der griechischen Regierung die Einhaltung einer strikten Haushaltskonsolidierung." Damit scheint die SPD die Chance zu verpassen, jenseits des beliebten Griechen-Bashings auf allen Kanälen auf die Probleme des wirtschaftlichen Ungleichgewichts innerhalb der EU hinzuweisen, welches durch die einheitliche Währung auch nicht mehr durch Abwertung von Währungen aufgefangen werden kann. Ein Austritt finanzschwacher Staaten, egal ob freiwillig oder nicht, kann jedoch auch nicht die Lösung sein: die Folge wäre ein Run auf die Banken sowie eine explosionsartige Vermehrung der Schulden, die ja noch in Euro beglichen werden müssen - ein Staatsbankrott wäre damit unausweichlich. Davon ist auch Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft überzeugt. Ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion würde eine weitere Krise auslösen und wäre "ökonomischer Selbstmord", so Matthes gegenüber Phoenix.