Sperrlisten "so umfangreich wie möglich"

Der Opferschutzverein MOGiS kritisiert die Forderungen der von der EU-Kommission finanzierten Lobbygruppe eNASCO

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Am Donnerstag findet in Brüssel eine Konferenz statt. Titel: "Protecting Children Online". Mit ihr will die Organisation eNASCO ihre Kampagne 'The Right Click" lancieren, die "Regierungen, Industrie und andere relevante Akteure" dazu aufruft, eine "sicherere und fairere Online-Umgebung für Kinder" zu schaffen.

Bis auf die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel sind alle Redner auf dieser Veranstaltung bekannte und entschiedene Befürworter von Internetsperren. Neben EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström (die auf Journalistenfragen, ob solche Internetsperren denn auch auf andere Bereiche wie etwa Glücksspiel ausgeweitet werden, nur mit Verweisen darauf antwortet, wie schrecklich Kinderpornografie sei) spricht beispielsweise auch die Italienerin Roberta Angelilli, deren Versuch des Aufbaus einer Zensurinfrastruktur schon einmal am Europäischen Parlament scheiterte. Allerdings war ihre damalige Partei, die 2008 in Silvio Berlusconis Popolo della Libertà aufgegangene Alleanza Nazionale, bei einer Splitterfraktion, während die Nachfolgeorganisation in der großen, konservativen EVP und Angelilli selbst mittlerweile Parlaments-Vizepräsidentin ist.

Online-Werbeplakat von Roberta Angelilli

Die sehr deutliche Schlagseite der Konferenz wird dann weniger verwunderlich, wenn man berücksichtigt, dass eNASCO eine von der Europäischen Kommission finanzierte Lobbyvereinigung ist, die sich als Dachverband von 16 Kinderschutzorganisationen aus ebenso vielen europäischen Ländern gibt - darunter die in Frankreich und Belgien aktive Action Innocence, die deutsche Gruppe Innocence in Danger, die polnische Fundacja Dzieci Niczyje und die irische ISPCC. Inhaltlich ist eNASCO allerdings weit weniger repräsentativ als geografisch: Vertreten sind nämlich ausschließlich solche Gruppen, die sich explizit für möglichst umfassende Netzsperren aussprechen. In Punkt 12 ihres Manifests fordert eNASCO sogar "die Herstellung einer einheitlichen Liste aller bekannten Kindsmissbrauchs-Adressen oder eine Liste, die so umfangreich wie möglich ist" und die neben den "relevanten Internet-Dienstleistern" auch Filteranbietern und anderen Firmen mit einem "materiellen Interesse" verfügbar gemacht werden soll.

Christian Bahls vom deutschen Opferschutzverein MOGiS kann sich über die Forderung nach einer möglichst langen Liste nur wundern und fordert stattdessen, dass sie "so kurz wie möglich" sein müsse. "Missbrauchsdarstellungen", so der Vereinsvorstand zu Telepolis "gehören gelöscht und nicht in Form von gelben Seiten zusammengefasst und an jeden verteilt, der ein 'materielles Interesse' daran nachweisen kann!" Seine Befürchtungen in dieser Hinsicht gründen sich unter anderem darauf, dass im März herauskam, dass die britische Internet Watch Foundation ihre Sperrliste an Symantec weitergab.

"Entsetzt" zeigt sich der Rostocker auch darüber, dass die EU-Richtlinie die Altersgrenze für Kinderpornografie nicht bei 14, sondern bei 18 Jahren ansetzt, wodurch seiner Ansicht nach "die Dokumentation des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Bild und Ton auf dieselbe Stufe gestellt wird wie die Darstellung erwachsener Darsteller mit kindlichem Erscheinungsbild":

Ich habe ehrlich gesagt die Befürchtung, dass, mit dieser Art radikalen Haltung und der damit verbundenen Vermischung von thematisch so unterschiedlichen Begriffen, der gesellschaftliche Konsens zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung ernsthaft beschädigt wird. [...] Gerade solche Diskussion wurden und werden dann teilweise gezielt zur Meinungsmache durch pädophile Aktivisten benutzt um ihre Sichtweise zu verbreiten. Sie bekommen dort den Boden der allgemeinen Entrüstung über einen übergriffigen Jugendschutz, auf dem ihre pädophile Propaganda als Saat dann aufgeht.

Wie problematisch solche Regelungen auch in rechtsstaatlicher Hinsicht sind, das zeigte in den letzten Tagen ein Fall aus Puerto Rico: Dort verbrachte ein durchreisender New Yorker wegen des angeblichen Besitzes von Kinderpornografie zwei Monate unschuldig in Untersuchungshaft, weil ein Zollbeamter und ein vom Gericht als Sachverständiger herangezogener Mediziner der Meinung waren, eine Darstellerin in einem von dem Mann in Venezuela gekauften Pornofilm sei unter 18 Jahre alt. Schließlich gelang es dem Beschuldigten via MySpace die Frau zu kontaktieren, die darauf hin (möglicherweise nicht zuletzt aufgrund der kostenlosen Medienaufmerksamkeit) nach Puerto Rico flog und dem Gericht ihre Volljährigkeit nachwies. Hätte sie das nicht getan, dann hätte der Richter eine Haftstrafe von bis zu 20 Jahren verhängen können.

Inwieweit solche Argumente die geplante Netzsperren-Richtlinie verhindern können, ist freilich fraglich: Denn während eNASCO von der EU-Kommission gerade 300.000 Euro bekommen hat, mit denen die Organisation Stimmung für die Direktive macht, gehen Kinderschutzgruppen, die diesen Weg als wenig zielführend kritisieren, leer aus. MOGiS etwa erhält nicht einmal die Anreisekosten zur Brüsseler Konferenz erstattet, die nun über einen Spendenaufruf hereinkommen sollen. Dafür fließen die öffentlichen Gelder anderswo: Am Mittwochabend sind die Konferenzteilnehmer beispielsweise zu einem Sektempfang im Europaparlament geladen, wo sie Abgeordnete im persönlichen Gespräch in lockerer Atmosphäre davon überzeugen können, Malmströms Richtlinienentwurf unverändert anzunehmen.

EU-Innenkommisarin Cecilia Malmström (rechts). Foto: UK in Sweden. Lizenz: CC-BY-ND.