Honigtöpfe als Statistikfälscher

Schon seit Beginn der Debatte um die Sperrung von Seiten mit (vermeintlich) kinderpornografischem Inhalt beklagen die deutschen Strafverfolger die schlechte Zusammenarbeit mit den amerikanischen Kollegen - doch die Praxis spricht eine andere Sprache

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Wer Schwarze Bretter (egal ob on- oder offline) betreut, der kennt die "Spaßvögel", die stets mit den Nachrichten und Zetteln aufwarten, die sowieso wieder entfernt werden müssen. Administratoren der offenen Messageboards im Internet haben regelmäßig damit zu tun, neben Spam auch Bilder zu entfernen, die nicht erwünscht sind. Darunter befinden sich auch öfter einmal kinderpornografische Bilder, die dann schnell wieder verschwinden. Solcherlei Bilder boten im Jahr 2007 den Grund für einen der "Großeinsätze gegen Kinderpornografie", die in den Medien breitgetreten und mit nichtssagenden Zahlen garniert werden. Diese Zahlen täuschen oft über die tatsächlichen Funde hinweg, da sie z. B. zwar angeben, wie viele DVDs, CDs oder Ähnliches beschlagnahmt wurden, jedoch die Anzahl der Daten, die tatsächlich mit Kinderpornografie zu tun hatten, nicht einmal erwähnen (was auch nicht möglich ist, da die Auswertung oft Jahre dauert).

Im vorliegenden Fall war es das "Ranchi Messageboard", das dem FBI auffiel (genauer: ein Verdächtiger hatte Informationen darüber geliefert, dass Benutzer des Ranchi Messageboards Bilder und Videos von Hardcore-Kinderpornografie einstellten, unter anderem sollen sexuelle Handlungen von Erwachsenen mit manchmal nur sechs Monate alten Kindern gezeigt worden seien), welches dann tätig wurde. Dieses Tätigwerden bestand darin, dass das FBI zunächst einmal Dateien, die "Hardcore-Kinderpornografie" enthielten, vom Ranchi Messageboard herunterlud. Dies geschah in den Monaten Juli bis Oktober 2006. Ebenfalls im Oktober 2006 stellte das FBI dann einen Honigtopf auf - auch "Bait File" genannt. Dies bedeutet, dass ein verdeckter Ermittler selbst eine Nachricht auf dem Messageboard verfasste und den Anschein erweckte, in dem von ihm mitgeteilten Hyperlink befände sich kinderpornografisches Material. Tatsächlich führte der Link zu einem Behördenserver, die Zugriffe auf diesen wurden protokolliert und das FBI begann nachfolgend, sich mit den Strafverfolgern in den betreffenden Ländern abzustimmen, um gegen die Kinderporno-Kunden aktiv zu werden.

Mit Bitte um Hausdurchsuchung

Im Schreiben, das vom "Office of Legal Attache" der amerikanischen Botschaft in Wien an die entsprechenden Behörden in Wien gesandt wurde (LG für Strafsachen Wien) heißt es:

Legat Wien wird später Kopien der restlichen Beweisstücke [...] vorlegen, die von San Francisco geschickt werden. Wir hoffen, dass diese Informationen und die Ergebnisse Ihrer Ermittlungen hinsichtlich der IP-Adressen in Österreich es dem Bundeskriminalamt ermöglichen werden, Durchsuchungsbefehle für Hausdurchsuchungen bei den identifizierten ausländischen Personen für den 28.02.2007 (geplantes Datum für die Aushebung der Gruppe der Verdächtigen) zu erhalten.

Eine der IP-Adressen in Österreich führte zu einem Tor-Server, was die österreichischen Behörden hätten vorab herausfinden können, da es eine Liste der offiziellen Tor-Server gab. Die Einschaltung/Nutzung von Tor-Servern war insofern interessant und wichtig, als dass im Schreiben an das Legat Wien noch einmal hervorgehoben wurde, dass die Undercoveraktion des FBI auch deshalb notwendig wurde, weil beim "Ranchi Messageboard" auch etliche Kommentare sich auf die Sicherheit/Pseudonymität/Anonymität der Nutzer bezogen. Unter anderem wurde angeraten, einen ausländischen anynomen Proxyserver beim Zugriff auf das Messageboard zu nutzen.

Viele der auf der Ranchi Website und auf der außerhalb der USA gelegenen Website gegebenen "Sicherheitstipps" machten viele der traditionellen Ermittlungstechniken hinsichtlich Schwarze Bretter für kinderpornografisches Material unwirksam.

Bitte den Zeitplan einhalten

Um zu vermeiden, dass die ermittelten "Kinderpornokunden" gewarnt werden, wurde in dem Schreiben sehr deutlich darauf hingewiesen, dass keinerlei Aktionen vor dem im Schreiben angegebenem Datum, dem 28.02.2007 stattfinden dürften.

Es darf absolut keine Polizeiaktion, d.h. keine Hausdurchsuchungen, Nachschauen, Gespräche oder Einvernahmen anderer Verdächtiger, vor dem 28.02.2007 stattfinden, da dies andere Verdächtige warnen könnte.

Diese perfekte Abstimmung zwischen FBI und europäischen Strafverfolgern lässt insbesondere die Aussagen des BKA Deutschland zum Thema Zusammenarbeit beim Thema Kinderpornografie in einem anderen Licht erscheinen. Das BKA hat vermehrt deutlich gemacht, dass z.B. Websperren deshalb notwendig seien, da die Strafverfolgung in den USA nur sehr langsam auf Hinweise bzw. Amtshilfeersuchen reagiert. Eine Kritik, die auch von dem derzeitigen Bundesinnenminister vertreten wird. Erst im April 2010 wurde daher angekündigt, dass BKA und FBI besser im Kampf gegen Kinderpornografie kooperieren sollten. Nun stellt sich angesichts der koordinierten Aktionen wie jener im Jahr 2007 die Frage, worin tatsächlich die Probleme liegen.

Das erste Schreiben des FBI im Fall des Ranchi Messageboards ist datiert auf den 29.11.2006, das nachfolgende Schreiben auf den 16. Januar 2007, die Hausdurchsuchungen fanden am 28.02.2007 statt. (Kleine Anmerkung am Rande: Einer der Verdächtigen wurde von den Strafverfolgern darüber informiert, dass sie ihn aufsuchen würden. Die Hausdurchsuchung fand dann ca. 1 Stunde später statt - eine Zeit, in der der Verdächtige seine Daten leicht löschen hätte können.) Es war hier somit möglich, innerhalb von einem Vierteljahr eine konzertierte Aktion gegen "Kinderpornokunden" zu planen und durchzuführen. Dass dies bei den deutschen Strafverfolgern nicht möglich wäre, ist kaum anzunehmen. Umso seltsamer mutet es an, dass eine solche Zusammenarbeit nicht auch in umgekehrter Reihenfolge, also ausgehend von den europäischen Strafverfolgern, nur schwerlich umzusetzen ist.

Sollte das FBI also bei der Bitte um Löschung inkriminierter Seiten tatsächlich nur langsam agieren, so ist anzunehmen, dass es sich bei den Seiten entweder um jene handelt, die zwar der europäischen Definition von Kinderpornografie, nicht aber der US-amerikanischen, entsprechen - oder dass das FBI die Seiten aufrecht hält, um sie als Honigtopf fungieren zu lassen. Dies dürfte den europäischen Strafverfolgern jedoch mitgeteilt werden.

Davon ausgehend, dass das FBI wie im vorliegenden Fall, seinerseits auch Links zu vermeintlicher Kinderpornografie ins Internet stellt, stellt sich auch die Frage, ob es sich bei einigen der inkriminierten Seiten nicht bereits jetzt schon um Honigtöpfe handelt, was letztendlich einmal öfter zeigt, welche Schwierigkeiten mit verdeckten Ermittlungen, die auch ungesetzliche Handlungen einschließen, mit sich bringen. Wenn das FBI nämlich einige der Seiten betreibt/online lässt, die in die geplanten Sperrlisten mit einfließen, dann wird auf diese Weise nicht nur die Statistik gefälscht, es werden auch Fakten geschaffen, die dann als Begründung für die Websperren herhalten müssen. So schafft die Strafverfolgung die Gründe für ein stärkeres Eingreifen - das Vertrauen in die Strafverfolgung aber sinkt weiter. Das FBI kennt durch seine Möglichkeiten der Straftatenvortäuschung dieses Problem bereits seit langem - und das BKA hat sich auf den gleichen Weg begeben. Beim Thema Websperren/Kinderpornographie geriert sich das BKA nun selbst als hilfloses Opfer, dem keinerlei Handhabe möglich ist. Dass dies nicht nur kontraproduktiv, sondern schlichtweg falsch ist, hilft nicht wirklich dabei, das Vertrauen in eine Behörde zu stärken, die sich zunehmend wie ein zweiter Geheimdienst gebärdet.