Vermaschte Netze

Mesh Potato: Ein Router mit analogem Telefonanschluss soll Entwicklungsländern günstig Telefonie und Internet bringen

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Berlin-Friedrichshain, kurz hinter der Modersohn-Brücke. Von den Dächern der Wagenburg leuchten Solarpanels in der Sonne, ein kleiner Weg führt hinunter zu bunten Lastern und Hängern. In der Mitte, im Wagen mit der spitzesten Antenne, wohnt Corinna Aichele, in der Freifunk- und Hacker-Community Berlins als 'Elektra' bekannt. Sie ist eine der Pionierinnen der drahtlosen Mesh-Technologie und arbeitet derzeit an einem neuen Gerät: Die 'Mesh Potato' ist ein Router mit analogem Telefonanschluss. Das Gerät soll Gegenden mit schlechter Infrastruktur günstig und einfach mit Telefonie und Internet versorgen.

„Ich telefoniere schon jetzt per Mesh Potato“, sagt Elektra. Sie begrüßt mich lachend vor ihrem Wagen, wirft die langen grauen Haare hinter die Schultern und bietet mir statt Wasser einen Ständer für mein Aufnahmegerät an – schließlich podcasted sie selbst. Der rote, aufgebockte Hänger ist mit alten Flugzeug- und Kinosesseln möbliert. Grüne Zahlen laufen über den schwarzen Bildschirm eines kleinen Netbooks, das einzige Regal ist vollgepackt mit Büchern, Technik-Utensilien und Kabeln.

Ein kleiner grauer Blechkasten mit schwarzer Antenne

Die Mesh Potato hängt zwischen den Vorhängen am Fenster, ein kleiner grauer Blechkasten mit schwarzer Antenne. Von der Beta-Version des Geräts gibt es weltweit erst 165 Stück. Fünf davon hat Elektra kürzlich aus China in Empfang genommen. „Probier' es aus!“, sagt Elektra und hält mir den Hörer des blauen Telefons hin, 1990er-Style mit Ringel-Kabel. Ein paar Freizeichen später höre ich die Stimme meiner Mutter: „Wir sind zur Zeit nicht zuhause. Aber Sie können uns eine Nachricht hinterlassen“. Die Tonqualität ist klar und deutlich, die Lautstärke super, keine Verzerrungen, kein Unterschied zum Festnetz.

Ich hinterlasse eine Nachricht und Elektra erklärt mir, wie sie ans Ziel gelangt ist: Über den analogen Telefoneingang ist das Telefon direkt in die Mesh Potato eingestöpselt. Die hat meine Stimme ins kabellose Berliner Freifunknetz gefunkt, einige Straßen weiter ist sie über einen Zugangspunkt ins „richtige“ Internet gelangt. Ein Voice-over-IP-Anbieter hat den Anruf dann ans Festnetztelefon meiner Eltern im Rheinland weitergeleitet, mit kleinem verschlüsselungsbedingtem Abstecher über Frankreich. Für meine Eltern sieht es aus, als riefe ich aus Berlin an: Elektra telefoniert über den VoIP-Anbieter mit 030er-Nummer.

Elektra Foto: Anja Krieger

Internet aus der Dose

Die Mesh Potato funktioniert über die Technologie „vermaschter“ Netze. Die ermöglicht es, lokale Funknetzwerke aufzubauen und Internet günstig zu verteilen, wenn es sonst an Infrastruktur fehlt. Seit gut zehn Jahren arbeiten Entwickler wie Elektra an der Technologie. Berlin ist eine Art Mesh-Zentrum. Hier basteln seit der Jahrtausendwende verschiedene Initiativen am Mesh, die später unter dem Begriff „Freifunk“ zusammenfanden. Heute werden vermaschte Netze weltweit eingesetzt, von Südafrika über Bangladesch oder Afghanistan bis nach Texas. Auch die Großen sind im Boot: Firmen wie Google und Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer Institut erforschen Mesh.

Alles habe angefangen, als sie ihre Wagenburg mit Internet versorgen wollte, erzählt Elektra, die schon als Jugendliche fasziniert Bücher über Funktechnologie verschlang. Nachdem sie wie andere Wagenburg-Bewohner lange bei Nachbarn ins Internet gegangen war, baute Elektra mit anderen Friedrichshainern einen Internetladen auf, der den DSL-Anschluss eines Hauses in der Nachbarschaft nutzte. Um das Signal von dort in den Laden zu lenken, bastelte man Antennen und schloss sie an ausrangierte PCs auf dem Dachboden an. Beliebt wurde bald das "Internet aus der Dose": Selbstgebastelte "Cantennas" aus leeren Blechdosen.

"Flashen" und Freifunk

Dann folgten die Router. Als die Firma Linksys auf Druck der Open-Source-Gemeinde den Linux-basierten Code eines ihrer Router offen legte, kam Schwung in die Sache. Das Linksys-Gerät wurde zum Liebling der Funkbastler: Zuverlässig, geräuschlos und stromsparend, ließ es sich mit ein paar Trick so programmieren, dass es Signale an andere Router weiterleiten konnten. Die Freifunker nennen diese Umprogrammierung des Routers "Flashen", danach können die Router "miteinander sprechen". So lässt sich durch viele Router ein dezentrales, lokales Funk-Netz aufbauen, das Router für Router, Masche für Masche wächst. Spezielle Protokolle sorgen dabei dafür, dass die Signale auf schnellstem und stabilstem Weg von A nach B kommen. Auch Elektra hat ein solches Mesh-Protokoll entwickelt:B.A.T.M.A.N. "Das funktioniert ähnlich wie ein Routenplaner", erklärt sie.

Über Mesh-Netze lässt sich ein Internetanschluss verteilen und so auch Voice-over-IP nutzen. Das macht sich die Mesh Potato zunutze. In Gegenden ohne Telefonanschluss kann sie direkt am Haus angebracht werden und mit anderen Geräten in der Umgebung eine Infrastruktur für Telefonie und Internet bilden. Das stabile Gerät ist speziell für die Gegebenheiten in Entwicklungsländern konstruiert, wo Internetanschlüsse teuer und Telefonkabel rar sind.

Ganz alleine hat Elektra sich das alles natürlich nicht ausgedacht. Die Mesh Potato entsteht im Rahmen der Initiative Village Telco. An dieser internationalen Kooperation sind unter anderem das Meraka-Institut aus Südafrika, die chinesische Firma Atcom und die Shuttleworth Foundation des Ubuntu-Gründers Mark Shuttleworth beteiligt.

Neben Elektra als Mesh-Spezialistin gehört der Australier David Rowe vom Free Telephony Project zum Kernteam. Ein günstiges und einfach nutzbares, drahtloses Selbstbauset für lokale Telefonnetze zu entwickeln, das ist Ziel von Village Telco. „Analoge Telefone bekommt man überall“, sagt Elektra. Deshalb habe man einfach einen Router zum Telefonanschluss umgerüstet.

Verkaufspreis soll auf etwa 60 Dollar gesenkt werden

Elektra zeigt mir den Prototyp - ein handelsüblicher Router mit durchsichtigem Deckel, der offensichtlich aufgeschweißt wurde. Im Inneren befindet sich eine kleine blaue Karte, die es ermöglicht, ein analoges Telefon über einen ATA-Anschluss direkt anzuschließen. "Mesh Potato", das kommt von "Mesh", "Plain old telephone" und "ATA" (Analogue Telephone Adapter) = Mesh PATA(ta).

Jetzt muss die Potato nur noch ein paar Tests durchlaufen, bis sie in Massenproduktion gehen kann. "Please don't try this at home" schreibt Elektra zum Hochspannungs-Test im Village Telco Blog. Im dazugehörigen Video setzt sie die Mesh Potato unter 230 Volt Wechselspannung, bis es ordentlich raucht, die Feuerlöscher in greifbarer Nähe. Auch eine wasserdichte Hülle soll das Gerät noch bekommen, weiß und mit Mesh Potato-Logo. Zudem soll der Verkaufspreis, der bei der Beta-Produktion bei 95 US-Dollar lag, auf etwa 60 Dollar gesenkt werden. Wenn alles klappt, kann das Gerät schon diesen Sommer in Serienproduktion gehen. Elektra hat ihre Vision für danach schon mal per Photoshop skizziert: Über jeder Wellblechhütte hängt eine kleine weiße Mesh Potato.

Überzeugt von der Mesh Potato fahre ich nach Hause. Ein paar Tage später melden sich meine Eltern per E-Mail. Vielen Dank für den Anruf, schreiben sie. Nur leider hätten sie mich gar nicht verstehen können: "Du klangst so weit weg." Ob's an der Potato lag? Elektra hat eine andere Theorie: "Wir haben über die Freisprecheinrichtung telefoniert. Der Apparat benutzt dann das Mikrophon im Hörer, und wenn man nicht direkt reinspricht, klingt es leise." Manchmal sitzt das Problem eben am eigenen Ende der Leitung.