McCarthy-ähnliche Drohungen gegen Klimaforscher
Die Energie- und Klimawochenschau: Während die Katastrophe im Golf von Mexiko immer größere Kreise zieht, werden Ölkonzerne geschont und Klimawissenschaftler von Staatsanwälten schikaniert
Am 1. Juni beginnt in der Karibik die Hurrikan-Saison. Man darf gespannt sein, ob das Öldesaster vor der Küste von Louisiana bis dahin halbwegs unter Kontrolle ist oder die Tropenstürme das Unglück noch weiter vergrößern.
Noch sieht es gar nicht danach aus. Am Samstag scheiterte der Versuch, die Ölquelle am Meeresgrund mit einer Glocke abzudecken. Die Öffnung, aus der das Öl hätte abgepumpt werden sollen hatte sich in Windeseile verstopft. Schuld waren unter anderem Eiskristalle, die sich aufgrund der niedrigen Wassertemperaturen in 1500 Meter Tiefe bildeten. Nun wird an einer neuen Vorrichtung gebaut, bei der Warmwasser und Methanol dafür sorgen sollen, dass sich das nicht wiederholen kann. Außerdem wird weiter an einer Entlastungsbohrung gearbeitet.
Die US-Bundesbehörde für Meere und Atmosphäre NOAA (National Ocean Atmosphere Administration) hat eine beeindruckende Statistik über die bisherigen Maßnahmen vorgelegt: 10.000 Menschen und 290 Wasserfahrzeuge seien im Einsatz, um Öl von der Wasseroberfläche abzupumpen, Barrieren zu errichten und die Küsten zu schützen. Rund 1.3 Millionen Liter Chemikalien habe man bereits versprüht, um das Öl zu binden, fast noch einmal so viele stünden noch zur Verfügung. Die Methode ist allerdings umstritten, denn die Chemikalien sind nicht gerade ungiftig. Sie sorgen lediglich dafür, dass das Öl von der Wasseroberfläche verschwindet, indem es verklumpt und an den Meeresboden sinkt. Nicht zuletzt die örtlichen Krabbenfischer haben sich sehr besorgt über die großen Mengen giftiger Chemikalien gezeigt, die im Meer verteilt werden.
Derweil sprudelt das Öl munter weiter, und die Fischer müssen ihre Netze an Deck lassen. Das Öl ist nicht nur eine Katastrophe für die Tier- und Pflanzenwelt am Golf von Mexiko, es richtet auch erhebliche ökonomische Schäden an. BP verspricht zwar Kompensation, doch wann die gezahlt werden wird und in welchem Umfang, ist vollkommen offen. Die Opfer der Exxon-Valdez-Katastrophe vor Alaska mussten fast 20 Jahre auf ihr Recht warten und haben noch heute unter den Folgen zu leiden (siehe auch: Ölpest: Wird die Rechnung jemals bezahlt?).
Das Öl dieser Quelle ist besonders alt und daher ziemlich zähflüssig, weshalb es schlechter verdunste und schwerer von Mikroben zersetzt werde, meint Ed Overton von der Universität von Louisiana.
Vor dem US-Kongress und in Louisiana haben derweil zwei Anhörungen zu den Ursachen des Unglücks begonnen. Das hatte am 20. April mit einer Explosion auf der Bohrplattform "Deepwater Horizon" begonnen, die zwei Tage später sank und mehrere Arbeiter mit in die Tiefe riss. In Washington schoben sich die beteiligten Firmen BP, Transoscean und Halliburton gegenseitig den Schwarzen Peter zu, wie das Wall Street Journal (WSJ) berichtet. Der Vorsitzende von BP America Lamar McKay sagte am Montag vor einem Parlamentsausschuss, dass für die Sicherheit auf der Plattform Transocean verantwortlich sei. Die beiden Firmen sind gemeinsame Betreiber der Bohrung. Halliburton war für einige Arbeiten unter Vertrag genommen worden.
Deren Vertreter Tim Probert erklärte, zu den Aufgaben seiner Firma habe gehört, eine Art Stopfen aus Beton anzubringen, mit dem vermieden werden soll, dass Gas durch das Rohr nach oben entweicht. Diese Arbeiten seien noch nicht abgeschlossen gewesen, als die (Gas-)Explosion geschah. Nach Angaben anderer Fachleute, die die Zeitung befragt hat, werden solche Stopfen angebracht, bevor die Bohrflüssigkeit, eine Art Schlamm, entfernt wird.
Auf "Deepwater Horizon" wurde jedoch anders vorgegangen. Laut Probert sei der Schlamm bereits entfernt und durch wesentlich leichteres Meerwasser ersetzt worden, bevor Haliburton seine Arbeiten abgeschlossen hatte. Die Festigkeit des Betons sei noch nicht abschließend geprüft gewesen, er berief sich aber darauf, dass die Firma an die Weisungen der Auftragsgeber gebunden sei. WSJ hatte von einem an den Bohrungen beteiligten Arbeiter erfahren, dass Halliburton gerade den besagten Stopfen anbringen wollte, als es andere Anweisungen gab. BP hatte bei der Aufsichtsbehörde Minerals Management Service um Erlaubnis gefragt, den Bohrschlamm vorzeitig entfernen zu können.
Wenn die Argumente ausgehen
Hört sich alles ein bisschen danach an, als ob jemand Zeit sparen wollte und den Beginn der Förderung nicht abwarten konnte, doch im Augenblick ist das pure Spekulation. Genauer werden wir es frühestens wissen, wenn es eine gründliche juristische Untersuchung der Vorfälle gegeben hat, vorausgesetzt, eine solche ist unter den gegebenen Verhältnissen überhaupt möglich. BP hat als europäisches Unternehmen in den USA vermutlich keine ausreichende Hausmacht, um die Verfahren behindern zu können, aber Halliburtons Verstrickungen mit der US-Politik haben sich in den letzten zehn Jahren weltweit herumgesprochen, so dass sich wohl nicht allzu viele wundern würden, wenn es bis zu Aufklärung und Entschädigung mal wieder 20 Jahre dauert.
Wie dem auch sei, die Büros der beteiligten Firmen wurden bisher jeweils nicht durchsucht, und auch sonst ist nicht bekannt, dass der entsprechende Schriftverkehr von BP und deren involvierten Partnern oder andere Dokumente rund um den Vorfall beschlagnahmt worden wären. Derlei geschieht nur Klimawissenschaftlern, die über die katastrophalen Folgen der fossilen Brennstoffe aufklären wollen und daher seit Jahren im Zentrum einer gegen sie gerichteten und von der Ölindustrie orchestrierten Kampagne stehen.
So geschieht es im US-Bundesstaat Virginia derzeit Michael Mann. Der hatte vor Jahren aus diversen verschiedenen Quellen die erste so genannte Hockeystickkurve zusammengetragen, die zeigt, dass es derzeit im globalen Mittel aller Wahrscheinlichkeit wärmer als je zuvor in den letzten 1000 Jahren ist. Das ist, anders als von der Gemeinde der Leugner gerne und immer wieder behauptet, kein Beweis dafür, dass derzeit aufgrund der Nutzung fossiler Energieträger ein Klimawandel im Gange ist, aber doch ein Puzzelteil, ein Hinweis unter vielen, ein beeindruckender zumal, dass sich etwas verändert. Der Beweis für die ursächlichen Zusammenhänge ergibt sich allerdings erst aus der Kenntnis der physikalischen Eigenschaften der Treibhausgase, namentlich des CO2, sowie der Wirkungszusammenhänge im Klimasystem.
Von derlei Nebensächlichkeiten unbeeindruckt hat sich die Lobby der Leugner frühzeitig auf Mann eingeschossen, vermutlich auch, weil seine ursprüngliche Arbeit von 1998 sechs Jahre später Gegenstand einer wissenschaftlichen Kontroverse war, die wiederum von einigen republikanischen US-Abgeordneten schamlos und vollkommen kenntnislos politisch ausgebeutet wurde (Kurven, Knatsch und (Borsten-) Kiefern). Der deutsche Wissenschaftler Hans von Storch, der vom Spiegel immer gerne interviewt wird, wenn mal wieder von Weltuntergangsstimmung auf Alles-vollkommen-übertrieben umgeschaltet werden soll, hatte 2004 in einem Science-Artikel Manns Arbeit angegriffen.
Wie sich später herausstellte, waren von Storchs Anwürfe substanzlos und basierten vor allem auf fehlerhaften Methoden. Dennoch wurde er binnen kürzester Zeit zum Kronzeugen all jener, die Treibhauseffekt und Klimawandel für das Produkt einer weltweiten Verschwörung der Klimawissenschaft halten. Längst sind die meist ehrenrührigen Angriffe gegen Michael Mann zum Selbstläufer in der nicht kleinen Blogosphäre der Leugner und Kreationisten geworden, die im Monatsrhythmus zehntausendfach widerlegte Argumente recycelt.
Nun hat Ken Cuccinelli, der Generalstaatsanwalt von Virginia, nach einem Bericht der Washington Post sich die Sache zu eigen gemacht und von der dortigen Universität verlangt, alle Unterlagen über die frühere Arbeit Manns herauszugeben, die im Zusammenhang mit den von ihm dort gestellten fünf Forschungsanträgen stehen. Unter anderem möchte er den Emailverkehr Manns mit 39 anderen Wissenschaftlern einsehen. Die Universität lässt wissen, dass sie gesetzlich zur Herausgabe der Daten verpflichtet ist, aber nie irgendeine Klage über akademisches Fehlverhalten bekommen habe. Mann war erst im Februar durch eine wissenschaftliche Untersuchungskommission von jedem Verdacht freigesprochen worden, gegen wissenschaftliche Grundsätze verstoßen zu haben.
Cunccinelli, der übrigens Republikaner ist, versucht es nun auf eine andere Tour. Es gehe nicht um die Ergebnisse der Arbeit, sondern über die Verwendung von Forschungsgeldern, die untersucht werden solle. Patricia Wiberg, die Chefin des Instituts für Umweltwissenschaften, an dem Mann gearbeitet hatte, meint, die Universität müsse sich gegen dieses Vorgehen unbedingt wehren. "In der wissenschaftlichen Gemeinde kann es berechtigte Meinungsverschiedenheiten geben", wird sie von der Zeitung zitiert. "Wenn das aber Betrug darstellt, dann werden die Bedingungen, unter denen Forschung betrieben wird, grundsätzlich verändert."
Zum Widerstand gegen die Machenschaften des Staatsanwalts rufen auch die American Civil Liberties Union und die US-amerikanische Vereinigung der Hochschulprofessoren auf, die sich in einem gemeinsamen Brief an die Universität von Virginia wenden. Passend dazu veröffentlichte das Wissenschaftsmagazin Science Anfang Mai einen offenen Brief von 255 Mitgliedern der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften, in denen diese die "politischen Angriffe" auf die Klimawissenschaft zurückweisen. Ähnliche Aktionen hatte es mit zum Teil erheblichem öffentlichen Aufsehen in den letzten Monaten auch in Frankreich und in den Niederlanden gegeben.
Wir sind sehr besorgt über die jüngste Eskalation politischer Angriffe auf Wissenschaftler im Allgemeinen und auf Klimawissenschaftler im Besonderen. Alle Bürger sollten einige wesentliche wissenschaftliche Fakten verstehen. Es gibt in Verbindung mit wissenschaftlichen Schlussfolgerungen immer eine gewisse Unsicherheit; die Wissenschaft beweist nie etwas absolut. Wenn also jemand sagt, die Gesellschaft sollte, bevor sie Maßnahmen ergreift, warten, bis die Wissenschaftler absolut sicher sind, dann ist das gleichbedeutend damit zu sagen, dass überhaupt nichts unternommen werden sollte. Bei einem Problem, dass potenziell derart katastrophale Folgen haben kann, wie der Klimawandel, bedeutet Tatenlosigkeit ein gefährliches Risiko für unseren Planeten. (...)
Wir fordern ein Ende der McCarthy-ähnlichen Drohungen gegen unsere Kollegen, sie mit juristischen Ermittlungen zu überziehen, die auf Bezichtigungen und Sippenhaft beruhen sowie der Drangsalierung von Wissenschaftlern durch Politiker die von den Fakten ablenken wollen, um nicht handeln zu müssen (...). Die Gesellschaft hat zwei Alternativen: Wir können die Wissenschaft ignorieren und unseren Kopf in der Hoffnung in den Sand stecken, dass wir Glück haben. Oder wir können im öffentlichen Interesse schnell und substanziell handeln, um die Gefahr des Klimawandels zur reduzieren. Die gute Nachricht ist, dass intelligente und effektive Maßnahmen möglich sind, aber Aufschub ist keine Option.
Aus dem von 255 Wissenschaftlern unterzeichneten Offenen Brief: Climate Change and the Integrity of Science
Der Brief ist unter anderem von Paul Crutzen unterschrieben, der seit langem das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz leitet und in den 1990er Jahren den Nobelpreis für die Erforschung der Schädigung der Ozonschicht bekam.