Die Angst vor der Inflation steigt

Bereiten sich Euroländer mit ihren Sparplänen insgeheim nach dem Tabubruch der Zentralbank auf eine steigende Inflation vor?

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Man fragt sich, warum zum Beispiel die spanische Regierung für einen zweifelhaften Sparplan die stabile politische Lage im Land opfert, einen Generalstreik riskiert und damit sogar ihren möglichen Sturz. Liegt das vielleicht auch daran, dass mit dem Rettungsnetz, das zur Stützung des Euro am vergangenen Wochenende mit bis zu 860 Milliarden aufgespannt wurde, nun auch die EU-Kommission eine steigende Inflation befürchtet?. Denn die flankierenden Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB), die nun sogar Staatsanleihen ankauft, stellen einen Tabubruch dar, weil damit quasi die Notenpresse angeworfen wird (Historischer Wendepunkt in der Geldpolitik der EU). Damit wird der Inflation Vorschub geleistet und einige könnten darin eine Möglichkeit sehen, sich eines Teils der riesigen Schulden zu entledigen, die viele Staaten inzwischen angehäuft haben.

Mit der Entscheidung vom Montag, nun auch Staatsanleihen ankaufen zu wollen, hat sich die EZB nun definitiv auf den Weg gemacht, den die US-Notenbank (FED) und die Bank of England (BoE) in Großbritannien schon gebahnt hatten. Die Financial Times Deutschland titelte: "EZB kopiert Hemmungslosigkeit der FED". Damit hat die EZB die bisherige Politik der "quantitativen Lockerung" (quantitativ easing) noch deutlich ausweitet und ein weiteres Dogma bisheriger Geldpolitik umgestürzt ("Das gesamte Bankensystem ist insolvent"). Spätestens mit dieser Entscheidung hat die EZB ihre Unabhängigkeit gegenüber politischen Forderungen geopfert.

Daran ändert auch nichts, wenn Bundespräsident Horst Köhler am Freitag bei einem Festakt in Karlsruhe das Gegenteil behauptet hat. Es gibt eher zu denken, dass Köhler bei der Einführung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts sich überhaupt dazu genötigt sah, die Zentralbank angesichts steigender Inflationsängste in Schutz zu nehmen. Er sprach seinen "Respekt vor der Entscheidung" der EZB aus, "in dieser extremen Ausnahmesituation Schuldentitel von Euro-Ländern anzukaufen". Das sei unorthodox und berge Risiken. Er zeigte sich aber überzeugt davon, dass die EZB unter Jean-Claude Trichet "auch weiter in voller Unabhängigkeit ihrem Stabilitätsauftrag folgen wird".

Köhler versucht, die unguten Gefühle zu zerstreuen, die wegen dieser lockeren Geldpolitik immer stärker aufkommen. Dass der EZB in Frankfurt die Sicherung der Preisstabilität ohnehin nicht so wichtig ist, hat sie schon bewiesen. Denn sie geht mit Inflationstendenzen deutlich laxer um, als zum Beispiel die Bundesbank zu Zeiten der D-Mark. Man sollte nicht vergessen, dass die EZB einer steigenden Inflation nahezu tatenlos zugeschaut hat. Trotz der Zielmarke von 2% ließ sie vor zwei Jahren zu, dass die Preissteigerungsrate in der Gemeinschaft auf 4,25% stieg (Düstere Aussichten bei steigender Inflation).

Inflationsängste werden auch dadurch genährt, dass die Notenbanker zwar viele Interviews geben, doch dabei kommen ihnen kaum Details über den Ankauf der Anleihen über die Lippen. Nicht einmal das Volumen ist bekannt, mit dem die Staatsanleihen aufgekauft werden sollen. Der am Donnerstag veröffentlichte EZB-Monatsbericht macht dazu ebenfalls keine Angaben. Schwammig wird darin nur erklärt: "Ziel dieses Programms ist es, die Störungen an den Wertpapiermärkten zu beheben und einen angemessenen geldpolitischen Transmissionsmechanismus wiederherzustellen. Der Umfang der Interventionen wird vom EZB-Rat festgelegt."

Deutlicher wurde Trichet auch im Interview am Freitag nicht. Dass nun Milliarden von Euro auf den Kapitalmarkt fließen, die die letztendlich zu Preissteigerungen führen könnten, will man mit Gegenmaßnahmen ausgleichen. Wie die Ankäufe "sterilisiert" werden können, dazu wurde Trichet etwas konkreter. "Die zusätzliche Liquidität, die wir durch den Ankauf der Staatsanleihen ins System geben, holen wir wieder zurück. Dazu sind etwa verzinsliche Termineinlagen gut geeignet."

Doch trotz der Öffentlichkeitsinitiative der Zentralbanker nehmen viele am Markt ihnen ihre Botschaften nicht ab. Viele Investoren kaufen Gold, um sich gegen eine mögliche drohende Inflation abzusichern. Der Goldpreis ist deshalb am Freitag auf ein neues Allzeithoch gestiegen. Die Feinunze (31,1 Gramm) kostet inzwischen fast 1.259 Dollar, damit erneut gut 1% mehr als am Vortag. Umgerechnet in Euro wurde damit die magische Marke von 1.000 Euro geknackt. Die Feinunze wurde zwischenzeitlich sogar mit bis zu 1.004 Euro bewertet. Darin drückt sich Inflationsangst klar aus.

Ein Dammbruch nach dem anderen

Schaut man in die USA, sind nach den deflationären Tendenzen im letzten Jahr längst inflationäre Tendenzen feststellbar. Inzwischen liegt die Teuerung schon bei 2,3%. Noch deutlicher ist der Trend in Großbritannien, wo das US-Vorbild kopiert wurde und die Teuerung schon auf 3,4% angestiegen ist. Hier ist die Entwicklung für verschiedene Währungsräume grafisch dargestellt.

Doch selbst wenn man Trichet und seinen Mannen abnimmt, dass sie tatsächlich nicht vorhaben, die aufgehäuften Schuldenberge über Inflation zu beseitigen, stellen sich ein paar Fragen. Gilt das auch für alle unsere Politiker? Und was geschieht, wenn die Gegenmaßnahmen scheitern oder man wegen der sich ausweitenden Probleme in der Eurozone den Geldmarkt immer weiter und weiter fluten muss? Denn die Umkehr eines einmal eingeschlagenen Wegs wird mit jedem neuen Schritt schwieriger.

Zudem erleben wir seit Monaten einen Dammbruch nach dem nächsten, weil sich Hoffnungen und Erwartungen von Politikern und Notenbankern einfach nicht erfüllen wollen. Einst undenkbar wurden inzwischen allüberall Banken verstaatlicht, sogar in Deutschland. Es wurde sogar ein Notpaket in einer Höhe von 110 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, um ein Euroland wie Griechenland vor der Pleite zu retten. Das war noch nicht richtig beschlossen, musste gleich richtig nachgelegt werden, weil ein Kollaps des Euro nicht ausgeschlossen scheint. Doch trotz des neuen Rettungsschirms von 750 Milliarden Euro setzt der Euro seine Talfahrt beständig fort und ist nun bei 1,25 im Verhältnis zum Dollar angelangt. Warum sollte sich zu der kreativen Geldpolitik also auch als "ultima ratio" nicht auch noch die Inflation gesellen? Die ständige Ausweitung der Schulden macht es ohnehin immer schwieriger, diese auch wieder loszuwerden, zumal sie in den meisten Ländern sogar in Boomphasen weiter gewachsen sind.

Es mehren sich ohnehin die Stimmen, die den Kollaps der Euro-Zone befürchten. "Die Euro-Zone steht vor dem Problem der Auflösung", sagte der Ex-Chef der US-Notenbank Paul Volcker.. Und er steht mit der Ansicht nicht allein. Seit längerem warnt der renommierte New Yorker Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone (Der Pleitegeier kreist auch über Spanien). Und Volcker ist ein Kritiker der Entwicklungen an den Finanzmärkten. Es warnte frühzeitig davor, dass mit dieser Geldpolitik alle bewährten Notenbank-Prinzipien und -Praktiken über Bord geworfen werden.

Auffällig wird immer öfter vom Einfrieren von Löhnen und Renten gesprochen

Der Begriff einfrieren taucht nun ständig neben Kürzungen in der Diskussion und als Maßnahme in Sparpaketen auf. Nun will auch Portugal, dessen Sparweg bisher anders aussah (Der portugiesische Sparweg), die Löhne im öffentlichen Dienst einfrieren und noch stärker sparen. Die Debatte um das Einfrieren der Löhne der Staatsbediensteten kommt gerade in Italien so richtig in Gang. Durch Kürzungen und Einfrieren von Löhnen und Renten sticht auch das neue Sparpaket hervor, das dem Spanier José Luis Rodríguez Zapatero in Brüssel mit der Verabschiedung des Rettungsschirms aufgedrückt wurde.

Angeblich geht es darum, die Sparanstrengungen zu verstärken, um das Haushaltsdefizit von derzeit 11,2% bis 2013 auf 3% zu senken. Das Einfrieren der Löhne und Renten macht aber erst bei einer steigenden Inflation in Spanien in den nächsten Jahren wirklich einen Sinn. Denn so werden Gesetze und geltende Tarifverträge ausgehebelt, die eine jährliche Anpassung der Renten und Löhne an die Inflationsrate vorsehen. Erst bei einer deutlich steigenden Inflation würden diese Regelungen wirklich hohe Zusatzkosten verursachen.

Angesichts einer Kosten-Nutzen-Rechnung ist im spanischen Fall anders kaum zu erklären, warum Zapatero zum Einfrieren der Löhne und Renten bereit ist und dafür einen hohen politischen Preis zu bezahlen hat. Angesichts einer Gesamtverschuldung Spaniens 2009 von knapp 55% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hätte das Land, anders als die Schuldenspitzenreiter Italien (115,8%) und Griechenland (115,1%), noch deutlich mehr Spielraum für eine andere Politik (Griechenlands Defizit ist nochmals gestiegen). Spanien liegt sogar noch deutlich unter dem Durchschnitt von fast 80% in der Eurozone.

Doch nun hat der Sozialist die Scheidung mit den Gewerkschaften eingeleitet. Zapatero scheiterte am Donnerstag damit, sie von seinen Plänen zu überzeugen. "Die Erklärungen", die Zapatero den Gewerkschaftschefs gegeben hat, "konnten uns nicht überzeugen, sondern haben uns noch in unserer Position bestärkt", erklärten sie nach dem Treffen. Die Gewerkschaften hatten Zapatero erneut auf die extreme Schieflage seiner Sparpläne hingewiesen. Denn von einer Anhebung des Spitzensteuersatzes ist auch im zweiten Sparpaket nicht die Rede. Das gilt auch für die Besteuerung auf Kapitalerträge oder Gewinne aus Aktiengeschäften. Enorme Kapitalerträge werden in Spanien pauschal weiter nur mit 18 % besteuert. Die Sozialisten (PSOE) hatten sogar die Vermögenssteuer abgeschafft, heben nun aber zum 1. Juli die Mehrwertsteuer um 2% auf 18% an, womit die Bezieher von Renten, niedrigen Einkommen und Sozialleistungen besonders belastet werden.

Und man kann den großen Gewerkschaften wirklich nicht vorwerfen, kein offenes Ohr für die Nöte ihres Regierungschefs gehabt zu haben. Erst kürzlich hatten sie im öffentlichen Dienst mit der Regierung Lohnverzicht vereinbart. Die Löhne sollten 2010 nur um 0,3% über die Inflationsrate angehoben werden und bis 2012 sogar nur um die Inflationsrate. Doch schon vor solchen Regelungen ängstigen sich Zapatero und Brüssel angesichts einer möglichen hohen Inflation in der Zukunft offenbar.

Nun hat Zapatero erneut sein Wort gebrochen und will neben Sozialleistungen also sogar einen gerade geschlossenen Tarifvertrag brechen. Damit hat er auch sein Sozialpaktmodell beerdigt und den Gewerkschaften bleiben nur noch Kampfmaßnahmen übrig. Schon am 1. Mai hatten sie ihn davor gewarnt und dem Ministerpräsidenten vorgeworfen, "Überzeugungskraft verloren zu haben und von den Finanzmärkten eingeschüchtert zu sein". Dabei hatten sie auch "weit reichende Arbeitskämpfe" angekündigt, würden Sozialleistungen gekürzt (Spanien am Scheideweg). Für den 2. Juni rufen sie daher nun zu einem Streik im öffentlichen Dienst auf. Die Gewerkschaften diskutieren auch ernsthaft über einen Generalstreik, den die Vereinte Linke (IU) seit Monaten fordert.

Auch in Spanien drohen massive Streiks

Der Riss, den Zapatero mit dem ersten Sparplan provozierte, hat sich in einen Abgrund verwandelt. Das Vertrauen ist weg, nachdem Zapatero schon eine Rentenreform diskussionslos durchdrücken wollte. Statt über die Pläne wie üblich im "Pakt von Toledo" zu beschließen, versuchte er die Krise zu nutzen, um sie als Krisensparplan zu verkaufen. Das Renteneintrittsalter in den nächsten 15 Jahren auf 67 anzuheben und die Berechnungsgrundlage zu verändern, trägt aber nichts dazu bei, das Defizit bis 2013 unter die EU-Stabilitätsgrenze von 3% zu drücken. Erst ab 2013 soll das Eintrittsalter jährlich um jeweils zwei Monate angehoben werden.

Hatten die Gewerkschaften auf die Rentenpläne nur mit Demonstrationen geantwortet wird nun auch massiv gestreikt werden. Es ist zu erwarten, dass die großen Gewerkschaften spätestens dann zum Generalstreik aufrufen, wenn Zapatero auch eine Reform des Arbeitsmarkts durchdrückt, wie sie die Unternehmer fordern. Eingelenkt hat die Regierung schon. Sie ist bereit, mit der Verbilligung der Abfindungen den einzigen Kündigungsschutz weiter auszuhöhlen, den es in Spanien noch gibt. Den Unternehmern soll mit Steuermitteln bis zu 40% der Abfindungszahlungen abgenommen werden, wenn sie mit unbefristeten aber sofort kündbaren neuen Verträgen Arbeitslose einstellen. Dafür soll auch der Unternehmeranteil an den Sozialversicherungsbeiträgen geringer ausfallen. Allein diese Maßnahmen werden den Staat in den nächsten Jahren 5 Milliarden Euro kosten (Sparen mit hohen Ausgaben). Das ist genau die Summe, die 2010 zusätzlich im Staatshaushalt eingespart werden soll.

Man kann den nun eingeschlagenen Madrider Sparkurs getrost als Rezept für ein Desaster bezeichnen, welche die zaghafte Erholung der Wirtschaft weiter belasten wird. Erstmals nach zwei Jahren ist die Wirtschaft im ersten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um 0,1% gewachsen. Doch angesichts des Sparplans dürfte die Wirtschaftleistung nun bald wieder deutlich schrumpfen. Denn mit dem Kniefall vor Spekulanten und Ratingagenturen, die nun selbst immer stärker unter Druck kommen, wird der Konsum weiter abgewürgt.

Das hatte zuvor die Rekordarbeitslosigkeit geschafft, die schon auf über 20% geklettert ist. Die wird, weil auch Infrastrukturmaßnahmen gestrichen werden, wohl weiter steigen und neue große Löcher in den Haushalt reißen. Zudem verteuert die steigende Mehrwertsteuer Spanien als Urlaubsland und zudem stehen dem Land nun bewegte und streikreiche Zeiten bevor, die einer wirtschaftlichen Erholung kaum dienlich sein dürften.

Möglich ist, dass die negativen Effekte alle Sparbemühungen genauso zunichte machen, wie es Spekulanten mit dem Hochtreiben der Zinsen für Staatsanleihen in Griechenland geschafft haben (Wer zahlt für politische Eigentore?). Zeigen muss sich in Spanien noch, ob die sozialistische Minderheitsregierung ihren Sparplan überhaupt durchsetzen kann. Letztlich könnte sie auch darüber stürzen, die ultrakonservative Opposition läuft sich schon warm. Doch die Angst vor einer neuen Regierung der Volkspartei (PP) hat bisher die Gewerkschaften davon abgehalten, zum Generalstreik zu mobilisieren.

Skeptisch sind angesichts der Entwicklung auch die Börsianer. Nach dem Kursfeuerwerk an der Madrider Börse vom Montag, als die Kurse um fast 14,5 % in die Höhe schossen, trat in der Woche schnell wieder Ernüchterung ein. Durch die Ankündigung des Sparplans konnte der Leitindex am Mittwoch sogar noch einmal leicht um 0,8 % zulegen. Doch ansonsten ging es bergab. Am Freitag erlebte der Ibex erneut einen historischen Einbruch. Er stürzte erneut um 6,64% ab, der heftigste Einbruch seit Oktober 2008, als die Börse nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers weltweit Achterbahn fuhr.