"Wenn das Gesetz nicht gerecht ist ... geht die Gerechtigkeit vor dem Gesetz"

Jean-Luc Godard gibt mit seinem neuen Film auf ungewöhnliche Weise Kommentare zum Immaterialgüterfeudalismus ab

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Der Schweizer Jean-Luc Godard ist der Bertolt Brecht der Nouvelle Vague - manchmal zu aufdringlich in seinem Willen zum Regelbruch und zur Bewusstmachung (der heute, wo Jump-Cuts Standard geworden sind, gar nicht mehr so leicht zu erkennen ist), manchmal aber auch genial. Vor allem in Masculin, féminin mit Jean Pierre Leaud und der Yeye-Sängerin Chantal Goya, Weekend und Sauve qui peut (la vie) mit seinen Debatten über das Landleben und die Sexualität.

Diese Woche wird Jean-Luc Godards neustes Werk Film Socialisme in Cannes gezeigt. Parallel dazu streamt es der Vertrieb Wild Bunch auf dem Portal filmotv.com. Allerdings nur für Internetnutzer in Frankreich und gegen eine Gebühr von sieben Euro. Doch inwieweit das, wie angekündigt, wirklich die Premiere des Films sein wird, ist nicht ganz klar: Auf Vimeo und YouTube gab es nämlich schon vorher mehrere merkwürdige "Ankündigungen", von denen unter anderem france24.com vermutete, dass sie den kompletten Film beinhalten - allerdings rückwärts und stark beschleunigt.

Dass sich der Schweizer Bankierssprössling für dieses, wie Volker Pantenburg es ausdrückte, "interessante Konzept von viralem Marketing und Vergesellschaftung" entschied, könnte nicht zuletzt auch damit zusammenhängen dass es trotz guter Kritiken mit der Vermarktung seiner Werke immer schlechter klappte: In den 1960er Jahren liefen Godards Filme noch im Kino, in den 1980ern im Fernsehen und seit den Nuller Jahren fast nur noch auf Festivals.

Dafür, dass die Basteleinladung von Godard selbst stammt, spricht ein Screenshot, der der Pressemappe an auffälliger Stelle beigelegt ist: "Quand la loi n'est past juste ... la justice passe avant le loi" heißt es da in einer Einrahmung der von DVDs bekannten Copyrightwarnung. Auf Deutsch: "Wenn das Gesetz nicht gerecht ist ... geht die Gerechtigkeit vor dem Gesetz".

Dass er diesen Weg für einen Kommentar nutzt, ist für ihn nicht ungewöhnlich: Godard arbeitete auch in früheren Filmen wie sonst nur wenige1 in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewusst mit Schrifttafeln. Am Schluss des Trailers zu Masculin, féminin etwa erlaubte er sich eine Anmerkung zum Jugendschutzhinweis und teilte über den Standardtext hinaus mit, dass dieser Film "natürlich" für Minderjährige verboten sei - weil es ja um sie geht.

Durch seinen Filmessay Histoire(s) du Cinema, in dem sich der Regisseur in acht Kapiteln mit der Geschichte des Kinos auseinandersetzt, konnte er zudem die problematischen Auswirkungen des Copyrights aus erster Hand kennenlernen. Auch wenn Godard selbst in einem 1996 geführten Interview mit Jonathan Rosenbaum die Schwierigkeiten herunterspielte und behauptete, er würde sich einfach neues Material suchen, wenn ihm eine Firma das Zitatrecht streitig macht, scheinen die Probleme mit den kurzen Ausschnitten, aus denen der Film zu einem großen Teil besteht und an denen Medienkonzerne noch Monopolrechte beanspruchen, die Verbreitung durchaus behindert zu haben:

Das bereits in den 1980er Jahren begonnene Werk konnte in Frankreich nämlich erst 2005 als DVD-Set veröffentlicht werden. Vorher schien es trotz umfangreichen Kritikerlobs in der "Rechtehölle" gefangen. Eine deutsche Fassung kam sogar erst von einigen Monaten auf den Markt. Nun muss Godard hoffen, dass Claudia Roth nicht entdeckt hat, dass er Hitler-Aufnahmen mit Ton-Steine-Scherben-Musik unterlegt - sonst lässt vielleicht auch sie noch einen ihrer Anwälte von der Leine.

Allerdings ist Godard bei weitem nicht der einzige Filmemacher, dem die in den letzten Jahrzehnten formell wie informell stark ausgeweiteten Immaterialgüterprivilegien schaden: Der Harvard-Rechtsprofessor Lawrence Lessig legte unlängst in seinem Text For the Love of Culture eindrucksvoll dar, dass dies mittlerweile ein Massenphänomen ist - und dass Dokumentarfilme nicht mehr gezeigt und nicht auf DVD übertragen werden dürfen, weil sich die Hersteller auf Verträge mit Rechteinhabern einlassen mussten, die ihnen die Verwendung von Zitaten nur für wenige Jahre erlaubten.