Der nächste Schritt der Gottwerdung

Schema der Herstellung des M. mycoides-Erbguts in Hefe. Bild: Science

Gen-Papst Craig Venter hat es wieder mal geschafft: Seinem Team ist es gelungen, eine Zelle mit einem künstlich erzeugten Genom zu steuern

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Mycoplasma mycoides gehört nicht zu den netten Zeitgenossen. Das Bakterium verursacht bei Rindern eine sehr ansteckende Lungenseuche, die anzeigepflichtig ist und nur mit strikter Quarantäne behandelt werden darf. Dabei ist es eigentlich ein armer Tropf - wie die anderen Mitglieder der Gruppe der Mollicutes besitzt es nicht einmal eine Zellwand. Und dann muss es sich von der Wissenschaft auch noch als degeneriert beschimpfen lassen. Es hat sich nämlich im Zuge einer degenerativen Evolution aus Vertretern der Milchsäurebakterien entwickelt. Inzwischen kann es gar nicht mehr als eigenständiges Bakterium existieren, sondern ist stets auf einen Wirtsorganismus angewiesen, der es mit Stoffwechselprodukten versorgt.

Für die Forschung kann der evolutionäre Abstieg in die Parasitenliga aber auch ein handfester Vorteil sein. Die DNA von Mycoplasma mycoides besteht nämlich nur aus etwas über einer Million Basenpaaren. Damit gehört der Rinderschreck zu den Lebewesen mit dem kleinsten Genom. Zum Vergleich: selbst das Magen-Bakterium E. coli kommt auf etwa die vierfache Menge an Basenpaaren, der Mensch besitzt sogar 3,4 Milliarden davon. Damit ist M. mycoides und seine Kollegen ein guter Modellorganismus für die ersten Versuche der Wissenschaft, es Gott gleich zu tun und künstlich Leben zu schaffen.

Am weitesten ist auf diesem Wege derzeit wohl Gen-Papst Craig Venter fortgeschritten. Schon 2007 gelang es einer Forschergruppe seines Instituts erstmals, das Genom einer Zelle in eine andere zu transplantieren und dort zum Weiterarbeiten zu bewegen. Anfang 2008 berichteten die Forscher dann von einem weiteren wichtigen Erfolg: Sie hatten das komplette Genom eines Organismus künstlich aus seinen vier Bestandteilen, den bekannten, mit A, G, C und T abgekürzten Aminosäuren zusammengesetzt. Die Wissenschaftler wählten damals Mycoplasma genitalium als Vorbild, praktisch den kleinen Bruder von M. mycoides, der gar nur etwas über 500.000 Basenpaare besitzt. Schon damals aber kündigte Venters Institut an, dass dies nur der zweite Schritt auf dem Weg in die „Design-Phase der Biologie“ gewesen sei - der dritte müsse darin bestehen, ein künstliches Genom in einer fremden Zelle zu „booten“ und zur Übernahme der Lebensfunktionen zu bringen.

Vergrößerungen der von einem künstlichen Genom gesteuerten Zellen. Bild: Science

Genau das ist den Forschern um Craig Venter nun offenbar gelungen. Das berichten sie jedenfalls in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science. Erneut war M. mycoides der Protagonist. Zunächst galt es, in einem komplizierten Verfahren das Genom des Parasiten zusammenzusetzen. Maschinell kann man dieses Problem derzeit nur für vergleichsweise wenige Basenpaare lösen - in diesem Fall erzeugten die Forscher größere, gut 1000 Basenpaare große Schnipsel. Diese übergaben sie dann den Reparaturmechanismen innerhalb von Hefezellen, die in langer Evolution erstaunliche Fähigkeiten erworben haben und die Bruchstücke in drei Runden zu längeren Sequenzen zusammensetzten. Zusätzlich markierten die Forscher die künstliche Erbinformation derart, dass sie nicht mit dem evolutionär entstandenen Genom von M. mycoides zu verwechseln war. Das Ergebnis setzten sie in eine leere Zelle der Art Mycoplasma capricolum ein - also einen fremden Organismus. Und, Überraschung: Anschließend produzierten die Zellen nur Proteine, die für M. mycoides typisch sind.

Der Erfolg dient den Forschern natürlich nicht zum Selbstzweck - sie erhoffen sich vor allem, damit ein mächtiges, neues Werkzeug gefunden zu haben. So könnten man etwa Algen designen, die Kohlendioxid aufnehmen und Kohlenwasserstoffe herstellen, die man in Raffinerien verarbeiten könnte - das hört das Publikum in den USA derzeit bestimmt besonders gern. Ebenso könne man aber die Impfstoffproduktion beschleunigen oder neue Chemikalien von den Bakterien erzeugen lassen.