Die Schattenboxer von Berlin

Deutschland erklärt den Spekulanten den Krieg. Wirklich? Schaut man ins Kleingedruckte, entpuppt sich der Angriff auf die Spekulanten als reine Farce

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn man die bisherigen Finanzmarktregulierungen anschaut, die in Deutschland seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers umgesetzt wurden, fällt einem bestenfalls das Wort "Peanuts" ein. Alle hehren Versprechen und Beteuerungen, das Finanzsystem zu zähmen, wurden bereits im Ansatz von Lobbyisten in- und außerhalb der Regierung jäh zunichte gemacht. Mit dem gestern verabschiedeten Euro-Rettungsschirm bürgt der deutsche Steuerzahler nun bereits mit über 700 Milliarden Euro für Risiken im Finanzsystem.

Das freut vor allem die deutschen Banken, die es nicht einmal für nötig halten, ihr bilanziertes Risiko abzubauen. Mit einem Hebel von 52:1 nimmt das deutsche Bankensystem im internationalen Risikovergleich die Spitzenposition ein – deutsche Banken haben im Schnitt ein viermal so hohes Risikovolumen in ihren Bilanzen wie ihre internationalen Pendants. Der Steuerzahler hat ja "dankenswerterweise" implizit die Risikoabschirmung für das Bankensystem übernommen.

Es besteht Reform- und Regulierungsbedarf an allen Ecken und Enden, doch anstatt zur Tat zu schreiten, besänftigt die schwarz-gelbe Regierung den Volkszorn mit Scheinregulierungen und unverbindlichen Absichtserklärungen.

Das Spiel mit der Tobin-Tax

Manche Globalisierungskritiker werden sich Mitte der Woche verdutzt die Augen gerieben haben. Plötzlich will ausgerechnet die bankenfreundliche schwarz-gelbe Regierung die Tobin-Tax einführen, die nicht nur namensgebende Grundlage von Attac, sondern auch der längst außer Reichweite gewähnte feuchte Regulierungstraum vieler Systemkritiker ist? Was hat bloß zu diesem Positionswechsel beigetragen? Schließlich bezeichnete FDP-Generalsekretär Lindner die Finanzmarkttransaktionssteuer doch noch an diesem Montag als "Blendgranate" und auch die Kanzlerin höchstpersönlich ließ an ihrer ablehnenden Haltung noch am letzten Wochenende keinen Zweifel:

Was kannst du international auch wirklich durchsetzen? Ich kann mühelos für die Finanztransaktionssteuer sein; das kostet mich gar nichts. Sie würden mich dann in vier Jahren aber fragen: Was ist denn nun daraus geworden, was haben Sie denn erreicht?

Angela Merkel am letzten Samstag auf dem DGB-Bundeskongress

In den Worten Angela Merkels steckt mehr Wahrheit, als man glauben mag. Der Flirt mit der Finanztransaktionssteuer kostet Union und FDP tatsächlich nichts und die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung tendiert nach wie vor gegen Null. Soll eine Finanztransaktionssteuer wirken, muss sie an allen entscheidenden Finanzmärkten gelten, da es für Wertpapierhändler bei vielen Papieren ein Leichtes ist, sie nicht in Frankfurt, sondern in New York, London oder Sydney zu handeln.

Die Regierungen der USA, Großbritanniens und Australiens lehnen allerdings eine Finanztransaktionssteuer ebenso ab, wie die G-20-Mitglieder Brasilien und Kanada. Selbst wenn Deutschland mit Herzblut hinter dieser Steuer stehen sollte, wovon keinesfalls auszugehen ist, wäre es nicht möglich, sie innerhalb der G 20 durchzusetzen. Der Verweis, dieses Thema im Juni beim G-20-Gipfel in Toronto ansprechen zu wollen, ist seinerseits nicht mehr als eine Blendgranate.

Wer macht den ersten Schritt?

Es ist ja richtig – wenn die Finanztransaktionssteuer nicht international eingesetzt wird, greift sie in vielen Märkten überhaupt nicht, da sich lediglich der Handelsplatz verschiebt. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Papiere, die ausschließlich an deutschen Börsen gehandelt werden, würden der Besteuerung nicht entgehen können und wenn sich sogar die Eurozone, deren Finanzminister nach eigenem Bekunden prinzipiell der Idee einer solchen Steuer positiv gegenüberstehen, zu einer gemeinsamen Einführung entschließen könnte, so hätte dies weitaus mehr als nur eine Signalwirkung.

Die Gegner einer Finanztransaktionssteuer kommen – verständlicherweise – aus der Finanzbranche. Man sollte allerdings auch nicht die Frösche fragen, wenn man den Sumpf trockenlegen will. Da die Frösche aber sogar in den Ausschüssen quaken, die über eine Einführung zu entscheiden haben, wird der Sumpf wohl nie trockengelegt werden. Dabei könnte man das Totschlagargument des Postulats internationaler Besteuerung relativ leicht ausräumen. Sollte die Eurozone eine solche Steuer verabschieden, würde den Finanzlobbyisten in London und New York ihr wichtigstes Argument abhanden kommen und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die dortigen Regierungen nachziehen. Einer muss immer den ersten Schritt machen und wenn es die Eurozone sein soll, dann sei dem so.

Wie können uns nicht immer hinter den Amerikanern verstecken. Die Menschen erwarten, dass eine Gerechtigkeitslücke geschlossen wird.

Jean-Claude Junker, Chef der Euro-Gruppe

Solange Deutschland immer noch den Standpunkt vertritt, man könne eine Finanztransaktionssteuer nur weltweit, aber nicht national oder supranational umsetzen, ist die ganze Diskussion nicht mehr als politisches Taktieren, das vor allem den Kritikern der Regierung den Wind aus den Segeln nehmen soll.

Die Finanzdingsbumssteuer kommt!

Anders als vielfach berichtet, hat sich die Regierung auch nicht auf eine Finanztransaktionssteuer, sondern auf die Alternative zwischen einer Finanztransaktionssteuer und einer Finanzaktivitätensteuer entschieden, wobei letztere eindeutig von Union und FDP favorisiert wird. Bei einer Finanzaktivitätensteuer werden nicht die Transaktionen, sondern die Gewinne der Finanzmarktakteure mit einem geringen Steuersatz (angedacht sind hier zwei Prozent) besteuert.

Natürlich bietet sich dabei der Rahmen, bei der Gestaltung Schlupflöcher und Sollbruchstellen einzubauen, so dass es nicht verwundern kann, dass die FDP einer solchen Steuer positiv gesinnt ist. Damit könnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Dem Volk gaukelt man vor, man täte etwas gegen Spekulanten und Bonibanker, der Finanzbranche präsentiert man dann jedoch ein Gesetz, dass niemanden weh tut.

Warum die Regierung beide Steuermodelle zu einer Entweder-Oder-Frage macht, ist nicht ersichtlich. Warum führt man nicht beide Steuern parallel ein? Alleine die Finanztransaktionsteuer könnte dem Fiskus der EU-Staaten jährlich 80 Mrd. Euro einbringen – wobei diese Zahl allerdings auf tönernen Füßen steht und an die "Schadensberechnung" der Contentinhaber bei der Diskussion um Privatkopien erinnert. Würde man Finanztransaktionen mit 0,05% besteuern, würde die Finanzbranche auch besonders anfällige Handelsaktivitäten durch neue Instrumente ersetzen, die geringer besteuert würden. Dies ist natürlich kein Argument gegen eine solche Steuer, da jeder Cent, den sie einbringt, zu begrüßen wäre.

Wir tun so, als ob wir die Spekulanten ärgern

Während nationale Alleingänge bei der Finanztransaktionssteuer offenbar unerwünscht sind, preschte Deutschland diese Woche bei gleich drei Themen im Alleingang derart brachial voran, dass es den Franzosen die Zornesröte ins Gesicht trieb.

Glaubt man einigen Medien, hat die BaFin in dieser Woche zum Großangriff auf die Spekulanten geblasen und neben ungedeckten Leerverkäufen auch gleich die Spekulation mit Ausfallversicherungen (CDS) und Staatsanleihen der Euroländer verboten. Dies würde die Befugnisse der BaFin allerdings meilenweit überschreiten, genauso gut könnte Angela Merkel den Gegnern der deutschen Nationalmannschaft bei dieser WM das Toreschießen verbieten. Schaut man sich die Details an, entpuppt sich die BaFin-Offensive als brutalstmöglicher Angriff mit Wattebäuschchen auf einen imaginären Feind, der noch nicht einmal klar zu fassen ist.

Ungedeckte Leerverkäufe sind ab jetzt verboten!

Der Verkauf von Papieren, die man nicht besitzt und auf deren Besitz man auch keinen Titel hat, ist streng genommen weltweit verboten. Das Problem an diesem Verbot ist lediglich, dass es nicht durchsetzbar ist. In den USA hat man "naked shorts" im Jahre 2008 verboten, zuvor galt die Regel, dass man innerhalb von vier Tagen nachweisen muss, dass man zumindest einen Titel auf den Besitz der Papiere hat. Auf den kurzlebigen Finanzmärkten sind vier Tage eine Ewigkeit.

Deutschland ist – anders als die USA – ein Paradies für Leerverkäufer. Hierzulande gibt es noch nicht einmal ein Gesetz, mit dem Spekulanten dazu verpflichtet werden, Leerverkäufe bei der BaFin zu melden. Ohne diese Meldung tappt die BaFin im Dunklen. Das in dieser Woche verhängte "Verbot" betrifft auch nur den Handel mit den Aktien der zehn größten deutschen Finanzinstitute. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.

Wer nun gegen die Stabilität des Euro-Bankensystems wetten will, geht halt nach Paris. Kein Wunder, dass der deutsche Alleingang den Franzosen nicht gefällt. Doch eigentlich könnten auch sie sich sorglos zurücklehnen, da die BaFin eine ganze Liste mit Ausnahmen veröffentlicht hat, die die Regelung de facto als Nullnummer charakterisieren – so ist beispielsweise zwar der ungedeckte Leerverkauf deutscher Bankenaktien untersagt, nicht aber der Handel mit Derivaten auf diese Aktien. Wer also gegen die Ackermänner wetten will, kann dies immer noch ganz legal tun.

Spekulationen mit europäischen Staatsanleihen sind verboten!

Was die Medien dazu veranlasst hat zu melden, der ungedeckte Leerverkauf aller Euroland-Anleihen sei verboten, ist nicht erkennbar. Das BaFin-Verbot gilt nur für deutsche und einige österreichische Anleihen und dabei auch nur, wenn einer der Handelspartner der Regulierung der BaFin untersteht, also entweder eine in Deutschland registrierte Niederlassung ist oder sich einen deutschen Handelsplatz aussucht.

Natürlich kann jede Bank in London weiter mit deutschen Staatsanleihen spekulieren wie es ihr gefällt. Ebenso verhält es sich mit dem ungedeckten Handel von CDS auf diese Anleihen. Nur dass hier niemand so genau weiß, was das überhaupt nach den Vorstellungen der BaFin sein soll, da zwar der ungedeckte Leerverkauf, nicht aber das Hedging anderer Positionen verboten ist. De facto trifft dieses Verbot daher auch niemanden, da jede Bank und jeder Fonds irgendetwas hedgen kann, das irgendwie in Verbindung mit dem Kreditrisiko eines Euro-Staates steht.

Das "rigorose" Verbot der BaFin sorgte so dann auch bei der Deutschen Bank ganze zwei Stunden lang für Verwirrung. Dann handelten die Ackermänner weiter – natürlich wie eh und je über London, das vom "Verbot" der BaFin sowieso nicht tangiert ist. Ohnehin ist der Handel mit CDS auf deutsche Staatsanleihen ein absonderliches Exotenprodukt. Sollte Deutschland Staatsbankrott anmelden, so wäre dies der "Doomsday" und es ist mehr als unwahrscheinlich, dass irgendein Versicherer die Ausfallprämie überhaupt zahlen könnte.

Jetzt geht es den Hedge-Fonds an den Kragen!

Ein gemeinsames Papier der EU-Finanzminister, das nun die Checks & Balances der Finanzlobbyisten in Brüssel und Straßburg durchlaufen muss, sieht vor, dass Hedge-Fonds, die in der EU operieren, sich künftig in einem EU-Land registrieren und den nationalen Aufsichtsbehörden Einblick in ihre Bilanzen gewähren müssen.

Sogar dieser Mini-Kompromiss war den Briten, die rund 80% aller europäischen Hedgefonds in ihrer City of London beherbergen, bereits zu viel. Dank des Lissabon-Vertrags wurden sie von ihren EU-Nachbarn allerdings überstimmt – vor Lissabon hätten die Briten dieses Papier durch ihr Veto blockieren können. Allerdings ist der verabschiedete Kompromiss so butterweich, dass er den Hedge-Fonds-Managern keine Kopfschmerzen bereiten wird. Weder eine Begrenzung der Schulden von Hedge-Fonds, noch ein gesetzlich begrenzter Maximalhebel oder gar Eigenkapitalvorschriften sind vorgesehen, sondern lediglich unverbindliche Transparenzregelungen, die weit hintern denen der deutschen Finanzmarktaufsicht stehen. Auch Großbritannien hat bereits ähnliche Regulierungen – man fürchtet auf der Insel lediglich eine Kompetenzabgabe an Brüssel. De facto ändert sich für die Hedge-Fonds somit überhaupt nichts.

Vertane Chancen

Hätte die Politik das beschlossen, was öffentlich vermeldet wurde, wäre dies freilich ein wichtiger und richtiger Schritt in Sachen Finanzmarktregulierung. Leider beließ man es jedoch bei wirkungslosem Symbolismus. Waren die Finanzmarktregulierungen vor einer Woche Peanuts, so sind sie heute Peanuts mit Salz. Adressat dieses Aktes von Populismus war nicht die Finanzwelt, sondern das Volk, das endlich Taten sehen will. Ob die Taktik der Regierung aufgegangen ist, lässt sich noch nicht sagen. Noch lassen sich Volk und Medien vom Schattenboxen beeindrucken. Spätestens zum G-20-Gipfel in Toronto jedoch wird die Regierung allerdings in der Bringschuld stehen.