Testosteron soll das Misstrauen gegenüber Mitmenschen fördern

Psychologen meinen, dass dies gegenüber den "sozial Naiven" ein Vorteil für Männer in modernen Gesellschaften - und an Börsen - sein soll

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Testosteron getriebene Männer werden für vieles von Gewalt und Krieg bis hin zum riskanten Verhalten an Börsen verantwortlich gemacht. Und das männliche Sexualhormon soll Männer nicht nur körperlich stärker und aggressiver machen, um im Wettbewerb um knappe Ressourcen bestehen und Dominanz erreichen zu können, sondern es soll auch das Misstrauen gegenüber den Mitmenschen schüren. Das wollen zumindest südafrikanische und holländische Wissenschaftler noch rechtzeitig vor der Fußballweltmeisterschaft herausgefunden haben, wenn Testosteron nicht nur bei den Spielern, sondern auch bei den männlichen Zuschauern in die Höhe schwappt.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, wie sie in ihrem Beitrag für Proceedings of the National Academy of Sciences schreiben, dass Testosteron ein Gegenspieler zum Nähe-Hormon Oxytocin sein könnte, das Vertrauen schafft, aber auch die derart hormonell Gestimmten leichter zum Opfer von Betrügereien werden lässt (Die Basis des Vertrauens). Gleichwohl wird von manchen Wissenschaftlern Oxytocin als eine Ursache dafür gesehen, wie sich Gemeinschaften bilden und zusammenhalten können und Kooperation möglich wird. Offenbar fehlt derzeit in der Finanzwelt, wie man immer wieder hört, das Vertrauen.

Ohne Vertrauen geht alles den Bach hinunter und die Stabilität verloren, dafür gedeihen Egoismus und der Wettbewerb. Gute Zeiten für das Testosteron, das andererseits die Krise mit herbeigeführt haben soll (Testosteron gesteuerte Börsen). Und über ganze Gesellschaften Oxytocin zu versprühen, ist (noch) nicht möglich, auch wenn es in Tests schon erfolgreich bei Versuchspersonen praktiziert wurde (Der Stoff zum Verlieben). Stanislaw Lem hat seine Vision einer solchen Gesellschaft in seinem immer noch sehr lesenswerten Roman "Der futurologische Kongress" anschaulich und witzig geschildert.

Um also zu untersuchen, Testosteron ein biologisches Gegenmittel zum Vertrauenshormon ist, haben sich die Psychologen ein Experiment ausgedacht. Sie verabreichten 12 Frauen im Durchschnittsalter von 20 Jahren eine 0,5 mg Dosis Testosteron, die aus 12 Frauen bestehende Kontrollgruppe erhielt ein Placebo. Nach 72 Stunden wurde Testeron an die Placebo-Gruppe gegeben und umgekehrt. Die Frauen sollten auf einer Skala von -100 bis +100 einstufen, wie vertrauensvoll für sie Gesichter von ihnen unbekannten Menschen wirken.

Die Frauen, die Testosteron erhielten, waren ganz nach der Hypothese der Wissenschaftler misstrauischer. Allerdings wirkte sich das männliche Hormon nicht bei allen gleich aus. Die Frauen, die auch bei Placebos ein geringeres Vertrauen zeigten, reagierten auf das Testosteron praktisch nicht, dafür büssten aber die Frauen, die eher vertrauensvoll sind und daher leichter getäuscht werden können, ihr Vertrauen ein, allerdings auch nur um 5 Prozent.

Testosteron wirkt, die Psychologen diesen Befund auslegen, selektiv auf die Vertrauensvollen oder "sozial Naiven". Daraus wiederum leiten sie ab, dass Testosteron die Menschen an Wettbewerbssituationen anpasst, bei denen es darum geht, misstrauisch zu sein, um Erfolg zu erzielen. Das sei klug und spreche für die Fähigkeit zur rationalen Entscheidung, meinen die Psychologen, also für das Verhalten, das an den Börsen, in der Wirtschaftswelt und überhaupt in der modernen Gesellschaft verlangt werde und keineswegs nur aus ungezügelter Risikobereitschaft abzuleiten ist.

Nun ja, so also wird die Rehabilitierung des Testosteron auch zu einer Hymne auf den Kapitalismus. Zudem werden letztlich auch die Männer als Testosteron bestimmte Wesen als schlauer als die Frauen betrachtet, da diese vertrauensvoller, offener und weniger skeptisch sind. Die Frage wäre allerdings, wenn denn das Ergebnis der Studie zutrifft, ob Testosteron tatsächlich durch die Förderung von Misstrauen adaptiver ist als ein eher vertrauensvoller Zugang zu den Mitmenschen. Allerdings ist – freilich nur ganz intuitiv – auch nicht ganz einleuchtend, warum Frauen immer vertrauensvoller und Männer stets misstrauischer sein sollen, wenn es über den ersten Eindruck hinausgeht.