Krisen und Kondratjew-Zyklen

Nach der Riesenwelle kommt der ökonomische Winter, in dem wir uns gerade befinden

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Bereits im Jahr 1926 erkannte der russische Ökonom Nikolai Kondratjew, dass die Wirtschaft in langen Wellen verläuft. Er gilt deshalb als einer der ersten Vertreter der zyklischen Konjunkturtheorie. Seine Forschungsergebnisse veröffentlichte er als "Lange Wellen in der Konjunktur". In diesem Beitrag beschrieb er, dass die Wirtschaft nicht nur durch kurze und mittlere Konjunkturschwankungen, sondern auch durch lange Wellen geprägt ist, welche die jeweilige Entwicklung einer Epoche kennzeichnen. Daraus folgerte er, dass der Kapitalismus nicht zum Untergang verurteilt ist.

Kondratjew-Zyklen haben eine Dauer von etwa 40 bis 60 Jahren. Bei jedem Zyklus werden von den wirtschaftlichen Akteuren am Schluss immense Schuldenberge aufgebaut. Erst wenn dieser abgebaut wird, kann wieder ein neuer Zyklus beginnen. Ian Gordon aus Kanada weist diesem Zyklus noch vier Jahreszeiten (Phasen) zu:

  • Kondratjew-Frühling: Die Wirtschaft erwacht nach der Schuldenabbau-Phase wieder. Die Stimmung ist optimistisch, aber man ist bei der Kreditvergabe und -aufnahme noch vorsichtig. Kredite werden vorwiegend für Investitionen gegeben.
  • Kondratjew-Sommer: Die Kreditvergabe wird stärker, Inflation setzt ein, Rohstoffe werden knapp, daher kommt es oft zu Verteilungskämpfen.
  • Kondratjew-Herbst: Die Rohstoff-Knappheit geht zu Ende, dafür steigen die Papierwerte von Anleihen, Aktien, Immobilien. Die Verbraucherpreis-Inflation ist gering. Die Konsum- und Staats-Verschuldung erreicht jedoch ungeahnte Ausmasse.
  • Kondratjew-Winter: Es ist Zeit für den Schuldenabbau. Mit einem Börsencrash beginnt eine Zeit der Deflation, d.h. der Wert des Geldes steigt gegenüber denjenigen der Anlagen. Massive Bankrotte stürzen die Wirtschaft in eine Depression.

Da die einzelnen Phasen 10 bis 20 Jahren dauern können, merken die meisten Menschen die tatsächlichen Veränderungen nicht. In jeder Phase des ökonomischen Winters geht das bisherige Finanzsystem in Konkurs und es bleibt ein schmales Zeitfenster im Rahmen dessen völlig neue Lösungsansätze in Wettstreit mit den alten Paradigmen treten können.

Mit seiner Denkhaltung, dass der Kapitalismus sich aufgrund seines zyklischen Modells nach einer Abschwungphase wieder selbst erneuert, geriet Kondratjew mit den russischen Machthabern in Konflikt. Dies führte 1930 zu einer Gefängnisstrafe, die er in Einzelhaft verbrachte. Während der großen Säuberung unter Stalin, die im Jahre 1938 ihren Höhepunkt erreichte, wurde er am 17. September von einem Militärtribunal nach acht Jahren Haft zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag erschossen.

1987 wurde Kondratjew von der Sowjetunion rehabilitiert. Seine Theorie besagt, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Industriestaaten in langjährigen Wellenmustern verläuft. Der österreichische Ökonom Joseph A. Schumpeter prägte ein Jahr nach Kondratjews Tod für lange Konjunkturwellen den Begriff der Kondratjew-Zyklen und erweiterte die Theorie dahingehend, dass er Basisinnovationen als den Ausgangspunkt einer neuen Welle sah. Die jeweiligen Übergänge von einer Epoche zur anderen sind für Schumpeter von einer kreativen Zerstörung geprägt, die sich in schweren wirtschaftlichen Depressionen niederschlagen kann. Je mehr Innovationen in einer Wirtschaftskrise stattfinden, desto nachhaltiger wird sich der Aufschwung einer Volkswirtschaft vollziehen.

Am Ende einer großen Kondratjew-Welle muss es zu Basisinnovationen kommen, wenn der ökonomische Winter möglichst frühzeitig wieder in einen Frühling übergehen soll. In der Aufschwungphase ist es die Aufgabe von Unternehmern, bestehende Innovationen so zu neuen Produkten zu verknüpfen, dass es zu deutlichen Produktivitätssteigerungen kommt. Nach Kondratjew dauert die Phase eines Aufschwungs einer langen Welle etwa 25 Jahre und endet auf ihrem Höhepunkt mit einer Güterknappheit und einer überhitzten Produktion, ein Umstand, den wir auch in China aktuell beobachten können.

In einer solchen Phase wird wenig investiert, dafür umso mehr konsumiert, was uns Amerika mit einer negativen Sparquote im Jahr 2007 deutlich vor Augen führte. Danach kommt es durch zunehmende Verschuldung zunächst zu einer Deflation aller Anlageklassen, die in eine Weltwirtschaftskrise mündet. Während dieser kommt es zu einer etwa 2-3-jährigen Abwärtsspirale der Aktienkurse. Man versucht, diese durch die Notenpresse zu bekämpfen, was im späteren Verlauf zu einem starken Anstieg von Inflation führt. Die Konsolidierungsphase kann 10 bis 15 Jahre dauern, wie das Beispiel Japan während der 90er Jahre zeigte. Erst wenn der Leidensdruck genug groß ist, dass alte Systeme zusammenbrechen und wirklich neue Lösungsansätze die alten ersetzten, kommt es zu einer neuen langjährigen Aufschwungphase. In unserem aktuellen Fall dürfte ein neuer großer Kondratjew-Aufschwung deshalb frühestens ab dem Jahr 2020 bis 2025 einsetzen.

Merkmale der Zyklen

Alle Zyklen haben einen ökonomischen Herbst gepaart mit einer Hausse an den Finanzmärkten und enden in einem ökonomischen Winter. Die bisherigen Herbstphasen waren in den jeweiligen Perioden:

  • 1. Kondratjew: Hausse von 1700 bis 1720
  • 2. Kondratjew: Aktienhausse von 1795 bis 1824
  • 3. Kondratjew: Aktienhausse von 1821 bis 1837
  • 4. Kondratjew: Aktienhausse von 1866 bis 1873
  • 5. Kondratjew: Aktienhausse von 1921 bis 1929
  • 6. Kondratjew: Aktienhausse 60er Jahre (Wirtschaftswunder)
  • 7. Kondratjew: Aktienhausse von 1995 bis 2007,
  • 8. Kondratjew: voraussichtliche Aktienhausse von 2035 bis 2045.

Innovationsbündel

Jeder der Kondratjew-Zyklen mit einer Dauer von 40 bis 60 Jahren wird von grundlegenden Basisinnovationen getragen, welche die jeweilige Produktivität drastisch erhöhen. Fuhr eine Postkutsche um 1700 etwa 2 km/h und konnte 20 bis 30 Kilometer pro Tag zurücklegen, so betrug die Geschwindigkeit um 1850 bereits 10 km/h und es konnten Entfernungen von 100 bis 120 Kilometer pro Tag zurückgelegt werden. Mit der Erfindung der Dampfmaschine wurden Webstühle beispielsweise um den Faktor 200 produktiver, als es ein mechanischer Webstuhl war. Durch die Einführung der Eisenbahn verzehnfachten sich die Geschwindigkeiten gegenüber der Postkutsche. Durch die Einführung des Jet-Flugzeuges wurde die Produktivität des Luftverkehrs hinsichtlich Transportkapazität, Reichweite und Geschwindigkeit gegenüber dem Propellerflugzeug seit dem Jahr 1950 bis heute um mehr als den Faktor 100 gesteigert. Seit der Erfindung der Dampfmaschine hat es bisher sieben Kondratjew-Zyklen gegeben, wobei der 8. Zyklus voraussichtlich in etwa 10 bis 15 Jahren beginnen wird.

Bei allen Kondratjew-Zyklen handelt es sich um Primärtrends, wohingegen Konjunkturzyklen beziehungsweise Finanzkrisen in so genannten Sekundärtrends auftreten. So befanden sich die Märkte von 2000 bis 2002 in einem fallenden Sekundärtrend, ausgelöst durch den Nasdaq-Bubble. Bei den so genannten tertiären Trends spielen nicht die ökonomischen Entwicklungen die Rolle, sondern vor allem die so genannte Markttechnik.

Eine schwache Markttechnik, wie in den Jahren 2007/2008, die von einem konjunkturellen Abwärtszyklus begleitet ist, dürfte sich im übergeordneten Kondratjew-Zyklus langfristig als ökonomischer Winter manifestieren. Dieser wird erst überwunden werden, wenn die Unzufriedenheit der jungen Generation mit den Lösungen der heutigen Generation ein revolutionäres Maximum erreicht und dadurch eine neue Megawelle in Form des 8. Kondratjew-Zyklus auslöst. Die Erfindung der Software I-Matrix, welche universell für viele komplexe Problemlösungen einsetzbar ist, ist bereits eine Basisinnovation für den nächsten Aufschwungzyklus, der durch Nichtlinearität geprägt sein wird.

Sex ist der beste Konjunkturmotor

Der Grund, warum es mit einer Zeitverzögerung von etwa 46,5 Jahren zu Spitzen im Konsum kommt, ist dass die jeweilige Boom-Generation etwa in diesem Alter am meisten Geld ausgibt. Das diese Zeitzyklen in etwa den Zeithorizonten des Kondratjew-Zyklus entsprechen ist nicht überraschend. Die Phasen der ökonomischen Expansion im Rahmen von großen Bull-Märkten dauern hierbei etwa 26 bis 29 Jahre an, während die Phasen der Kontraktion etwa 12 bis 14 Jahre anhalten.

Es sind also nicht tiefe Zinsen, die die Wirtschaft vorantreiben, sondern es ist schlicht und einfach das Konsumverhalten. Die Wirtschaftskrise in Japan ist deshalb in erster Linie demographisch bedingt und hält im Übrigen bereits nahezu 11 Jahre an, weil in Japan die letzte Babyboom-Phase während des 2. Weltkrieges stattfand, d.h. etwa 10 Jahre früher als in den USA. Die geheime Quelle der Technologiezyklen ist deshalb der demographische Faktor. Und hier helfen teure Konjunkturprogramme im Grunde genommen gar nicht. Sex ist der beste Konjunkturmotor! Allerdings mit einer eingebauten Zeitverzögerung von einigen Jahrzehnten.

Dieser einfache Tatbestand ist die Erklärung dafür, dass die Demographie in den Wirtschaftstheorien geleugnet wird. Um die Mächtigkeit der kommenden Hyperdepression zu verstehen, muss man sich die Tatsache vor Augen halten, dass die heutige Baby-Boomer-Generation dreimal so groß ist, wie bisherige Geburtenwellen. Die Analogie, die Aktienkursentwicklungen mit Wellenbewegungen zu vergleichen, gewinnt durch die Berücksichtigung des demographischen Faktors eine neue Anschaulichkeit. So erzeugt die schlichte Anzahl der Prosumenten der Baby-Boom-Generation eine ökonomische Welle größten Ausmaßes. Dass die dem Riesenboom nachfolgende Depression wahrscheinlich auch die mächtigste sein wird, die die Welt bisher gesehen hat, dürfte deshalb niemanden überraschen, der sich mit langen Zyklen befasst.

Der Multi-Kondratjew und der zukünftige Zyklus

Während der Westen versucht, mit seinen etablierten Industrien international wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Länder wie China eine Vielzahl von Kondratjews überlagern, um den Anschluss im Wettbewerb der Nationen halten zu können. Hierbei ist die chinesische Volkswirtschaft durch das gleichzeitige Auftreten mehrerer Basisinnovationen geprägt, was Röpke als Multi-Kondratjew bezeichnet. Dies liegt daran, dass der Kommunismus in China verhindert hat, dass das Land an den bisherigen Wellen in vollem Umfang partizipieren konnte.

Je mehr das Land jedoch technologisch aufholt und durch seine billige Währung weltweite Devisen einsammeln kann, desto wettbewerbsfähiger wird es in den nächsten Jahren werden. Durch das Kopieren von bisherigen Lösungsansätzen und einem massiven Kostenvorteil im Bereich der Lohnkosten wird China künftig nicht nur bei den bisherigen Basisinnovationen zu einem bestimmenden Faktor, sondern auch bei den zukünftigen Basisinnovationen wie Anti-Aging, Molekulartechnik, Robotik, Hyperschallflugzeugen oder Raumtransportern.

Diesbezüglich werden neue Techniken, wie Healthcare, Solartechnik, Bionik, Nano-Maschinen und Weltraumstationen, zu einem wesentlichen Wachstumsmotor der chinesischen, aber auch der indischen Volkswirtschaft avancieren. Damit sind beide Länder Anwärter darauf, den nächsten Kondratjew-Zyklus zu dominieren. Allerdings reicht es für Länder wie China und Indien nicht aus, nur Kapital zu akkumulieren und Know-how zu importieren, vielmehr müssen auch soziale und politische Innovationen in Angriff genommen werden.