Kopfpauschale belastet Geringverdiener stärker

Neben hohen Bürokratiekosten müsse man auch mit schnell steigenden Prämien rechnen, so eine Studie der Böckler Stiftung

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Das Projekt der Steuersenkung mussten die Liberalen erst einmal streichen. Jetzt heißt es, man müsse erst sanieren und dann entlasten. Auch die Einführung eines Mindestlohns im Pflegebereich mussten die Liberalen widerwillig schlucken. Noch aber halten sie an ihrem zweiten Hauptprojekt fest: der Einführung der Kopfpauschale oder, im FDP-Jargon, der "einkommensunabhängigen Gesundheitsprämie" für die Krankenversicherung.

Grafik aus aus Böckler Impuls 8/2010

Auch da ist man schon einmal einen Schritt zurückgegangen, zumal von Byaerns Ministerpräsidenten noch immer ein entschlossenes Nein kommt. FDP-Gesundheitsminister Rösler meinte, die Einführung werde "schrittweise" kommen. Versprochen wird, dass die Kopfpauschale gerechter sei, weil Niedrigverdiener einen Ausgleich durch Steuern erhalten, wodurch alle Einkünfte berücksichtigt würden. Das klingt erst einmal gut, gleichwohl werden Besserverdienende entlastet, weil die Prämie nicht mit dem Einkommen wächst. Entlastet würden auch Unternehmen, die nur noch einen fixen Beitrag beisteuern sollen.

Kosten soll die Pauschale nach FDP-Vorstellungen dem Staat jährlich 10 Milliarden, bei dem geplanten Einstieg mit einer niedrigeren Prämie entsprechend weniger. Es gibt allerdings andere Berechnungen, beispielsweise vom Finanzministerium, das von bis zu 35 Milliarden ausgeht (Die Gesundheitskostenbombe tickt). Warum die Prämie den Wettbewerb sichern soll, bleibt ein Geheimnis der FDP. Klar dürfte sein, dass damit gerade in Zeiten, in denen Sparen angesagt ist, eine Spirale nach unten zu einer Mindestversorgung in Gang gesetzt wird, für die bessere Versorgung muss dann zusätzliche gezahlt werden – ohne Steuerzuschuss.

Die FDP verspricht, dass mit der Einführung der Pauschale kaum zusätzliche Bürokratiekosten entstünden, weil dies meist automatisch erfolgen soll. Das wird allerdings bezweifelt, Kritiker rechnen mit hohen Bürokratiekosten. Das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie an der Universität Köln, dessen derzeit beurlaubter Direktor Karl Lauterbach (SPD) ist, hat ausgerechnet, dass dann, wenn die Kopfpauschale schrittweise, beispielsweise mit einer andiskutierten Einstiegspauschale von monatlich 29 Euro, begonnen würde, dies die geringen Einkommen stärker als die höheren belasten würde. Wer 1.000 Euro brutto im Monat verdient, müsste 20 Euro mehr bezahlen, was einer Erhöhung des Beitragssatzes von jetzt 14,9 auf 16,9 Prozent entspräche. Erst ab einem Monatseinkommen von 3.500 Euro würde sie billiger werden.

Grafik aus Böckler Impuls 8/2010

Der Gesundheitsökonom Stefan Greß an der Hochschule Fulda und die Gesundheitsexpertin Simone Leiber vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) des Böckler Instituts schätzen auf der Grundlage des niederländischen Gesundheitssystems, dass durch eine Kopfpauschale die laufenden Verwaltungskosten um mindestens 250 Millionen Euro ansteigen würden, um den Sozialausgleich zu organisieren. Gelder, die für den Aufbau investiert werden müssten, sind darin nicht enthalten.

Überdies machen sie deutlich, dass die Pauschale mit steigenden Gesundheitskosten schnell anwachsen würde: "Mit jeder Milliarde Euro, um die sich die Gesundheitsausgaben erhöhen, steigt die Pauschale bei rund 50 Millionen gesetzlich Versicherten um 20 Euro pro Kopf und Jahr. Zwischen 2007 und 2010 sind die Ausgaben der gesetzlichen Kassen um rund 20 Milliarden Euro gewachsen. Das heißt: In diesem Zeitraum hätte ein Pauschalbeitrag schon um 400 Euro pro Person und Jahr angehoben werden müssen." In den Niederlanden werde auch derzeit vom Finanzminister "eine drastische Ausweitung der Selbstbeteiligungen von 150 Euro auf 750 Euro pro Jahr und eine Reduzierung des Leistungskatalogs diskutiert", sagen Greß und Leiber.

Grafik aus Böckler Impuls 8/2010