Empathie trocknet bei der "Generation Ich" aus

Nach einer Studie ist bei US-Studenten die Empathie in den letzten 30 Jahren drastisch gefallen, besonders stark ab dem Jahr 2000

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Die Menschen werden immer egoistischer und selbstbezogen. So warnen nicht nur Kulturkritiker, die gerne zu Untergangsszenarien neigen, sondern das wollen nun Psychologen der University of Michigan herausgefunden haben. Für die, die von Sarah Konrath auf dem Jahrestreffen der Association for Psychological Science vorgestellt wurde, werteten die Wissenschaftler 72 Untersuchungen aus, die Daten von fast 14.000 Studenten (63 Prozent weiblich) zwischen 1979 und 2009 über die Empathie enthielten, also über Vorhandensein oder Fehlen von Einfühlungsvermögen in Andere, das auch pro- bzw. antisoziales Verhalten stärkt.

Die Psychologen kommen zum Ergebnis, dass die heutigen Studenten weniger Empathie haben als diejenigen in den 1980er und 1990er Jahren. Einen besonders großen Rückgang soll es nach 2000 gegeben haben, wobei es seitdem weiter nach unten ging. Ob das auch damit zu tun hat, dass der an Macht und puren Kapitalismus orientierte Bush an die Macht kam, die Dotcom-Blase platzte und der Krieg gegen den Terror startete, geht aus den Daten nicht hervor, könnte aber wohl damit zu tun haben. Schließlich ist auch zuvor der Wirtschaftsliberalismus, bei dem individuelle Bereicherung, Konkurrenz und Ablehnung des Sozialstaats einen hohen Wert besitzen, in den westlichen Ländern als Ideologie und Praxis stärker geworden und hat sich dadurch auch die Schere zwischen Ärmeren und Reicheren immer stärker geöffnet.

Nach Konrath erzielen die heutigen Studenten nach dem standardisierten Empathietest Interpersonal Reactivity Index (IRI) um 40 Prozent niedrigere Empathie-Werte als die Studenten vor 20 oder 30 Jahren. Beim IRI wird eruiert, ob jemand bereit ist, sich in einen Anderen hinzuversetzen, um diesen zu verstehen, ob er sich auch mit Fantasie in die Gefühle von Charakteren in Filmen oder Büchern hineinversetzen kann oder will, ob Mitleid oder Sorge empfunden wird und ob negativer Stress bei zwischenmenschlichen Beziehungen entsteht. Die Psychologen haben einen Test online gestellt, so dass jeder mal schauen kann, wie es um seine Empathie steht.

Während die Empathie-Werte seit den 1980er Jahren sanken und ebenso auch die Bereitschaft fiel, die Perspektive eines Mitmenschen zu übernehmen, blieben die Werte für Fantasie und negativen Stress aber konstant.

Das Ergebnis sei beunruhigend, da sinkende Empathie mit steigendem antisozialen und aggressiven Verhalten korreliert ist. Treffen die Ergebnisse der Studie zu, dann schwindet die Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen oder mit ihnen zu kooperieren. Tatsächlicbh sprechen zahlreiche Forscher von einem wachsenden Narzissmus und Individualismus sowie einem Anstieg der Selbstbezogenheit und der Selbsteinschätzung. Die jetzige Studentengeneration, so Konrath, gelte als "Generation Me" und werden von vielen als Generation, die bislang am stärksten "selbstzentriert, narzisstisch, konkurrierend, selbstsicher und individualistisch" sei: "Es überrascht nicht, dass diese wachsende Selbstwertschätzung von einer entsprechenden Abwertung der Anderen begleitet wird."

Die Psychologen machen für den Rückgang der Empathie vornehmlich die Medien verantwortlich. Die Amerikaner müssten nun dreimal so viel nicht mit der Arbeit verbundener Information verarbeiten als vor 30 Jahren. Dazu käme, dass die heutige Generation mit Computerspielen aufgewachsen sei, deren Gewaltinhalte sie gegenüber den Schmerzen der Anderen abstumpft. Und dann seien da noch die sozialen Medien des Web 2.0, die es so leicht machen, Freunde zu gewinnen und sich wieder auszuklinken, wenn es zu Problemen kommt. Reality Shows würden eine Atmosphäre der scharfen Konkurrenz und übertriebene Erfolgsversprechungen mit sich bringen, die Ruhe, Zuhören und Sympathie schwer machen. Und überhaupt würden die Studenten heute so sehr mit sich beschäftigt sein, dass sie eben keine Zeit für Andere hätten. Aber diese Deutung könnte selbst dem Zeitgeist der jungen Psychologen entsprechen, die offenbar vor allem in der Medienwelt leben.