Wer bestimmt darüber, was die Palästinenser brauchen?

Die Free-Gaza-Flotte, Hilfsgüter für Gaza und das Propagandascharmützel

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Wann auch immer die Flotte die Gewässer erreicht, vor deren Befahren die israelische Marine seit Tagen warnt, ob noch heute nacht oder in den Morgenstunden oder später, die Aufmerksamkeit der Medien ist garantiert. Der Konvoi aus neun Schiffen, beladen mit Hilfsgütern für die Bevölkerung des Gazastreifens, an Bord geschätzte 800 Sympathisanten, darunter einige Prominenz, wird sein Ziel, einen Hafen an der Gaza-Küste, nicht erreichen. Die israelische Marine wird das, wie angekündigt und aller Wahrscheinlichkeit nach, verhindern. Möglicherweise könnte es zu Auseinandersetzungen kommen, die man von Greenpeace-Aktionen kennt, David gegen Goliath, wobei die Schiffe der Free-Gaza-Flotille beachtliche Größe haben. Sicher ist, an der miserablen Situation der Bewohner des Gazastreifens wird sich dadurch unmittelbar nichts ändern. Die Ankunft der Freiheitsflottille ist vor allem ein Medienereignis. Ihm liegen, wie gehabt bei dem Konflikt zwischen Palästinenser und Israel, völlig unvereinbare Positionen und Interessen zugrunde; Info-War, Propaganda und Aufklärung vermischen sich zu einem unauflösbaren Knäuel.

Das israelische Presseamt versuchte, dem üblichen Hin und Her der Argumente eine eigenwillig humoristische Spitze aufzusetzen: Mit Witzen über die „angeblich notleidenden Palästinenser“. In einer offiziellen Pressemitteilung wurde Auslandskorrespondenten empfohlen, „unbedingt den "Roots Club und Restaurant" in Gaza zu besuchen“, wie Ulrich Sahm berichtet:

Exzellent seien deren Rinder-Stroganoff und eine Creme-Spinat-Suppe. Das Presseamt, von manchen Journalisten auch "Propagandaministerium" bezeichnet, fügte der Pressemitteilung auch gleich den Link zur Speisekarte des Restaurant bei, mitsamt dem Selbstlob "Eine Symphonie der Bedienung" und dem "Perfekten Ort fürs Dinner bei besonderen Ereignissen in Gaza" Es scheint kein Mangel in Gaza zu herrschen, weder an Meeresfrüchten noch Forellen, bestem Rindfleisch und Hühnchen, wenn man die auf 15 Seiten aufgelisteten Speisen des Menüs durchgeht. Das israelische Presseamt empfiehlt, rechtzeitig einen Tisch zu bestellen.

Man wolle damit „prüfen, ob die Auslandspresse in Israel überhaupt noch eine Spur von Humor hat, so der Leiter des Presseamtes. Zynisch? Ja, mit Absicht. "Mit Zynismus", so zitiert Sahm den israelischen Presseamtschef, „wolle man den in Israel akkreditierten Journalisten mitteilen, dass die Lage in dem Küstenstreifen keineswegs so schrecklich sei, wie in der Propaganda und in vielen Medienberichten oft dargestellt.“

Propaganda!

Von „gewaltsamer Propaganda“, die gegen die Souveränität Israel gerichtet ist, sprach gestern auch der israelische Außenminister Avigdor Lieberman und betonte:

Israel wird es nicht zulassen, dass seine Souveränität in irgendeiner Weise, an irgendeinem Ort, ob an Land, in der Luft oder zu Wasser bedroht wird.

Diplomaten jener Länder, aus deren Häfen die kleine Flotte auslief, also Irland, Griechenland und die Türkei, wurden vom israelischen Außenministerium zu Treffen gebeten, wo man ihnen nahelegte, diese Kampagne nicht zu unterstützen.

Keine humanitäre Krise in Gaza!

Wie zu erwarten, bestritt Lieberman vehement das Hauptargument der Free-Gaza-Bewegung: „Es gibt keine humanitäre Krise im Gazastreifen“, sagte der Außenminister in einem Radiointerview, „trotz der Kriegsverbrechen der Hamas gegen israelische Bürger und tausenden von Raketen, die auf israelische Städte gefeuert werden, bleibt Israel dabei, darauf auf die humanste Weise, die irgendmöglich ist, zu antworten.“

Laut Lieberman läßt Israel täglich Tonnen an Produkten in den Gazastreifen hinein. Auch Verteidigungsminister Ehud Barak und General Yossi Gal vom Außenministerium betonten, dass es keine humanitäre Krise im Gazastreifen gebe. „Tonnenschwere Argumente“ dafür, dass die Bevölkerung des Gazastreifens aus Sicht israelischer Regierungsvertreter ausreichend versorgt werden, gibt es in zahlreichen Veröffentlichungen zu hören, zu sehen und auch in deutscher Sprache nachzulesen (siehe auch BAK Schalom).

Unbeirrte Flotilla-Organisatoren

Trotz der Warnungen Israels, die Schiffe abzufangen, wenn nötig mit Gewalt, sobald sie in Gewässer kommen, die von Israel kontrolliert werden, kündigten die Organisatoren der „Freedom Flotilla“ an, dass man dabei bleibe, Ziele in Gaza anzusteuern. Das Angebot, die Hilfsgüter für Gaza im israelischen Hafen Ashdod zu löschen, nahmen sie nicht an. Die israelische Regierung hatte vorgeschlagen, die Hilfsgüter nach ausgiebiger Untersuchung nach Gaza zu bringen.

Israelische Küstenschutzverbände wollen eingreifen, sobald die Schiffe in eine Zone kommen, die 20 Seemeilen von der Küste des Gazastreifens entfernt beginnt. Laut Außenministerium will man Schiffe, die sich nicht an diese Grenze halten, nach Ashodot schleppen. Die Ausländer an Bord wolle man dann der Grenzpolizei aushändigen, um sie dann auszuweisen. Man werde nicht zögern, „begrenzt Gewalt“ anzuwenden, wenn sich die Schiffe nicht an die Anweisungen der israelischen Behörden halten, warnten israelische Regierungsvertreter.

Die Gegenseite

Wer jemals einen Blick in die zahlreichen Veröffentlichungen der Ha'aretz-Korrespondentin Amira Hass geworfen hat, erkennt sehr bald, welche eklatanten Wahrnehmungslücken die offizielle Darstellung der israelischen Regierung bestimmt. Der „Wirtschaftsboykott“, den Israel gegen den Gazastreifen verhängt hat, um der Hamas, die Israels Existenzrecht nicht anerkennt, die Existenz so schwer wie möglich zu machen, geht auf Kosten der Bevölkerung. Sie gehört zu den ärmsten der Welt, mit miserablen Lebensbedingungen - gesundheitsgefährdendes Trinkwasser, außerordentlich hohe Kindersterblichkeit, es fehlen Krankenhäuser, Schulen (mehr als die Hälfte der Bewohner sind minderjährig), Arbeitsplätze, Baumaterial, alles, was im Nachbarland selbstverständlich ist.

Wie bedürftig die Situation der Palästinenser im Gazastreifen jenseits der offiziellen israelischen Berichte aussieht, darüber gibt nicht nur Allegra Pacheco, eine amerikanische Anwältin jüdischer Herkunft, die sich für die Free-Gaza-Flotte engagiert, in unmissverständlichen Schilderungen Auskunft, sondern auch Lageberichte von Organisationen, die mit der UN zusammenarbeiten. Die Einschätzung von Filippo Grandi, dem Commissioner-General der UN-Behörde für palästinensische Flüchtlinge, UNRWA steht diametral dem entgegen, was weiter oben zitiert wurde:

Sehr oft fragen mich Journalisten, ob ich die Krise in Gaza als humanitär definiere und gebe darauf diese Antwort: Sie geht weit über „humanitär“ hinaus. Es ist viel schwerwiegender. Auf eine humanitäre Krise kann man mit Medikamenten und Nahrung reagieren; dies hier ist gravierender. Es ist vor allem eine wirtschaftliche Krise – die Bevölkerung ist sehr arm. Es ist eine Krise der Institutionen und eine Krise der Infrastruktur. Es braucht Jahre, um das in Ordnung zu bringen.

Alles Propaganda? Für die israelische Regierung stehen UN-Vertreter und insbesondere solche der UNRWA meist im Verdacht der Einseitigkeit; der Argwohn, dass sie sich von palästinensischer Seite instrumentalisieren lassen gegen die vitalen Interessen Israels, bestimmt die grundsätzliche Strategie im Umgang mit ihnen.

Islamisten, Dschihadisten, Ärzte und Journalisten!

Von dieser Grundlinie aus ist es nicht weit, die Interessen der Palästinenser mit politisch verdächtigen Gruppierungen aller Couleur - nicht nur Islamisten - zu verbinden. Ein beredtes Beispiel dafür gibt der Hintergrundbericht zur Freiheits-Flottille von Camera, einem Komittee, das sich ähnlich wie hierzulande Honestly Concerned der Genauigkeit der Berichterstattung aus dem Nahen Osten verschrieben hat und auf propagandistische Einseitigkeit setzt. Schenkt man ihrer Analyse Glauben, so segelt die Freiheitsflottille ganz klar auf radikalem Kurs, kommunistisch, militant, islamistisch, dschihadistisch:

Missing from all coverage thus far is any indication of the radical nature of the organizations sponsoring the flotilla. To characterize them as "pro-Palestinian," while accurate, hardly conveys adequately who they are and what they promote. The organizations include far-left individuals, such as members of the Communist Party in Sweden and members of the extremist International Solidarity Movement which advocates "armed struggle" against Israel as well as Islamist groups fronting for Hamas and with ties to the global jihad and Al Quaeda.

Und nicht zu vergessen, die Schlimmsten unter den „Palästinensergroupies“: Akademiker, Schriftsteller, Ärzte, gewählte Vertreter und Journalisten:

The flotilla includes cargo and passenger ships, the latter carrying as many as a thousand pro-Palestinian figures, among them radical academics, writers, physicians, elected officials – and journalists.

Sieht man über die Federn der aufgeplusterten Gegen-Propaganda hinweg, bleibt der Fakt, dass die israelische Regierung bestimmt, was die Palästinenser brauchen, mit radikaler Härte und Ignoranz.