Kalte Steuererhöhungen

Wo und wie die Regierung Abgaben verstecken kann

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Vor der Bundestagswahl im Herbst 2009 versprachen Union und FDP Steuersenkungen für breite Bevölkerungsschichten. Doch nach dem Sieg der beiden Parteien kristallisierte sich immer stärker heraus, was Finanzwissenschaftler mit Hinweis auf Bailout-Kosten, die "Schuldenbremse", das Brüsseler Defizitverfahren und die Währungsstabilitätsvoraussetzungen bereits vorher angemerkt hatten: dass solche Steuersenkungen angesichts der haushaltspolitischen Anforderungen eine Illusion sind. Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen stehen Union und FDP übereinstimmenden Medienberichten zufolge kurz davor, ähnlich zu handeln wie Gerhard Schröder und die Grünen vor ihnen: Nämlich ihre Wahlversprechen nicht nur zu brechen, sondern sie in ihr Gegenteil zu verwandeln.

Allerdings dürften die Regierungspolitiker mit begrifflichen Tricks auch dann noch behaupten, sie würden keine Steuererhöhungen vornehmen, wenn die Abgabenlast der Bürger deutlich steigt. Denn so wie man Krieg und Zensur verschiedene Namen geben kann, lassen sich auch für Steuern solche finden. Da passt dann auch wieder zusammen, dass Finanzminister Schäuble "Belastungen" für die Bürger ankündigt und Wirtschaftsminister Brüderle im Hamburger Abendblatt gleichzeitig meint: "Steuererhöhungen wird es mit der FDP nicht geben".

"Vereinfachung" des Steuersystems

Ein auch in der Privatwirtschaft gerne eingesetzter Begriff zum Verkaufen von Preiserhöhungen ist die "Vereinfachung". Ihn nutzten zum Beispiel Telekommunikationsdienstleister ausgiebig. Die "Vereinfachungen" im Steuersystem, die auf der kommenden Kabinettsklausurtagung diskutiert werden sollen, betreffen vor allem Gering- und Durchschnittsverdiener und wirken sich für diese faktisch wie Erhöhungen aus - selbst wenn Sätze gesenkt werden. In Vorbereitung solcher "Vereinfachungen" werden die bisherigen Regelungen für die Versteuerung von Nachtarbeit und die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz zudem PR-rhetorisch geschickt als "Subventionen" verkleidet und damit in einen Topf mit dem Geld geworfen werden, das man an Konzerne, Sportvereine, Großgrundbesitzer und Opernfans verteilt.

Norbert Barthle. Bild: Pressefoto.

Eine besonders verlockende "Vereinfachung" wäre für die Koalition eine "Bereinigung der Mehrwertsteuersätze", wie sie der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle in der Bild-Zeitung umschrieb. Sie hätte laut Barthle natürlich "nichts mit Steuererhöhungen zu tun" und würde der Regierung bei einer Beibehaltung des dann auch für Lebensmittel und Druck-Erzeugnisse geltenden Mehrwertsteuersatzes in Höhe von 19 Prozent bis zu 20 Milliarden Euro in die Kasse spülen.

Und eine solche Maßnahme würde vor allem Geringverdiener und Transferleistungsempfänger treffen: Sie müssen ihr Geld nämlich zu einem weit höheren Anteil für Lebensmittel ausgeben. Wenn ein Abgeordneter mit 11.536 Euro Bruttoeinkommen 300 Euro netto monatlich für Lebensmittel ausgibt und ein Geringverdiener mit 1000 Euro Bruttoeinkommen 200, dann zahlt der Abgeordnete bei einer Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes für Lebensmittel von 7 auf 19 Prozent absolut 36 Euro mehr und der Geringverdiener 24. Für den Abgeordneten sind das etwa 0.3 Prozent seines Einkommens, für den Geringverdiener 2,4 Prozent.

Kopfpauschale und Haushaltspauschale

Ein anderer Trick, mit dem zusätzliche Belastungen begrifflich versteckt werden, sind Zwangsgebühren: Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll beispielsweise die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kopfpauschale nicht statt des, sondern zusätzlich zum bisher üblichen Krankenversicherungsbeitrag erhoben werden und zwischen 15 und 30 Euro liegen. Statt des "Sozialausgleichs" über Steuermittel, der, wie die Befürworter einer Kopfpauschale stets betonten, auch Einkommen aus Vermögen und privat Versicherte mit einbezogen hätte, soll es nun innerhalb des Systems einen solchen geben. Zahlen müssen ihn deshalb nicht Besserverdiener, die sich über die Bemessungsgrenze weiterhin aus dem Solidarsystem verabschieden können, sondern unter anderem Freiberufler und Selbstständige, bei denen die Kassen häufig auch dann den Höchstsatz kassieren, wenn sie sehr viel weniger Geld erwirtschaften als die fiktiv angesetzten 3.750 Euro monatlich.

Eine weitere Pauschale zur heimlichen Gebührenerhöhung ist in einem Bereich geplant, in dem man nach der von Bürgern in Umfragen geäußerten Meinung (ebenso wie bei Verteidigung, Beamten und Kultur) wunderbar kürzen könnte: bei ARD und ZDF. Für diese beiden Rundfunkanstalten wollen die Kultusminister der Länder in einer Konferenz am 9. Juni die bisherige geräteabhängige Rundfunkgebühr in eine Art Kopfsteuer umwandeln, die unter Umkehr der Beweislast von jedem Haushalt zu zahlen wäre.