Hoppla, da habe ich doch versehentlich für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt

Smile29, das "Frühwarnsystem gegen Pädophilie und sexuelle Belästigung" (im Internet) ist ein Pauschalpaket samt Vorratsdatenspeicherung - nur wird davon nie gesprochen.

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Es ist eher selten, dass Abgeordnete einen Fehler öffentlich eingestehen. Noch seltener dürfte es vorkommen, dass sie öffentlich mitteilen, sie seien mehr oder minder hinters Licht geführt worden. Eben dies geschieht derzeit jedoch im Fall der Erklärung Nummer 29.

Ich möchte Dich davon in Kenntnis setzen, dass ich zusammen mit meiner Kollegin Anna Zaborská die Schriftliche Erklärung Nr. 29 eingereicht habe, in der die Einrichtung eines Europäischen Frühwarnsystems gegen Pädophilie und sexuelle Belästigung gefordert wird. Die sorglose Kindheit unserer Nachkommen ist Unterpfand für eine tragfähige Zukunft unserer und ihrer Europäischen Union. Jede Form von Gewalt, die eine Frau oder ein Kind erleidet, bedeutet eine unauslöschliche Niederlage für die Regeln des Zusammenlebens der Bürger. Wir wären Dir dankbar, wenn auch Du Dich wie schon viele andere Kolleginnen und Kollegen vor Dir dieser wichtigen Initiative anschließen und die Schriftliche Erklärung Nr. 29 zur Schaffung eines europäischen Frühwarnsystems gegen Pädophilie und sexuelle Belästigung unterzeichnen würdest.

So lautet der eindringlich verfasste Text zur Seite "Smile29", die von den beiden Abgeordneten Tiziano Motti und Anna Záborská initiiert wurde. In 22 europäischen Sprachen wurde dieser Aufruf verfasst und begleitet wird er von einer grafisch eindeutig aufbereiteten Seite: Mit großen kummervollen oder verängstigten Augen blickt das Kind in die Kamera, der Teil, der den Mund zeigt, ist wie ausgerissen. Nein, ein Lächeln (Smile) ist hier nicht möglich "Stoppt sexuelle Belästigung, stoppt Pädophilie, stoppt Kinderpornographie" wird in Großbuchstaben gefordert, die rote Farbe wirkt dramatisch bei der ansonsten in Grautönen gehaltenen Seite. Keine Frage, hier geht es um das Wohl der Kinder, hier muss man unterzeichnen.

Eben dies schien sich unter anderem auch Cecilia Wikström gedacht zu haben, die sich unter den über 300 Unterzeichnern der Erklärung Nr. 29 findet. Oder vielmehr: fand. Denn Frau Wikström, die man nicht mit der EU-Kommissarin Cecilia Malmström verwechseln sollte, hat ihre Unterschrift nunmehr zurückgezogen, nachdem sie von Seiten engagierter Bürgerrechtler und Datenschützer darüber aufgeklärt wurde, was sie da eigentlich unterzeichnet hat.

VDS? Welche VDS?

Denn die Erklärung Nr. 29 enthält in ihren Forderungen eine kleine "Fußnote", die nicht näher erläutert wurde - quasi huckepack sollte hier im Zuge des "Kampfes gegen Kinderpornographie im Internet" die schlechte alte Vorratsdatenspeicherung mitbefürwortet werden. Per Massenmailing wurden alle europäischen Abgeordneten von den Initiatoren der Erklärung Nr. 29 darum gebeten, eben jene Erklärung zu unterzeichnen, ohne eindeutig darauf hinzuweisen, dass die derzeit stark umstrittene Methode der Vorratsdatenspeicherung damit auf ein neues juristisches Fundament gehoben werden sollte. Und die Data Retention (=VDS) sollte dann, natürlich auch im Zuge des Frühwarnsystems für Kinder, auch auf Suchmaschinen ausgeweitet werden.

Zu Recht fragt sich Cecilia Wikström nunmehr, warum zum einen auf diesen Punkt nicht dediziert eingegangen wurde und zum anderen nicht näher erläutert wurde, inwiefern eine solche Maßnahme überhaupt zu einem Frühwarnsystem für Kinder beitragen könnte.

Die schriftliche Erklärung sollte ein Frühwarnsystem zum Schutz der Kinder sein. Langfristige Speicherung der Daten von Bürgern hat nichts mit einem "Frühwarn(system)", zu welchem Zweck auch immer, zu tun. [...] Beide Emails, die an die Abgeordneten des EU-Parlamentes gesandt wurden, konzentrierten sich auf ein Frühwarnsystem und erwähnten die Direktive zur Vorratsdatenspeicherung nicht. Die Webseite, die die schriftliche Erklärung unterstützen sollte, enthält ebenfalls keine Erwähnung der Vorratsdatenspeicherung, jedenfalls nicht in einer offensichtlichen Art und Weise. Die Erklärung selbst erwähnt die VDS nicht einmal wörtlich, sondern lediglich in Form einer Referenz.

Hier wurde einmal öfter "Missbrauch mit dem Missbrauch" betrieben, indem unter dem Deckmantel des Kinderschutzes eine bereits umstrittene Maßnahme wie die VDS von Abgeordneten unterstützt werden sollte, ohne dass dies in irgendeiner Form direkt ausgesagt wird. Eine ähnliche Mogelpackung kennt man aus deutschen Landen, als die VDS durch einen "Gesetzesantrag zur Verbesserung der Ermittlungsmaßnahmen wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern" hoffähig gemacht werden sollte.

Es ist erfreulich, dass Cecilia Wikström hier ihren Fehler einsieht und hoffentlich folgen etliche Abgeordnete ihrem Beispiel. Ob die beiden Initiatoren von Smile29 nun vorsätzlich oder fahrlässig die VDS propagierten, sei einmal außen vor gelassen - den Abgeordneten sollte jedenfalls klar werden, dass es unsinnig ist, allzu schnell Erklärungen zu unterzeichnen. Eine Regel, die eigentlich jederman kennen sollte, lautet: zunächst das Kleingedruckte lesen. Dass gerade die EU-Abgeordneten beim Thema Kinderschutz weiterhin bereit sind, Blankovollmachten auszufüllen und erst von engagierten Bürgern auf die Tricksereien anderer hingewiesen werden müssen, ist jedenfalls kein wirkliches Zeichen für Kompetenz derjenigen, die formale Regeln für alle europäischen Bürger und Einwohner abstimmen und legitimieren.