Junge Muslime und Gewaltbereitschaft

Reaktionen auf die Pfeiffer-Studie: Der Generalsekretär im Zentralrat der Muslime beklagt das Fehlen einer "seriösen Expertise". Die Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime moniert "eine Folge der Verharmlosung von fatalen Entwicklungen im Islam"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Je stärker männliche muslimische Jugendliche in ihrem Glauben verankert sind, umso mehr stimmen sie „Machonormen“ zu, umso häufiger bevorzugen sie „gewalthaltige Medien“ und haben häufiger „delinquente Freunde“ als Vergleichsgruppen. Dazu kommt, dass sie „umso schlechter integriert sind, je mehr sie religiös gebunden sind“.- das sind die Schlüsselergebnisse einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zur „Religion, Integration und Delinquenz junger Menschen in Deutschland“ (Zusammenfassung; siehe dazu auch Junge männliche Macho-Muslime), die seit dem Wochenende für einiges Aufsehen in der Öffentlichkeit sorgt.

Eine genauere Bewertung der Studienergebnisse, die dessen Autor Christian Pfeiffer selbst "schwierig" findet, durch die großen muslimischen Verbände in Deutschland steht noch aus. Weder auf den Seiten des Islamrats, noch auf der Site des Zentralrats der Muslime, der DITIB oder Milli Görus IGMG finden sich zur Stunde Reaktionen. Einzig Aiman Mazyek, Generalsekretär im Zentralrat der Muslime, äußert sich in der Frankfurter Rundschau heute zur Studie. "Es fehlt die seriöse Expertise über die Ursache des Phänomens", beklagt Mazyek.

Diffuse Religiösität, krankhafte Abwehrmechanismen

Er bestreitet nicht, dass es gewaltbereite Gruppen gebe, bezweifelt aber ihre religiöse Einstellung und führt, was ihre Einstellung gegenüber der Gemeinschaft angeht, eine Wechselwirkung ins Feld:

Wer viele Jahre lang Diskriminierung im Alltag erlebt hat, entwickelt krankhafte Abwehrmechanismen. Manche gewaltbereiten Gruppen tragen dann die Religion als Flagge vor sich her, doch ihre Religiosität ist völlig diffus. (...) Hier hätte Herr Pfeiffer klären müssen, was Religion für die Befragten tatsächlich bedeutet. Viele haben gar nichts mit den Glaubensgemeinden zu tun.

Das Kriminologische Forschungsinstitut hatte den Grad der Religiosität in der Studie mit vier Merkmalen erfasst: „Der Häufigkeit des Betens sowie des Gottesdienstbesuches und der Bedeutung, die die Religion aus der Sicht der Befragten in ihrem Alltag hat sowie bei ihrer Erziehung in der Familie hat“.

Ob diese Kriterien Religiösität hinreichend erfassen, ist natürlich streitbar. Die Frage, was „wahre Religiösität“ ist, wird seit jeher debattiert, in jeder Konfession, dazu wird es kaum erschöpfende Antworten geben. Auseinandersetzen müssen sich die muslimischen Gemeinschaften aber schon damit, dass hier mit anderen Jugendlichen anderer Konfession, deren Gläubigkeit mit denselben Kriterien „gemessen“ wurde, verglichen wurde. Dabei zeigten sich durchaus auch positive Ergebnisse:

Je stärker Jugendliche in ihrem Glauben verankert sind, umso seltener begehen sie einen Ladendiebstahl oder haben Alkoholprobleme. Bei muslimischen Jugendlichen ist dieser Zusammenhang sogar noch stärker ausgeprägt als bei jungen Christen.

Der positive Zusammenhang verändert sich aber, wenn es um Jungen und Gewalt geht:

Für junge Muslime geht dagegen die zunehmende Bindung an ihre Religion mit einem Anstieg der Gewalt einher. Die höchste Quote erreichen hier die „sehr religiösen“ Jugendlichen mit 23,5 Prozent, die niedrigste die „etwas religiösen“ mit 19,6 Prozent.

Ist Muslimsein für diese Jugendlichen nur ein leeres Etikett, eine Marke?

Für die Menschenrechtsaktivistin Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, sind sie Phänomene einer fatalen Entwicklung, die nichts weniger als die ganze Religion betrifft. In einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung äußerte Ahadi, was als „gefühlte Realität“ in vielen Diskussionen genannt wird, „dass die steigende Gewaltbereitschaft junger Muslime mit zunehmender Religiosität lange bekannt sind“. Auch Grünen-Chef Cem Özdemir bezeichnete die beschriebenen Phänomene als „realistisch“. In manchen Milieus türkischstämmiger und arabischer Migranten werde ein Macho-Bild kultiviert, das Frauen degradiere.

Folge der Verharmlosung von fatalen Entwicklungen im Islam

Ahadi führt die Phänomene auf einen grundsätzlichen Irrtum zurück, dies sei „eine Folge der Verharmlosung von fatalen Entwicklungen im Islam“. Daraus resultieren ihrer Ansicht nach „falsche Signale für ein noch größeres Islamverständnis“, das islamische Verbände für ihre Politisierung nutzen würden. Mit den Reizwörtern „Verharmlosung“ und „fatale Entwicklung des Islam“ dürfte Ahadi auf einige Zustimmung treffen. Ob sie damit die Diskussion über weltanschauliche Positionen hinaus befördert, ist unklar. Immerhin geht es ja um ein konkretes Phänomen: die Gewaltbereitschaft von muslimischen Neuntklässler im Alter zwischen 14 und 16 Jahren vornehmlich aus türkischen Zuwandererfamilien, soweit sie sie für die Untersuchung nach eigenen Angaben bekundet haben. Möglich, dass hier auch etwas pubertäre Selbststilisierung dabei ist, was aber an dem Problem, dass Gewalt zu ihrem Männlichkeitsbild dazu gehört, wenig ändert.

Selbst Studienautor Pfeiffer, ansonsten nicht gerade für Zurückhaltung bekannt, schränkt ein, wenn es um den ganz großen, pauschalen Zusammenhang – Islam und Gewaltbereitschaft – geht: Einen direkten Zusammenhang zwischen muslimischem Glauben und Gewaltbereitschaft wolle er nicht herstellen, wird er zitiert. Pfeiffer spricht lediglich von einem „indirekten Zusammenhang“.

Die Verantwortung für die „verhängnisvolle Machokultur“ sucht er bei den Vermittlern der islamischen Religion, bei den Imamen, die weder die deutsche Sprache, noch die hiesige Kultur kennen und mit ihrem „reaktionären Männerbild“ Integrationsbemühungen zunichten machen würden. Eine Fürsprecher für diese Ursachenforschung findet er beim Religionswissenschaftler Rauf Ceylan, der sich seit Jahren mit dem Wirken der Imame in Deutschland auseinandersetzt (siehe "Die meisten Predigten gehen an der Lebensrealität der Muslime vorbei"). Ceylan bestätigt, dass die Imame, die von der deutschen Wirklichkeit wenig Ahnung haben, ein altvordernes Männerbild bekräftigen, misst aber der Familienkultur in diesem Zusammenhang auch eine bedeutende Rolle zu.

Ergänzung

In einem interessanten Interview mit der Islamischen Zeitung, in dem Ceylan für vertiefende Analysen der Studie plädiert, machte er die Besonderheiten der Zuwanderungsfamilien aus der Türkei geltend:

Die patriarchale Struktur ist nicht einfach auf den Islam zurückzuführen. In der heutigen Türkei ist diese Struktur beispielsweise nicht nur in den ländlichen Gebieten, sondern auch in den urbanen Zentren bestimmend. So werden traditionelle Rollenvorstellungen – etwa bezüglich des Hausfrauendaseins und der Mutterschaft als primär zu erfüllende Rolle der Frau bzw. der Führungsrolle des Ehemannes in der Familie und der Prägung des öffentliches Raumes durch den Mann – von einer überwältigenden Mehrheit befürwortet, übrigens auch in den westlichen Städten wie Istanbul oder Izmir...

Der Islam ist in Deutschland, quantitativ betrachtet, ein Produkt der Arbeitsmigration. Die erste Generation und zum Teil auch die zweite Generation der Muslime kommen aus ländlichen Gebieten und zum Teil aus patriarchalischen Verhältnissen. Darüber hinaus ist anzumerken, dass sowohl die schulische als auch die religiöse Bildung dieser Menschen sehr defizitär ist. Diese Normen und Werte wie gewaltlegitimierende Männlichkeitskonzepte oder die sehr mangelhaften und traditionsbehafteten, sehr defizitären Informationen über den Islam aus der eigenen Sozialisation fließen in die Erziehung der eigenen Kinder und Jugendlichen in Deutschland mit ein.

Der Rückzug in die Gruppe von Gleichgesinnten - ein Trend unter jenen „gewaltbereiten“ muslimischen Jugendlichen, den die Studie deutlich aufzeigt – bestärke aggressivere Vorstellungen von Männlichkeit.

Islamkonferenz

Für de Maizière kommt die Studie, die von seinem Ministerium mitgetragen wird, zum rechten Zeitpunkt. Damit kann er zeigen, dass er - entgegen der Behauptungen der muslimischen Verbände – in der von ihm organisierten Islamkonferenz ein brisantes Thema anfasst. Die Verbände und Kritiker hatten ihm u.a. vorgeworfen, er würde nicht die wirklich wichtigen Themen auf dem Tisch haben. Mit dieser Studie rückt die Imamausbildung und der Religionsunterricht für Muslime in Deutschland in den Mittelpunkt der Debatte.

Ich halte es für eine wichtige Weichenstellung, dass die Deutsche Islamkonferenz ein bundesweit anerkanntes Konzept für die landes- und gesellschaftskundliche Fortbildung von Imamen erarbeitet.

Maria Böhmer (CDU), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung

Und wieder einmal sind die Vertreter der Moscheegemeinden und Muslime in Erklärungsnot. Das wird wahrscheinlich nicht die einzige politische Instrumentalisierung der Pfeiffer-Studie bleiben. Einen Vorgeschmack davon, was es nun an neuem Zündstoff geben kann, liefert Pfeiffer selbst, der nun fordert, „dass es keine Einreise für Imame geben (dürfte), die mit unserer Kultur nichts am Hut haben".