"Die Verlagsbranche muss ihre Inhalte völlig neu denken"

Ein Gespräch mit Volker Oppman, Geschäftsführer des Berliner Start-Up Unternehmen "textunes", über die Anziehungskraft neuartiger digitaler Lesegeräte und die elektronische Zukunft der Lese- und Buchkultur

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Volker Oppmann ist Geschäftsführer des Berliner Start-Up Unternehmen textunes, das den Vertrieb von eBooks für Apples Smartphone iPhone forcieren will und mittlerweile auch die erste deutschsprachige Literaturplattform für das Gerät gelauncht hat.

Das Titelangebot von textunes umfasst inzwischen an die 750 Titel, darunter Krimis der Edition Nautilus (z. B. von Andrea Maria Schenkel), Text-Audio-Books, Reiseführer, die in einer Applikation gebündelt werden sowie die aktuellen Bestseller der großen Publikumsverlage.

Die Firma hat jüngst mit dem Suhrkamp Verlag ein App für das iPhone entwickelt, wo man derzeit etwa zehn Bücher der "edition-Reihe" digital abrufen und käuflich erwerben kann. Telepolis sprach mit ihm.

Kein Hype

Herr Oppmann, wie sind denn die Absatzzahlen für eBooks? Wird wirklich auf dem iPhone gelesen? Oder ist das alles nur ein Hype?

Volker Oppman: eBooks auf dem iPhone sind weit mehr als ein Hype - die Kategorie "Bücher" ist die zweitbeliebteste Kategorie im App Store. Allein textunes hat über 100.000 verkaufte eBooks und über 500.000 geladene Leseproben zu verzeichnen.

Interessanterweise ging eine Studie der GfK im Herbst vergangenen Jahres von bislang insgesamt 65.000 verkauften eBooks aus. Als wir die GfK auf die Zahlen angesprochen und unsere eigenen Zahlen gegenübergestellt haben, wurde klar, dass das Thema mobiler eBooks keinen Eingang in die Studie gefunden hatte und weitaus potenter war als der "reguläre" eBook-Markt auf traditionellen eReadern.

Dieser Trend ist ungebrochen und gewinnt sogar noch an Dynamik. Zum Sommer hin werden wir dann Google Android als weitere Plattform anschließen. Wir gehen davon aus, dass "mobile" eBooks auch in Zukunft einen ganz wesentlichen Teil des Marktes ausmachen, wenn nicht sogar signifikant bestimmen werden.

Wer liest denn auf dem iPhone? Haben Sie einen Überblick, wer die Kunden sind und aus welchen sozialen Schichten sie sich rekrutieren?

Volker Oppman: Das ist ja das Schöne am iPhone - es ist von der Marktdurchdringung her inzwischen in sämtlichen Bevölkerungsschichten verbreitet. D.h., egal welche Zielgruppe sie mit ihren Titeln ansprechen, Sie können sich sicher sein, dass diese schon da ist. Die große Herausforderung ist vielmehr, die jeweilige Zielgruppe in dem Überangebot von Apps überhaupt zu erreichen.

Und wie erreichen Sie die?

Volker Oppman: "textunes" steht als Marke für zeitgenössische Literatur. Im Gegensatz zu anderen Anbietern arbeiten wir auch ausschließlich mit etablierten Publikumsverlagen und nehmen keinen user generated content ins Programm. Unsere Leser wissen also schon einmal, dass sie bei "textunes" Qualitätsinhalte geboten bekommen.

Ganz zentral in unserem Konzept sind die Leseproben, da in Apps im App Store nicht hineingelesen werden kann. Das Buch ist aber ein klassisches Inspektionsgut, d.h. ich kaufe als Kunde nicht die Katze im Sack, sondern möchte mir zunächst selbst ein Bild machen.

Unser Flaggschiff, die textunes App, bietet deshalb zu sämtlichen verfügbaren Titeln Leseproben - zudem lässt sich ganz klassisch stöbern: nach Titel, Autor, Verlag, Genre, Schlagwort oder über freie Suchbegriffe.

Bei Gefallen kann der Titel auch gleich gekauft werden, und das sowohl als eBook wie auch als gedruckte Ausgabe direkt per Mailorder nach Hause. Die textunes App ist im Grunde eine Kombination aus mobilem Buchladen und Bibliothekssoftware, welche die gekauften Titel benutzerindividuell verwaltet.

Die Filter und Vorschlagslisten werden von Update zu Update verfeinert, sodass unsere Kunden immer gezielter das finden, was sie auch tatsächlich interessiert. Zudem haben unsere Leser über ihre sozialen Netzwerke die Möglichkeit, ihre Leseerfahrungen mit anderen zu teilen - aktuell über Twitter und Mail, ab dem Sommer auch über MySpace und Facebook.

Welche Texte eignen sich denn überhaupt zur Lektüre auf dem iPhone?

Volker Oppman: Es werden tatsächlich auch lange Romane u.a. von Frank Schätzing oder Stephenie Meyer gelesen. Insgesamt beobachten wir neben der reinen Unterhaltung aber einen starken Trend hin zu Ratgebern und Fachbüchern - also die schnell verfügbare Information, die überall und jederzeit verfügbar ist.

Neue, kreative Denkmuster

Welche neuen multimedialen Formate für das iPhone sind in den USA erfolgreich?

Volker Oppman: Das Kuriose ist hier, dass der Vorreiter USA in Sachen multimedialer Formate dem alten Kontinent hinterherhinkt. Denn gerade die Größe von Marktteilnehmern wie Amazon oder Apple ist nämlich zugleich auch deren Schwäche - sie müssen nämlich zwangsläufig auf Masse setzen, was wiederum ein hohes Maß an Standardisierung erfordert. Das heißt, neue, innovative Impulse und Werkformen kommen von anderen - in England beispielsweise von VOOK oder Missing Ink Studios.

Gibt es die auch in Deutschland?

Volker Oppman: Ja, die gibt es - bei uns, bei textunes.

Und wie schauen die aus?

Volker Oppman: Ganz unterschiedlich: Das geht von Text-Audio-Books, also eine Verbindung aus klassischem Text und Hörbuch über Comic und Manga (auch diese zum Teil mit integrierten Hörbüchern), Kochbüchern mit Rezeptplanern und Reiseführern mit umfangreichem Kartenmaterial bis hin zu interaktiven Sprachtrainern, etwa die Lernkrimis von Cornelsen.

Wir arbeiten aber auch mit Kooperationspartnern aus dem stationären Buchhandel. So haben wir mit Hugendubel gerade eine App gelauncht, die neben einem Filialfinder die Möglichkeit bietet, direkt die Verfügbarkeit einzelner Titel in der jeweiligen Filiale abzufragen.

Wie aufwendig ist die Entwicklung der neuen Formate für die Autoren und Entwickler?

Volker Oppman: Der erste Schritt ist immer mühsam, wenn man neues Territorium betritt. Vor allem gilt es, sich aus alten Denkmustern und Prozessen, gerade in der Produktentwicklung, zu lösen und neue Ansätze zu finden.

Das eBook kann nämlich deutlich mehr als eine bloße digitale Kopie des physischen Buches sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in kürzester Zeit eine ganze Palette neuer Produktformen haben werden - bis hin zu Formaten, die mit dem klassischen Buch im engeren Sinne nicht mehr viel zu tun haben.

Das Verlagswesen lebt im Kern vom Handel mit Urheberrechten und deren Auswertung. Im eBook-Bereich kommen nun neue Möglichkeiten der Auswertung hinzu und die Verlage begreifen, dass sie ihre Inhalte als "Content-Provider" völlig neu denken können. Aus den vorhandenen Bausteinen lässt sich eben nicht nur länger ein Produkt namens "Buch" generieren, sondern eine ganze Reihe anderer Dinge - von Hörbüchern über Text-Audio-Bücher bis hin zu interaktiven Inhalten, gerade im Fach- und Sachbuchsegment.

Hat man das einmal begriffen, sind die nächsten Schritte im Grunde sehr leicht, da dann eine enorme Kreativität freigesetzt wird und das Umsetzen dieser Ideen deutlich weniger Ressourcen bindet als im physischen Bereich. Dieses Potential gilt es produktiv zu nutzen.

Ist dafür eine neue Form von Kreativität gefordert?

Volker Oppman: Definitiv ja. Die Entscheider im digitalen Zeitalter müssen im wahrsten Sinne des Wortes interdisziplinär denken. Es genügt nicht, Wissen in nur einem Teilbereich mitzubringen, sei es nun Literatur, Verlagswesen, Marketing, Vertrieb oder IT. Die neuen Märkte funktionieren anders und zwar auf allen Ebenen. Vor allem aber muss man all diese Teilaspekte gemeinsam denken.