"Abmahnindustrie bekämpfen"

Interview mit Stefan Strewe zu einem Leitantrag der Sachsen-SPD

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Leitanträge sind keine konkret ausformulierten Gesetzesvorhaben, legen aber die Grundsätze der Politik einer politischen Partei fest. Manchmal sind sie die Basis für Änderungen im Parteiprogramm. Die sächsische SPD hat jetzt einen solchen Leitantrag formuliert, in dem es unter anderem heißt, dass die "ausufernde Abmahnindustrie [...] bekämpft" werden soll. Wir befragten dazu den Dresdener IT- und Medienanwalt Stefan Strewe, der an dem Papier mitwirkte.

Herr Strewe - Ihr Landesverband hat einen Leitantrag formuliert, in dem es heißt, dass die "ausufernde Abmahnindustrie [...] bekämpft" werden soll. Das Problem ist bekannt, seit der Freiherr von Gravenreuth Anfang der 1990er Jahre seine Tania-Lockbriefe verschickte. Warum hat nicht eine der beiden seitdem im Amt gewesenen SPD-Justizministerinnen etwas dagegen unternommen?

Stefan Strewe: Es wurden Maßnahmen auf den Weg gebracht. Aber sie waren aus heutiger Sicht noch unzureichend. Die Bagatellgrenze nach § 3 Abs. 1 UWG, wonach nur bei wirklich "spürbaren" Beeinträchtigungen abgemahnt werden darf, wird in der Rechtsprechung kaum beachtet. Gleiches gilt für den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs nach § 8 Abs. 4 UWG, da viele Instanzgerichte kaum erfüllbare Anforderungen an den Nachweis einer überwiegenden Gebührenerzielungsabsicht und damit an die Annahme eines Rechtsmissbrauchs stellen.

Stefan Strewe

Welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Abmahnindustrie schweben Ihnen konkret vor?

Stefan Strewe: Ich möchte hier der fachlichen Diskussion im Landesverband nicht vorgreifen. Der Leitantrag gibt aber mit seiner eindeutigen Kampfansage eine klare Linie vor. Es wird daher voraussichtlich auf ein komplettes Maßnahmenbündel hinauslaufen.

Erstens: Bislang kann kostenpflichtig abgemahnt werden, selbst wenn der Abgemahnte die Rechtsverletzung nicht verschuldet hat. Dies ist eine spezifisch deutsche Regelung, welcher der wenig überzeugende Gedanke zugrunde liegt, der Abgemahnte wolle gerne abgemahnt werden, um so einem gerichtlichen Verfahren zu entgehen. Wir sollten darüber nachdenken, ob es nicht sachgerechter ist, einen Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten nur bei schuldhaften Pflichtverletzungen zu gewähren.

Zweitens: Die nächste Hürde, die der Abmahnanwalt zu nehmen hätte, könnte darin bestehen, dass nur bei erheblichen Pflichtverletzungen Kostenerstattung in der gewöhnlichen Höhe verlangt werden darf. Hier könnten im Gesetz dann jene Fälle aufgenommen werden, in welchen gerade keine erhebliche Pflichtverletzung vorliegt (z.B. bei Fehlern im Impressum, fehlerhafter Widerrufsbelehrung, Verletzung einer unbekannten Marke, Verwendung eines Stadtplanausschnitts).

Drittens: Das sogenannte "Forum-Shopping", also die Möglichkeit, sich als Kläger bei Verletzungen im Internet den Gerichtsort selbst auszusuchen, muss unterbunden werden. Denn so kann der Abmahnanwalt sich immer das Gericht aussuchen, bei dem er noch unbekannt ist bzw. das in der Vergangenheit für ihn günstige Entscheidungen getroffen hat. Denkbar ist z.B., dass nur noch am Sitz des Klägers und des Beklagten geklagt werden darf.

Viertens: Stellt ein Gericht zudem die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Abmahnung bzw. Klage fest, sollte es dies auch im Tenor seiner Entscheidung zum Ausdruck bringen dürfen. Die rechtskräftige Feststellung der Rechtsmissbräuchlichkeit könnte sodann in anderen Verfahren als Indiz für eine Rechtsmissbräuchlichkeit auch im dort zu entscheidenden Fall gewertet werden.

Fünftens: Weitere Hürden für die Abmahnindustrie können schließlich geschaffen werden, indem gesetzliche Regelstreitwerte für Angelegenheiten des Urheberrechts und des gewerblichen Rechtsschutzes festgelegt werden. Denn derzeit ist es dem Abmahner weitestgehend selbst überlassen einzuschätzen, welchen Streitwert er ansetzen möchte.

Die von Brigitte Zypries eingeführte Kostenbegrenzung erwies sich in der Praxis als untauglich. Wie wollen Sie verhindern, dass eine neue Fassung von Abmahnanwälten nicht genauso umgangen wird?

Stefan Strewe: Diese Kostenbegrenzung nach § 97a UrhG gilt nur für das Urheberrecht und dort nur für den privaten Bereich, angesprochen sind damit vor allem die Bereiche Bild-, Musik- und Videodateien sowie die beliebten Stadtplanausschnitte. Der Gesetzgeber kann hier nachbessern, indem er konkrete Beispielsfälle für die in § 97a UrhG erwähnten unerheblichen und nichtkommerziellen Rechtsverletzungen in den Gesetzestext aufnimmt. Dann kann sich die Rechtsprechung nicht einfach mehr auf den Standpunkt stellen, diese Rechtsverletzungen seien "erheblich". Darüber hinaus sollte die Beschränkung der Kostenbegrenzung auf den privaten Bereich gestrichen werden, denn gerade in den Stadtplanfällen sind es auch häufig kleine gewerbliche Anbieter, die den Abmahnwellen zum Opfer fallen.

Worauf aber all jene im Internet warten, die über ebay etwas verkaufen, Shops betreiben, eine Ferienwohnung inserieren oder sonst irgendetwas über das Internet anbieten, ist die Rechtssicherheit in wettbewerbsrechtlicher und markenrechtlicher Hinsicht. Dort werden die bereits in Ihrer vorhergehenden Frage genannten Maßnahmen wirksam greifen.

Nun gibt es ausgesprochen enge Kontakte zwischen einflussreichen Medienpolitikern und häufig abmahnenden Anwälten - ein Bereich, in dem man besser keine Namen nennt, wenn man nicht selbst abgemahnt werden möchten. Glauben Sie, dass Sie Ihr Anliegen gegen diese Lobby durchsetzen können? Und wenn ja - warum?

Stefan Strewe: Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie hier sprechen. Aber im Ernst: Gute Argumente haben es in der Vergangenheit immer wieder geschafft, Lobbyisten in ihre Schranken zu weisen. Und ich bin überzeugt, dass wir es hier gemeinsam mit der Netzgemeinde schaffen werden, endlich wirksame Maßnahmen gegen das Abmahnunwesen durchzusetzen.

In dem Leitantrag heißt es außerdem, dass "Besitz und Vertrieb von illegalen Daten [...] konsequent verfolgt werden" müssten. Was verstehen Sie unter solchen "illegalen Daten". Und wollen Sie das bisher nur für Kinderpornografie bestehende Besitzverbot ausweiten?

Stefan Strewe: Es wird hier insbesondere an Straftaten wie namentlich Volksverhetzung und Kinderpornografie gedacht. Natürlich sollen bestehende Besitzverbote nicht ausgeweitet werden.

Andere Politiker, wie die SPD-Filmbeauftragte Angelika Krüger-Leißner oder Barbara Kisseler aus Frank-Walter Steinmeiers "Kompetenzteam" fordern ein Three-Strikes-Modell nach französischem beziehungsweise britischem Vorbild. Ihr Papier sagt dazu nichts. Wie einig oder uneinig ist sich die SPD in dieser Frage?

Stefan Strewe: Das kann ich nicht beurteilen. Wir werden die Frage des Three-Strikes-Modells in unserem Landesverband diskutieren. Ich persönlich habe datenschutz- und verfassungsschutzrechtliche Bedenken. Wichtig ist, dass am Ende eine einheitliche Position auch auf Bundesebene herauskommt. Ich glaube nicht daran, dass diese in einer Bejahung des Three-Strikes-Modells liegen wird.